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Gesellschaft

Sterilität als Pandemie

Benedikt Schwan: „Ohnekind“, Heyne, 256 Seiten, 20 Euro (E-Book: 15,99 Euro)

Es ist eine sehr persönliche Geschichte, die Benedikt Schwan mit seinem Buch Ohnekind erzählt. Es ist die Geschichte seiner Sterilität und der Suche nach einem Ausweg. Statt wie andere still zum Arzt zu gehen, sich für oder gegen eine Kinderwunsch-Behandlung entscheiden und fortan eben mit oder ohne Kinder weiterleben, begibt sich Schwan – ganz Journalist – auf eine Recherchereise.

Diese Reise führt seine Leser erst durch die wissenschaftliche Literatur und später kreuz und quer über den Globus. Er interviewt Hagai Levine, einen israelischen Epidemiologen, der 2017 eine umfangreiche Studie zur männlichen Sterilität durchgeführt hat. Und der zu der Erkenntnis gekommen ist, dass Zeugungsunfähigkeit ein weitaus größeres Problem ist, als bisher angenommen. Schwan fliegt nach Japan und Kanada und teilt schienbar unmittelbar seine Erlebnisse, Gedanken und auch seine Wut.

Dabei gelingt es ihm, das „Sachbuch“ und die Fülle an eigentlich schwer verdaulichen Informationen so fesselnd und selbstverständlich in seiner Geschichte unterzubringen, dass einem an Ende gar nicht aufgefallen ist, dass man gerade einen Schnellkurs in männlicher Reproduktionsmedizin absolviert hat. Auch wenn es sicher nicht jederfraus Sache ist, sich gleich auf den ersten Seiten in einer „Wichskabine“ des Kinderwunsch-Zentrums wiederzufinden: Wenn diese Seiten überstanden sind, belohnt Schwan mit einer einfühlsamen aber zu keinem Zeitpunkt rührseligen Geschichte, die einen sowohl schlauer macht, als auch bereichert.

JO SCHILLING

Zukunft

Mit Vollgas in den Abgrund?

Christian Stöcker: „Das Experiment sind wir“, Blessing Verlag, 385 Seiten, 22 Euro (E-Book 17,99 Euro)

Über weite Strecken zeichnet Christian Stöckers eine düstere Zukunft: Mit rasanter Digitalisierung, exponentiellem Fortschritt Künstlicher Intelligenz, einer Verschmelzung von Bio- und Informationstechnologie und fortgesetztem fossilen Energieverbrauch hat die Menschheit gute Chance, sich und die Welt vor die Wand zu fahren.

Um das alles zu erklären, bietet Stöcker eine Art Crashkurs in Sachen Zukunftstechnologie: Wie funktioniert maschinelles Lernen? Was ist CrisprCas9? Was ist ein kognitiver Bias und warum ist es so schwer, ihn zu überwinden? Doch sein Fazit ist überraschend optimistisch: Denn tatsächlich hat die Menschheit es in den vergangenen 50 Jahren durchaus geschafft, extreme Armut, Hunger und Krankheit zurückzudrängen. Und zum ersten mal in seiner Geschichte, so der Autor, erkennt der Mensch nicht nur seinen Beitrag am Klimawandel, er versteht auch die kognitiven Mechanismen, die uns daran hindern, die so entstehenden Probleme zu lösen.

Stöckers Argumentation hat zwar ihre Schwächen - der Fortschritt beim maschinellen Lernen ist zum Beispiel nicht automatisch gleichzusetzen mit der Trainingszeit für KI-Modelle. Bei aller notwendiger Detailkritik ist das Buch jedoch hochgradig lesenswert.

WOLFGANG STIELER

KLASSIKER NEU GELESEN

Feuer und Flamme

Die meisten Menschen dürften Michael Faraday (1791 – 1867) vor allem als Entdecker der elektromagnetischen Induktion kennen. Dabei war der Autodidakt bereits vorher ein hoch angesehener Chemiker und Experimentator. Zur Wissenschaft kam er als junger Mensch unter anderem durch die Vorträge des charismatischen Erfinders Humphry Davy, die damals gesellschaftliche Events waren.

Mit seinen legendären „Weihnachtsvorlesungen“ für Kinder und Jugendliche an der Royal Institution in London, trat Faraday später in Davys Fußstapfen.. In der Vortragsreihe – die übrigens bis heute besteht – bündelten sich zwei Leidenschaften des Forschers Faraday: Das genaue Hinschauen und das verständliche Erklären. So wollte Faraday den „rationalen Forscher in jedem Kind wecken, in der Hoffnung, dass einige von ihnen eines Tages Wissenschaftler werden“, wie sein Biograf Alan Hirschfeld schreibt.

Seine bekannteste Weihnachtsvorlesung ist die Naturgeschichte einer Kerze (1848/49 und 1860/61). Ihre Abschrift wurde 1861 als Buch veröffentlicht und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Ausgehend von der Betrachtung einer brennenden Kerze entwickelt Faraday darin eine Reihe von einfachen Experimenten, mit denen er Schritt für Schritt die Eigenschaften von Kohlenstoff und Kohlendioxid, Wasserstoff und Wasser sowie anderer Verbindungen und Prozesse erklärt.

„Eins der Ziele von Faraday war, die Öffentlichkeit nicht nur über die Ergebnisse der Wissenschaft zu unterrichten, sondern auch über den Weg dorthin“, so Hirschfeld. „Faraday wurde zum unprätentiösen Führer in das Reich der Wissenschaft, einfach indem er seine eigene ansteckende Begeisterung übertrug. Seine Zuhörer verließen den Hörsaal, wenn nicht mit wahrem Verständnis, so doch mit einer tiefen Anerkennung dessen, was Forscher tun – und warum sie unterstützt werden sollten.“

GREGOR HONSEL

Michael Faraday: „Naturgeschichte einer Kerze“, divverlag franzbecker, 200 Seiten, 9,80 Euro (E-Book: 2,99 Euro)