MIT Technology Review 6/2021
S. 98
Meinung
Armin Laschet gibt Anfang August in Swisttal eine Pressekonferenz vor aufgetürmtem Müll.
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In der Endlosschleife

Konservative Politiker finden die Folgen des Klimawandels zwar schlimm, greifen aber zu abenteuerlichen rhetorischen Volten, um nichts dagegen tun zu müssen – mit verheerenden Folgen für uns alle.

1958: Der US-Klimaforscher Charles David Keeling weist nach, dass der CO2-Gehalt in der Atmosphäre ansteigt.

1979: Die erste Weltklimakonferenz findet in Genf statt.

1986: Die Deutsche Physikalische Gesellschaft warnt vor einem Anstieg des Meeresspiegels. Der Spiegel titelt: „Die Klima-Katastrophe“.

1988: Gründung des Weltklimarats IPCC.

1995: Der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung warnt Umweltministerin Angela Merkel: „Wenn weiterhin gleiche Mengen an Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangten, wäre ein Gegensteuern in rund 25 Jahren nicht mehr möglich.“

1997: Das Klimaprotokoll von Kyoto legt eine völkerrechtlich verbindliche Begrenzung der Treibhausgasemissionen fest.

2006: Der Ökonom Nicholas Stern rechnet vor, dass die Folgen des Klimawandels teurer sind als dessen Bekämpfung. Al Gores Doku „Eine unbequeme Wahrheit“ kommt ins Kino und macht das Thema einer breiten Öffentlichkeit bekannt.

2015: Die Klimakonferenz in Paris vereinbart, bis 2060 die Treibhausgas-Emissionen auf Null zu senken.

2019: Armin Laschet sagt: „Aus irgendeinem Grund ist Klima plötzlich zu einem weltweiten Thema geworden.“

Jetzt, im Sommer 2021, sind auch Unwetter und Überschwemmungen plötzlich ein Thema. So überraschend kann die Welt sein, wenn man Wissenschaftler für Typen „mit irgendwelchen Kurven“ hält. So formulierte es Armin Laschet, bezogen auf die Corona-Pandemie, am 2. Juli im nordrhein-westfälischen Landtag. Weiter sagte er: „Immer, wenn jemand ankommt und sagt ,die Wissenschaft sagt‘, ist man klug beraten, zu hinterfragen, was dieser im Schilde führt, denn diese Wissenschaft hat auch Mindermeinungen, und wenn es nur ein Einzelner ist.“ Mit anderen Worten: Was soll ich mich um den wissenschaftlichen Konsens scheren – zur Not finde ich immer irgendeinen Professor, der genau das vertritt, was ich gerade hören möchte.

Natürlich gibt es innerhalb der Wissenschaft verschiedene Positionen, und natürlich hat die Mehrheit nicht automatisch recht. Aber trotzdem existiert bei vielen Dingen ein gesicherter Erkenntnisstand, den man nicht beliebig vom Tisch wischen kann. Und schon gar nicht mit dem Argument, damit führe stets jemand etwas im Schilde. Hinter allem eine finstere Absicht zu wittern, ist typisch für einen verschwörungsideologischen Denkstil. Intellektuell fischt Laschet hier also im trübsten Wasser.

Dass Laschet so ein gestörtes Verhältnis zur Wissenschaft hat, ist kein Zufall. Denn sie macht regelmäßig darauf aufmerksam, dass bestimmte Sachverhalte nicht verhandelbar sind. Wenn die Erderwärmung bestimmte Kipppunkte erreicht, verstärkt sie sich selbst – etwa durch Methan, das auftauende Permafrostböden freisetzen. „Die Irreversibilität der Veränderung ökologischer Systeme ist noch nicht begriffen worden“, warnte die Transformationsforscherin und Regierungsberaterin Maja Göpel bereits 2019.

Eine solche Dynamik verhält sich zu Laschets passiv-aggressiver Bräsigkeit wie Feuer zu Wasser. Sie lässt sich nämlich weder wegverhandeln noch aussitzen. Dieser Widerspruch nötigt Laschet zu abenteuerlichen rhetorischen Volten: Am 15. Juli 2021, einen Tag nach den verheerenden Überschwemmungen, forderte er nachmittags auf einer Pressekonferenz „mehr Tempo beim Klimaschutz“. Da stellt sich die Frage: Von wem genau fordert er das? Sich selbst jedenfalls meint er offenbar nicht: Am Abend des gleichen Tages sagte er in einem WDR-Interview ziemlich unwirsch: „Weil jetzt ein solcher Tag ist, ändert man nicht die Politik.“ Nach einem halben Tag ist er also wieder in die Werkseinstellung konservativer Klimapolitik eingerastet: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.

Auf der Pressekonferenz vom 15. Juli behauptet Laschet zudem: „Nordrhein-Westfalen ist eines der Länder, das am meisten tut gegen den Klimawandel.“ Das ist schlicht falsch. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung sah NRW bei den Erneuerbaren in einer Studie von 2019 auf dem viertletzten Platz unter allen Bundesländern – drei Plätze schlechter als noch 2017. Und gerade einmal zwei Wochen vor der Pressekonferenz hatte der Landtag eine Abstandsregelung für Windräder beschlossen, die den weiteren Zubau praktisch unmöglich macht.

Mit seinen Wirklichkeitsverdrehungen ist Laschet nicht allein. Auch CSU-Chef Markus Söder forderte zwar einen „Ruck“ in der Klimapolitik, unterbindet in seinem Bundesland aber weiterhin durch eine strenge Abstandsregelung jeglichen Ausbau der Windkraft.

Friedrich Merz, möglicherweise künftiges Kabinettsmitglied, übt sich ebenfalls darin, die Lage zwar irgendwie angemessen schlimm zu finden, aber keinen allzu großen Handlungsbedarf zu sehen. „Der Klimawandel allein hat diese Katastrophe nicht verursacht“, sagte er gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Bodenversiegelung, Bebauungspläne und Flussbegradigungen haben daran einen mindestens genauso großen Anteil. Überflutungen wird es immer wieder geben, selbst wenn man sofort die kompletten Vorstellungen von Fridays for Future übernehmen würde.“

Sachlich ist das durchaus richtig. Selbstverständlich „verursacht“ der Klimawandel nicht unmittelbar ein bestimmtes Wetter. Nur: Das behauptet auch niemand ernsthaft. Es handelt sich hier also um ein klassisches „Strohmann“-Argument, das dem Gegner extreme Positionen unterstellt, die dieser gar nicht vertritt. Unstrittig ist jedenfalls – und dem widerspricht auch Laschet nicht –, dass der Klimawandel die Häufigkeit und Heftigkeit von Unwettern erhöht. „Es ist schon atemberaubend, wie nihilistische Konservative in ein paar Tagen von ,Klimawandel ist weit weg und deshalb müssen wir nichts tun‘ zu ,Klimawandel ist unaufhaltsam und längst passiert und deshalb können wir nichts tun‘ gekommen sind“, kommentierte der Journalist Georg Diez auf Twitter.

Ein weiterer Virtuose darin, Offensichtliches zu ignorieren, ist Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. „Unsere neuen ambitionierten Klimaziele erfordern eine Anpassung unserer Analysen zum Stromverbrauch 2030“, sagte er Mitte Juli. Schon die ersten drei Worte enthalten drei Fehler: Erstens sind es nicht die Ziele der Regierung oder der Union (oder wen auch immer Altmaier mit „uns“ gemeint haben mag) – sie wurden vom Bundesverfassungsgericht auferlegt. Zweitens sind die Ziele nicht „neu“, sondern basieren auf dem Pariser Abkommen von 2015. Drittens sind sie nicht „ambitioniert“, sondern werden die völkerrechtlichen Verpflichtungen voraussichtlich deutlich reißen.

Nun also, wenige Wochen vor dem Ende seiner Amtszeit, korrigierte er seine Prognose für den künftigen Stromverbrauch moderat nach oben. Bis dahin war sein Ministerium von einem stagnierenden Stromverbrauch ausgegangen – trotz der zunehmenden Verbreitung von E-Autos und Wärmepumpen und trotz zahlreicher anderslautender Szenarien.

Die Vorhersage für den Stromverbrauch ist wichtig, weil sich der Ausbau der erneuerbaren Energien daran ausrichtet. Statt sich an einem festen Treibhausgas-Ausstoß zu orientieren, wie es zur Erfüllung des Pariser Abkommens nötig wäre, hat sich die Bundesregierung lediglich ein relatives Ziel gesetzt: 80 Prozent Erneuerbare an der Stromversorgung bis 2050. Eine realitätsfern niedrige Basis ist dabei ein willkommenes Mittel, wohlklingende Versprechungen abzugeben, ohne allzu viel zu ändern. Die Folge: Deutschland wird Emissionszertifikate von anderen Ländern aufkaufen müssen, um seine internationalen Klimaverpflichtungen zu erfüllen (siehe TR 12/2020, S. 76). Das wird teuer. Und alle werden wieder überrascht tun.