MIT Technology Review 8/2021
S. 3
Editorial

Liebe Leserinnen und Leser,

unser Leben heute ist unübersichtlich: Familie, Beruf, Partnerschaft; getrieben von stetiger Sinnsuche und ständiger Selbstoptimierung; konfrontiert mit großen gesellschaftlichen Herausforderungen wie Klimakrise, Pandemie und sozialer Spaltung. Das Gehirn ist also mehr denn je massiven Anforderungen ausgesetzt, die sich nicht immer vereinen lassen. Das Ergebnis: Überforderung und Stress. Sie führen zu Erschöpfung und machen auf Dauer krank. Ein ganzer Zeitgeist in Form unzähliger Ratgeber, Coaches und Kursangebote drängt uns deshalb dazu, zu meditieren oder achtsamer zu leben. Das führe zu mehr Entspannung und Gelassenheit. Aber ist es wirklich so einfach? Was ist dran an diesen Versprechungen?

Dass Achtsamkeitsmeditationen einen Einfluss auf die Gemütslage haben, ist heute zwar mehr oder weniger unbestritten. Aber was genau im Gehirn von Menschen passiert, die regelmäßig meditieren, und welche langfristigen Effekte sich ergeben, ist weniger eindeutig. Wir haben uns auf Spurensuche begeben und für die Titelgeschichte recherchiert, was der aktuelle Forschungsstand ist (Seite 16).

Aber nicht nur mehr Achtsamkeit soll unser gestresstes Gehirn zur Ruhe bringen. Forscherinnen und Forscher versuchen auch, mittels Neuromodulationen die Gehirntätigkeit direkt zu beeinflussen – beispielsweise bei der Behandlung von Depressionen (Seite 24) oder um auf künstlichem Wege Zustände zu erreichen, die sich bei Meditierenden einstellen (Seite 26).

Die Forschung macht zwar Fortschritte bei der Frage, wie das Gehirn eigentlich genau funktioniert. Trotzdem sind wir noch weit davon entfernt, seine Funktionsweise umfassend zu verstehen. Dieses Verständnis wäre aber hilfreich, um intelligentere Maschinen zu bauen, glaubt Jeff Hawkins (Seite 32). Der Palm-Gründer, der sich heute intensiv mit Gehirnforschung beschäftigt, erklärt im Interview seine Theorie dazu und sagt: „Wir haben 1000 oder sogar 100 000 Vorstellungen der Welt in unserem Kopf.“

Mehr Chaos in den Köpfen wird wohl Mark Zuckerberg mit seiner Vision von einer Welt ganz anderer Art schaffen. Sein Metaverse soll die digitale und physische Dimension vereinen und die klassischen Social-Media-Erfahrungen auf eine neue Stufe heben. Wie ernst es der Facebook-Chef mit seiner Vision meint, zeigt die erst kürzlich vorgenommene Umbenennung des Konzerns in „Meta“. Vermutlich ist es aber auch nur eine geschickte Strategie, um von den Skandalen abzulenken, die den Konzern durch die Enthüllungen der Whistleblowerin Frances Haugen in eine erneute PR-Krise stürzte. Flucht nach vorne sozusagen. Was steckt aber genau hinter den Metaverse-Plänen? Wir klären auf (Seite 60).

Ihr

​Luca Caracciolo

@papierjunge