MIT Technology Review 1/2022
S. 104
Fundamente
Jubiläum
Mariner 9 war vor 50 Jahren das erste Raumfahrzeug, das einen fremden Planeten umkreiste.
Foto: Nasa

Auf Kufen über den Mars

Vor 50 Jahren lieferten sich USA und Sowjetunion ein Wettrennen um die Erforschung des Roten Planeten. Einiges davon blieb lange geheim.

Der Wettlauf zum Mond war 1971 längst entschieden. Doch beim Mars blieb das Rennen zwischen USA und Sowjetunion weiterhin offen. Die Nase vorn hatten zunächst die Vereinigten Staaten. Ihre Zwillingssonden Mariner 6 und Mariner 7 kamen 1969 auf Vorbeiflügen bis auf 3 430 Kilometer an den Roten Planeten heran und erhaschten dabei jeweils ein paar Dutzend Bilder. Nachfolger Mariner 8 sollte anschließend als erstes irdisches Raumfahrzeug in den Orbit eines fremden Planeten einschwenken, um ihn in Ruhe kartieren und untersuchen zu können.

Bei den Sowjets waren bis dato alle Mars-Missionen gescheitert. Trotzdem entwickelten sie deutlich ehrgeizigere Pläne als die USA. Ihre baugleichen Sonden Mars 2 und Mars 3 sollten den Roten Planeten nicht nur umkreisen, sondern dort auch 450 Kilogramm schwere Lander absetzen, die jeweils wiederum eigene Rover an Bord hatten. Diese PrOP-M genannten Vehikel wogen rund 4,5 Kilogramm und hatten etwa die Grundfläche eines DIN-A4-Blattes. Sie waren mit 15 Meter langen Kabeln an ihren Lander angebunden und konnten sich – ähnlich wie Skilangläufer – auf Kufen fortbewegen, um den Marsboden in der Umgebung zu untersuchen.

Da sich die Rover wegen der mehrere Minuten langen Signallaufzeit zwischen Erde und Mars nicht fernsteuern ließen, hatten die sowjetischen Ingenieure ihnen so etwas wie eine basale eigene Intelligenz mitgegeben – etwa auf dem Niveau eines einfachen Staubsauger-Roboters. Stießen ihre mechanischen Kontaktsensoren gegen ein Hindernis, krochen die Rover ein paar Schritte zurück und versuchten es in einer etwas anderen Richtung noch einmal.

Der kleine russische Rover PrOP-M war das erste menschengemachte Objekt, das je auf den Mars gelangte.
Foto: NASA

Im Mai 1971 nutzen sowohl USA als auch Sowjetunion ein günstiges Startfenster für ihre Missionen. Die Amerikaner hatten dabei einen denkbar schlechten Start. Am 9. Mai 1971 sollte eine Centaur-Rakete den knapp eine Tonne schweren Mariner 8 ins All bringen. Doch die Oberstufe versagte, und 365 Sekunden nach dem Abheben stürzte die Sonde in den Atlantik.

Die Sowjets hatten zunächst mehr Erfolg: Am 19. und 29. Mai starteten ihre beiden gut viereinhalb Tonnen schweren Sonden planmäßig in Baikonur. Am Mars angekommen, wendete sich jedoch das Blatt. Der Lander von Mars 2 stürzte am 27. November ab, weil sich sein Fallschirm nicht öffnete. Immerhin ging er als erstes menschengemachtes Objekt auf dem Mars in die Geschichte ein. Sein Pendant von Mars 3 erreichte am 2. Dezember zwar sicher den Boden, konnte aber nur 20 Sekunden lang Bilder senden. Möglicherweise wurde der Lander Opfer eines der stärksten Staubstürme, die je auf dem Mars beobachtet wurden.

Die beiden Orbiter waren von diesem Sturm zwar nicht unmittelbar betroffen, allerdings verknipsten sie – fest programmiert – ihr ganzes chemisches Filmmaterial für einen Mars, auf dem außer Staub wenig zu sehen war.

Am 30. Mai hatten die USA unterdessen Mariner 9 auf die Reise geschickt. Mitte November schwenkte die Sonde in eine 1 400 bis 18 000 Kilometer hohe Mars-Umlaufbahn ein. Auch ihre ersten Bilder zeigten lediglich ein paar hohe Vulkane, die aus dem Staub herausragten. Doch als sich der Sturm nach ein paar Wochen legte, konnte sie mit ihrer elektronischen Kamera mehr als 7 000 Bilder zur Erde schicken. Dadurch entstand die erste globale Mars-Karte.

Wegen eines Lecks in einem Gastank musste Mariner 9 im Oktober 1972 abgeschaltet werden. Die Sonde kreist immer noch um den Mars – bis jetzt. 2022 wird sie voraussichtlich in die Atmosphäre eintreten und abstürzen.

Von den Pioniertaten der Sowjets erfuhr die Welt erst 1990. Bis dahin hatte die UdSSR die Existenz ihrer Rover geheim gehalten. Es sollte noch sieben weitere Jahre dauern, bis die Nasa mit Sojourner den ersten funktionierenden Roboter auf dem Mars melden konnte. Gregor Honsel