MIT Technology Review 5/2021
S. 26
Fokus
Technologische Souveränität
KI im All: Der autonome Assistenzroboter CIMON – hier an Bord der ISS – soll Astronauten bei ihrer Arbeit unterstützen. Ein 50-köpfiges Projektteam von DLR, Airbus, IBM und der Ludwig-Maximilians-Universität München hat ihn realisiert.
Foto: DLR/T. Bourry/ESA

Wir sind die Guten

Die USA und China sind bei der technischen Entwicklung künstlicher Intelligenz derzeit führend. Die vielfältige Forschungslandschaft in Europa könnte sich mittelfristig aber als Vorteil erweisen. Zudem konzentriert sich die EU auf eine sinnvolle Regulierung der mächtigen Technologie, was Einfluss weit über die europäischen Grenzen hinweg haben könnte.

Von Wolfgang Stieler

Künstliche Intelligenz gilt weltweit als die wichtigste Schlüsseltechnologie der Zukunft. Wie gut ist Europa auf diesem Gebiet aufgestellt? Aus wirtschaftlicher Perspektive nicht wirklich gut. Unter den „AI100“, einer Liste der 100 wichtigsten KI-Start-ups, die das Beratungsunternehmen CB Insights jährlich veröffentlicht, befinden sich gerade mal fünf Unternehmen aus Europa, die von den Beratern als technologisch führend und für potenzielle Investoren hoch interessant angesehen werden – zwei davon stammen aus Deutschland: Konux, das Predictive-Maintenance-Systeme für Schienenfahrzeuge entwickelt – und 2017 auch als unter den zehn besten von TR ausgezeichneten Innovatoren unter 35 war – und Jina AI, die eine Suchmaschine auf Basis von Neuronalen Netzen entwickeln. Was man an der Liste ebenfalls deutlich erkennt: Der Brexit hat in Europas KI-Kompetenz eine tiefe Delle hinterlassen. Denn Großbritannien, in Sachen KI in Europa immer noch ein Schwergewicht, stellt eine gute Handvoll der Top-Start-ups. Die übergroße Mehrheit der Top-100 stammt jedoch aus den USA und China.

In Sachen Forschung sieht es nicht ganz so kritisch aus. Laut dem „AI Index“, einer jährlichen Analyse der Stanford University, kommen im Zeitraum von 2000 bis 2019 die meisten (22,4 Prozent) wissenschaftlichen Publikationen zu KI aus China. Europa und die USA liegen gleich auf mit etwa 14 Prozent aller veröffentlichten Aufsätze. Interessant allerdings: Die große Mehrzahl der europäischen Publikationen sind regierungsfinanziert – in den USA dagegen stammen die meisten Publikationen von privaten Unternehmen. Google, Facebook oder Microsoft beschäftigen eine Vielzahl von KI-Forschern mit dem Ziel, ihre Produkte direkt mit den neuesten KI-Technologien verbessern zu können. In China dagegen ist das Bild gemischt. Denn die Chinesen, die bereits 2017 den Anspruch formulierten, bis 2030 eine führende KI-Goßmacht zu sein, fördern die Entwicklung der KI-Industrie unter anderem durch die Einrichtung von mittlerweile acht „KI-Innovationszonen“ – einer Art staatlich finanzierter Inkubatoren für hochinnovative und vielversprechende Start-ups. Nur bei den Patentanmeldungen hat das Mutterland des Silicon Valley global noch immer die Nase vorn: Laut den Analytikern von IPlytics kamen bis März 2019 rund 280.000 Patent-Anmeldungen aus den USA, 67.000 aus China und 60.000 aus Europa.