MIT Technology Review 1/2022
S. 105
Fundamente
Rückschau

Und dann kam Covid-19

An dieser Stelle blicken wir auf frühere Artikel zurück, die in MIT Technology Review erschienen sind und die Themen behandelt haben, die heute aktuell sind. Diesmal: mRNA-Impfungen gegen Krebs.

Die Technology Review schrieb im Februar 2012 über Impfstoffe aus RNA: „Seine Geschäftsidee könnte die Behandlung von Krebs bedeutend voranbringen: Hoerr will bereits erkrankte Patienten gegen die Krankheit impfen und sie damit langfristig immun gegen einen Rückfall machen – ohne Nebenwirkungen.“ „Hoerr“ ist der Biologe Ingmar Hoerr, der in Tübingen das Biotech-Unternehmen Curevac gegründet hat. Er war Vorreiter genau der mRNA-Technologie, die jetzt als Covid-19-Impfstoff in Arme gespritzt wird. Dabei ist der ein aus der Not der Pandemie geborenes Produkt, das auf der jahrelangen Forschung an Krebsimpfstoffen basiert.

TECHNOLOGY REVIEW 2/2012: Ende der Tarnung

Die Idee, das Immunsystem gegen Krebszellen zu aktivieren, war damals nicht neu. Neu war jedoch, dafür mRNA als Impfstoff zu nutzen. Sie sollte das Immunsystem gegen die Merkmale der Krebszellen wachrütteln. Denn eine der Tücken von Krebs ist, dass die Unterschiede zwischen normalen Körperzellen und den entarteten Krebszellen für das Immunsystem nur schwierig auszumachen sind. Jeder Krebs hat seinen Ursprung in einer ganz gewöhnlichen, gesunden Körperzelle, die das Immunsystem in Ruhe lässt.

Das ist ein Grund, weshalb bislang alle Versuche, Krebsimpfstoffe zu entwickeln, enttäuscht haben. Zwar gelang es durchaus, das Leben von Patienten um einige Monate zu verlängern – das Leben der Patienten retten konnte das geimpfte Immunsystem bislang nicht. Ein anderer Grund ist, dass Krebs eine sehr individuelle Erkrankung ist – jeder Krebs ist anders. Allerdings haben spezielle Tumorarten durchaus Gemeinsamkeiten und da setzen allgemeine mRNA-Vakzine an.

Derzeit ist beispielsweise ein Impfstoffkandidat von Biontech gegen Schwarzen Hautkrebs in der klinischen Phase II. In dieser Phase geht es darum, ob das neue Medikament im Menschen so wirkt, wie die Forschenden aus Labor- und Tierversuchen abgeleitet haben. Von anderen Firmen sind Impfungen gegen Bauchspeicheldrüsen-, Brust- und Prostatakrebs in frühen klinischen Studien. Wie schwierig die Entwicklung von Krebsimpfstoffen ist, muss derzeit Curevac erfahren: Erst scheiterte 2017 sein Impfprojekt gegen Prostatakrebs in einer Phase-II-Studie daran, dass es letztlich das Gesamtüberleben der Patienten nicht verbessern konnte. Und kürzlich ist auch eine Kombinationstherapie aus mRNA-Impfstoff und einem Medikament von Boehringer in klinischen Studien gescheitert.

Bisher hat es noch kein Kandidat in eine Phase-III-Studie geschafft – aber das Forschungsfeld ist noch jung und hat mit Biontech einen neuen Hoffnungsträger. Die Idee der Forschenden bei Biontech: individualisierte mRNA-Impfstoffe herzustellen, passend zum Krebs jedes einzelnen Patienten. Ein Ansatz, der sich überhaupt erst mit der mRNA-Technologie umsetzen lässt, da mRNA schnell und kostengünstig im Labor zusammengebaut werden kann. Jo Schilling