MIT Technology Review 5/2021
S. 18
Fokus
Technologische Souveränität

Freiheit für Europa

Europa und Deutschland kämpfen um ihren Platz in der ersten Liga der Weltpolitik. Noch haben sie genug Kraft, um sich als ebenbürtige Partner neben den USA und China zu positionieren. Technologische Souveränität spielt dabei eine zentrale Rolle, denn Schlüsseltechnologien wie künstliche Intelligenz oder Biotech prägen die Zukunft unserer Gesellschaft. Was aber genau bedeutet es, technologisch souverän zu sein?

Von Katja Scherer

Bei Corona hört Freundschaft auf, das gilt zumindest für die US-Regierung. Das Weiße Haus hat in den vergangenen Monaten vehement seine Impfkampagne vorangetrieben. Schon Anfang Juni waren 40 Prozent der Menschen in den Vereinigten Staaten vollständig geimpft, ein rund doppelt so hoher Anteil wie in Deutschland. Anderen Staaten Impfstoff abzugeben, kam für die Supermacht dennoch lange nicht infrage. Im Gegenteil: Die Regierung unter Joe Biden erschwerte zeitweise sogar den Export von wichtigen Impfstoff-Inhaltsstoffen, zum Beispiel von Spezialchemikalien. Erst jetzt, wo der Erfolg der eigenen Kampagne sicher scheint, zeigt man sich im Weißen Haus großzügig und spendet Impfdosen an andere Länder.

In Europa konnte man sich so viel Egoismus nicht leisten. Gut 41 Millionen Impfdosen habe die EU binnen zwei Monaten exportiert, berichtete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schon Ende März. Und das, obwohl Europa damals selbst noch vielerorts Impfstoff fehlte. Brüssel drohte zwar zeitweise ebenfalls mit einem Exportstopp. Durchgezogen hätte die Politik diesen aber wohl kaum. Europäische Hersteller wie Biontech oder AstraZeneca brauchen nämlich Vorprodukte wie Abfüllgebinde oder Kanülen aus Nicht-EU-Ländern. Hätte Brüssel den Impfstoff-Export gestoppt, hätten andere Staaten im Gegenzug die europäische Produktion lahmlegen können. Die EU war also erpressbar.