MIT Technology Review 1/2021
S. 104
Fundamente
Jubiläum

Feuerluft

Vor 250 Jahren stellte ein ­Apotheker als Erster Sauerstoff her.

Eine von Carl Wilhelm Scheeles größten Entdeckungen ist unsichtbar. Der deutsch-schwedische Apotheker hat vor 250 Jahren „Luft geschickt in ihre Bestandteile zerlegt“ und als Erster den Stoff hergestellt, den wir heute Sauerstoff nennen.

Dass der leidenschaftliche Privatchemiker nicht als Entdecker des Sauerstoffs gilt, liegt daran, dass er seine Ergebnisse erst 1777 in der Chemischen Abhandlung von der Luft und dem Feuer veröffentlichte. Zu dem Zeitpunkt hatte der ähnlich produktive Priester und Naturwissenschaftler Joseph Priestley die „reine Luft“ beim Erhitzen von Quecksilberoxid entdeckt und 1775 publiziert.

Scheeles Notizen zum Sauerstoff reichen jedoch bis 1770 oder 1771 zurück, als er das Gas in seinen Forschungsnotizen „Vitriol­luft“ nennt, weil es sich unter anderem durch das Erhitzen von konzentrierter Schwefelsäure (Vitriol) mit Mangandioxid (Braunstein) gewinnen ließ. Später gab er dem geschmack- und geruchslosen Gas den Namen „Feuerluft“, weil es Kerzenflammen stärker brennen ließ.

Beide bauten ihre Erkenntnisse in die Phlogistontheorie ein, die die Brennbarkeit von Materialien auf einen gemeinsamen, gleichnamigen Bestandteil zurückführte. Erst Antoine de Lavoisier räumte mit diesem Irrtum auf und beschrieb Verbrennungen korrekt als Sauerstoffaufnahme, die die ­Ausgangsstoffe messbar schwerer macht. Er gab dem Gas auch seinen ­heutigen Namen: Da bei seinen Experimenten zur Sauerstoffaufnahme häufig Säuren entstanden, nannte er es gaz oxygène – säureerzeugendes Gas.

Carl Wilhelm Scheele interessierte sich früh für chemische Experimente.
Quelle: Wikipedia/Popular Science Monthly Volume 31

Der 1742 in Stralsund geborene Scheele war ein kreativer Experimentator und geschickter Analytiker. Er kam hinter viele Geheimnisse des Sauerstoffs mit einer provisorischen Ausrüstung aus Ochsenblasen, am Boden durchbohrten Milchflaschen und anderen Behelfsutensilien. So gelang es ihm, die Zusammensetzung der Luft und ihren Sauerstoffanteil erstaunlich genau zu bestimmen: Als sich in Kalkwasser gelöster Schwefel in einem geschlossenen Gefäß langsam entfärbte und als Gips (Calciumsulfat-Dihydrat) ausfiel, „ging“ etwa ein Fünftel der Flaschenluft „verloren“. Heute wissen wir, dass sich die „Feuerluft“ mit dem Schwefel verband und zu Gips wurde. Später legte sich Scheele auf 27 Prozent Sauerstoff in der Luft fest und kommt damit den tatsächlichen 21 Prozent sehr nah. Er erkannte auch, dass Insekten Sauerstoff verbrauchen und eine Biene in demselben Gefäß doppelt so lange überlebt wie zwei.

Die systematische Untersuchung von Sauerstoff war aber bei Weitem nicht Scheeles einziger Erfolg. Der Apotheker spielte auch bei der Entdeckung vieler weiterer Elemente wie Stickstoff, Chlor, Barium und Mangan sowie Verbindungen wie Milch- und Zitronensäure eine Rolle. Er wies nach, dass Graphit aus Kohlenstoff besteht, und legte mit der Erforschung einer einfachen Phosphor-Gewinnungsmethode den Grundstein für die Entwicklung von Streichhölzern.

Scheele starb am 21. Mai 1786 mit gerade mal 43 Jahren im schwedischen Köping, möglicherweise an einer Vergiftung. Er hatte die Angewohnheit, Stoffe, mit denen er experimentierte, auch zu kosten. Was es genau war, das ihn umbrachte, bleibt ungeklärt. Es kämen mehrere giftige Kandidaten infrage: Während seiner Laufbahn experimentierte Scheele unter anderem mit Quecksilber, Blei und Arsen.  Veronika Szentpétery-Kessler

Bei seiner Forschung stellte Scheele auch Sauerstoff durch Erhitzen von Salpeter her und fing das Gas in einer Ochsenblase auf (Fig. 3).
Quelle: Wikipedia/Carl Wilhelm Scheele, Tr. John-Reinold Forster