MIT Technology Review 8/2021
S. 104
Fundamente
Jubiläum

Sparen mit Turbo

Vor 25 Jahren zeigte Greenpeace der Autoindustrie, dass ein Auto nicht mehr als drei Liter verbrauchen muss.

Als die Bundesregierung 2008 verkündete, eine Million E-Autos auf deutsche Straßen bringen zu wollen, kam ausgerechnet von Greenpeace heftige Kritik. „Elektroautos mit schmutzigem Strom sind auch Klimaschweine“, argumentierte die Umweltorganisation – und machte sich stattdessen für Verbrennungsmotoren stark (siehe TR 3/2009, S. 30).

Um das zu verstehen, muss man bis in die frühen Neunziger zurückgehen. Greenpeace wollte der Autoindustrie damals zeigen, dass sich der Spritverbrauch relativ einfach senken ließ. Dazu ließ die Organisation einen Renault Twingo für dreieinhalb Millionen Mark von der schweizerischen Firma Wenko umbauen. Der serienmäßige 1,2-Liter-Vierzylinder wich einem nur 350 Kubikzentimeter großen Zweizylindermotor. Dank Turboaufladung erreichte er mit 55 PS eine ähnliche Leistung wie das Serienmodell, war aber mit 35 Kilo erheblich leichter. Zusätzlich senkten dünne Leichtlaufreifen den Rollwiderstand und aerodynamische Karosserie-Anbauteile den cW-Wert auf 0,246. All dies sollte den Benzinkonsum halbieren – zumindest in der Theorie.

Der praktische Nachweis endete beinahe in einer Riesenblamage. Am 13. August 1996 lud Greenpeace rund 200 Journalisten zu einer öffentlichen Vergleichsfahrt mit konventionellen Kleinwagen zum Technik-Museum nach Luzern. Doch wie das mit Vorführungen eben so ist: Irgendetwas geht immer schief. In diesem Fall war es eine tropfende Benzinleitung. Sie ließ den Twingo mitten auf der Strecke mit leerem Tank liegenbleiben. „Wäre er noch angekommen in Luzern, das Ergebnis wäre ein Verbrauch von 15 Litern auf 100 Kilometer gewesen und das Konzept tot“, schreibt Greenpeace im Rückblick auf seiner Webseite.

Das Problem ließ sich beheben, und in rund 50 000 Testkilometern konnte der quietschgelbe Twingo laut Greenpeace seitdem einen Durchschnittsverbrauch von zweieinhalb Litern nachweisen, was 58 Gramm CO2 pro Kilometer entspricht. Damit hatte Greenpeace bereits vor 25 Jahren den Beweis erbracht, dass selbst der für 2030 geplante Flottengrenzwert von 59,4 Gramm mit relativ konventioneller Technik zu erreichen wäre. Laut Greenpeace würden die Mehrkosten bei einer Serienfertigung nur wenige hundert Euro betragen, denn beim Umbau des Twingo wurde Wert darauf gelegt, keine exotischen Leichtbaumaterialien zu verwenden. Zudem benötigte der Wagen wegen seines Otto-Motors keine aufwendige Abgasbehandlung.

Unter der aerodynamischen Karosserie ist der ursprüngliche Renault Twingo nur noch zu erahnen.
Foto: picture alliance / dpa

Zumindest der zentrale Gedanke des Greenpeace-Twingos – ein kleiner, hochaufgeladener Motor – machte später unter dem Slogan „Downsizing“ eine gewisse Karriere. 1999 stellte Volkswagen etwa den 3-Liter-Lupo mit 1,2-Liter-Dreizylinderdiesel vor, der sich allerdings wegen teurer Leichtbautechnik schlecht verkaufte. Ein avantgardistischeres 1-Liter-Auto, 2002 als Prototyp vorgestellt, kam nie über eine Kleinserie hinaus. Konsequenter war Fiat, das 2010 einen Zweizylinder mit 900 Kubikzentimetern vorstellte, der bis heute im Angebot ist. Doch all dies wurde überlagert vom Trend zu immer größeren, schwereren und durstigeren SUVs.

Hätte man hingegen den Weg zum Downsizing weiter beschritten, würden heutige Autos vermutlich mit einem Verbrauch von 1,5 Litern auskommen, sagte der damalige Greenpeace-Projektleiter Wolfgang Lohbeck 2020 gegenüber der Deutschen Welle. Er beharrt darauf, dass sich der CO2-Ausstoß auf diese Weise deutlich schneller reduzieren ließe als mit Elektroautos.

Doch der Erfolg des Twingo-Umbaus führte auch dazu, dass sich Greenpeace Deutschland mit seiner Ablehnung der Elektromobilität zunehmend isolierte. 2015 kam das gelbe Sparmobil ins Deutsche Museum. Und auch Greenpeace hat sich mittlerweile von seinen alten Positionen verabschiedet. Es fordert nun, schon ab 2025 keine weiteren Verbrenner zuzulassen. Gregor Honsel