Meinung | Bücher | MIT Technology Review

UMWELT

Der Mensch als Sondermüll

Susanne Donner: Endlager Mensch Rowohlt Taschenbuch, 288 Seiten, 12 Euro (E-Book 9,99 Euro)

Susanne Donner reist in ihrem Buch „Endlager Mensch“ in vier Etappen durch die Welt der Fremdstoffe. „Die Chemikalienbranche handelt mit mindestens 130 000 Substanzen von mehr als einer Tonne pro Jahr.“ In dieser Vielfalt lässt Donner die Grenze zwischen böser Chemie und guter Natur verschwimmen und legt den Finger in gesetzliche Wunden.

Sie betrachtet, was wir unserem Körper freiwillig mit Kosmetika zufügen, mit der Nahrung aufnehmen, sie greift die aktuelle Mikroplastikproblematik auf und beschäftigt sich mit unserem kostbarsten Lebensmittel, das längst nicht so sauber ist, wie es scheint: Wasser.

Statt mit moralisierend erhobenem Zeigefinger, lässt Donner Fakten sprechen – das ist verstörend genug. Aber ihre Hilfestellungen zum Umgang mit Fremdstoffen sind pragmatisch und machen das Buch zu einem harten aber bereichernden – und für den Stoff erstaunlich leicht lesbaren – Brocken für all jene, die es genauer wissen wollen.

JO SCHILLING

KRYPTO-GELD

Digitale Schnitzeljagd

Tom Hillenbrand: Montecrypto Kiepenheuer & Witsch, 448 Seiten, 16 Euro (E-Book 12,99 Euro)

Gregory Hollister ist ein Verräter. Jedenfalls für die Krypto-Community, die Nationalstaaten und ihren Zentralbanken abgrundtief misstraut. Denn Hollister, der in der Szene als großes Talent galt, hat den Bezahldienst Juno gegründet, der zwar als Technologie eine digitale Währung nutzt. Die wird aber zentral kontrolliert und ist fest an den Dollar gekoppelt. Und jetzt ist Hollister tot. Gestorben bei einem Unfall und es gibt keine Leiche.

Seine Schwester vermutet, dass Gregory nicht unwesentliche Teile seines Vermögens in Bitcoin verschoben hat. Also beauftragt sie den Ermittler Ed Dante diesen „Schatz“ zu finden. Schon bald erkennt Dante jedoch, dass es bei Hollisters Vermächtnis um mehr geht als nur Schwarzgeld.

Wer noch nicht verstanden hat, was der ganze Hype um Krypto-Währungen bedeutet, sollte das Buch lesen. Denn Dante muss erst einmal lernen, womit er es hier zu tun hat – und der Leser schaut ihm dabei über die Schulter. Der Thriller-Anteil ist allerdings recht konventionell.

WOLFGANG STIELER

KLASSIKER NEU GELESEN

Code is Law

Lawrence Lessig: Code and other Laws of Cyberspace, Basic Books, 320 Seiten, PDF kostenlos unter lessig.org/product/code

Mit „Code is Law“ hat der Verfassungsrechtler und Internet-Aktivist Lawrence Lessig vor 22 Jahren einen Gedanken populär gemacht, der heute aktueller denn je ist. Der Slogan geht auf den MIT-Professor William J. Mitchell zurück und besagt, dass im Programmcode festgelegte Regeln eine quasi-gesetzgeberische Macht haben. Sie bestimmen etwa, wer Zugang zu welchen Informationen bekommt.

Anders als bei staatlichen Gesetzen werden solche Regeln aber oft implizit und beiläufig festgeschrieben – ohne Parlament und ohne Debatte. Lessig fordert deshalb eine stärkere Rolle des Staates bei der Regulierung des Internets: „Wir tun so, also ob die durch Code verursachten Desaster – wie der Verlust der Privatsphäre, die Zensur durch Filter, das Verschwinden geistigen Eigentums – von Göttern erzeugt würden, nicht von Menschen. Wir sind stolz darauf, die Dinge der ,unsichtbaren Hand‘ zu überlassen. Aber wir machen diese Hand unsichtbar, indem wir in die andere Richtung schauen.“

Eine zweite, überarbeitete Auflage folgte 2006. Darin tauchen Stichworte wie „Algorithmus“, „Artificial Intelligence“, „Blockchain“ oder „Facebook“ noch nicht auf. Heute sind sie Kronzeugen für Lessigs These. Algorithmen blockieren etwa Hassrede oder nackte Brüste, und Smart Contracts auf Blockchain-Basis bilden ganze, sich selbst ausführende Verträge in Code ab.

Große Hoffnung setzte Lessig auf Open-Source-Software, die Entscheidungen von Programmierern transparent macht. Aber das funktioniert bei neuronalen Netzen nicht mehr: Ihre Funktion basiert zum Großteil auf Trainingsdaten und ist damit selbst für ihre Schöpfer meist undurchsichtig. „Code is Law“ gilt zwar weiterhin, aber für den Gesetzgeber ist es heute noch schwerer durchzugreifen als zu Erscheinen des Buchs.

GREGOR HONSEL