Meinung | Bücher | MIT Technology Review

synthetische DROGEN

2 mg bis zum Tod

Ben Westhoff: Fentanyl. S. Hirzel Verlag, 320 Seiten, 28 Euro (E-Book: 24 Euro)

„Fentanyl“ erzählt die Geschichte des modernen Drogenhandels anhand des vermutlich gefährlichsten Opioids, das derzeit auf der Erde kursiert. Ben Westhoff hat 160 Personen für sein Buch interviewt, darunter Süchtige, Dealer, Erfinder und Produzenten zwischen den USA und China.

Das Buch ist harter Tobak. Erstens wegen der Menschen, anhand derer Westhoff sehr empathisch und differenziert durch seine Geschichte führt. Zweitens weil er seine Lesenden fachlich fordert. Wer ein gespaltenes Verhältnis zur Chemie hat, tut sich schwer mit den diversen Synonymen für unterschiedliche Drogen, den unzähligen Opioid-Derivaten mit ihren Marken- und Substanznamen. Andererseits macht gerade diese Gründlichkeit den Wert von Fentanyl aus. Es ist zwar US-zentriert, aber das Problem global. Und die neuen synthetischen Drogen, für die keine Plantagen mehr nötig sind, sondern nur ein paar Glaskolben, schwappen in alle Gesellschaftsschichten. Sie sind längst in der Mitte Europas und in allen Altersschichten angekommen. Dabei wollte Westhoff anfangs eigentlich nur wissen, weshalb immer mehr junge Menschen auf Techno-Partys sterben.

JO SCHILLING

Klimakrise

Die neue Realität

Kim Stanley Robinson: Das Ministerium für die Zukunft. Heyne Verlag, 720 Seiten, 17 Euro (E-Book: 13,99 Euro)

Indien, 2025: Das Land wird von einer gnadenlosen Hitzewelle heimgesucht. Wie von Forschenden längst vorhergesagt, wirkt die Kombination von Hitze und Luftfeuchtigkeit innerhalb weniger Tage tödlich. Nur Einzelne überleben – wie der Entwicklungshelfer Frank May. Schwer traumatisiert will er mit den Verantwortlichen abrechnen. Oben auf seiner Liste: eine UN-Behörde, die eigentlich die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens überwachen sollte.

Robinsons Roman ist mehr als nur ein weiterer dystopischer Thriller. Immer wieder unterbricht Robinson die Geschichte, um in kurzen Abschnitten – meist in Form fiktiver Dialoge – über wissenschaftliche, politische und ökonomische Fragen zu diskutieren: Kann man die Katastrophe mit Geoengineering stoppen? Gibt es wirtschaftliche Alternativen zur Wachstumsgesellschaft? Ist Öko-Terrorismus unter Umständen auch ethisch vertretbar? Das Buch ist keine leichte Kost, aber die Lektüre lohnt sich, denn es vermittelt den Eindruck: Von all den Waffen im Kampf gegen den Klimawandel nutzen wir bisher nur einen Bruchteil.

WOLFGANG STIELER

KLASSIKER NEU GELESEN

Avatare zu Zeiten des Kaiserreichs

E. M. Forster: Die Maschine steht still. Hoffmann und Campe, 80 Seiten, 15 Euro (E-Book: 9,99 Euro)

Das Motiv klingt vertraut. Eine übermächtige Maschine sorgt für alles, was man zum Leben braucht: Essen, Luft, Obdach, Kleidung, sogar Gedichte. Erst als sie außer Kontrolle gerät, erkennen die Leute ihre Abhängigkeit.

Wer nicht weiß, wann die Kurzgeschichte „Die Maschine steht still“ erschienen ist, dürfte sich schwertun, sie zeitlich einzuordnen: 1970er? 1950er? 1930er gar? Tatsächlich ist sie bereits 1909 erschienen, also zu einer Zeit, als Deutschland noch Kaiserreich war. Ebenso erstaunlich ist, aus wessen Feder sie stammt: vom Engländer Edward Morgan Forster (1879 – 1970), bekannt vor allem durch seine Gesellschaftsromane „Wiedersehen in Howards End“ und „Zimmer mit Aussicht“. Quasi nebenbei ist ihm ein Meilenstein der Science Fiction gelungen. Lange vor Entstehung von Radio, Fernsehen und Computer malte er sich eine Welt aus, in der Menschen isoliert in wohlklimatisierten, unterirdischen Waben leben und ausschließlich über Chats und Avatare miteinander kommunizieren. „Es wird eine Generation geben, die alle Tatsachen und Eindrücke hinter sich gelassen hat“, schreibt er.

Die „Maschine“ erfüllt die Bedürfnisse der Bewohner so perfekt, dass niemand mehr den Drang verspürt, die Erdoberfläche oder gar andere Menschen zu besuchen. Doch die Bequemlichkeit hat ihren Preis: „Es gab auf der Welt niemanden mehr, der das Ungetüm restlos verstand.“ Eigentlich sollte ein „Zentralgremium“ die Maschine kontrollieren, doch das unterlag „einem übermächtigen Zwang unbekannten Ursprungs, aus dem sogleich weitere, nicht minder übermächtige Zwänge hervorgingen“.

In der Folge schränkt die Maschine die Freiheiten der Menschen zunächst schrittweise ein, dann häufen sich die Fehlfunktionen, schließlich bricht das gesamte System völlig zusammen. Ursache ist offenbar ein Korrektur-Apparat, der selbst fehlerhaft ist, und für den es keinen eigenen Reparaturmechanismus gibt.

GREGOR HONSEL