MIT Technology Review 1/2022
S. 16
Fokus
Digitalisierung

Mehr Digitalisierung wagen

Irgendwo zwischen Dauerbrenner und Dauerbaustelle: Die Digitalisierung des Landes ist dringend notwendig – und schleppt sich doch nur so dahin. Die neue Koalition will der Bundesrepublik nun wirklich ein Update verschaffen. Eine Spurensuche zeigt: Elan und Ideen sind ausreichend vorhanden. Doch reicht das?

Von Steffen Ermisch und Manuel Heckel

Per Mausklick zur Mülltonne: Die knapp 5000 Einwohner der Stadt Tengen können ihre Abfallbehälter außer am Telefon oder beim Besuch auf dem Amt seit zwei Jahren auch online anmelden, abmelden oder ummelden. Um die 300-mal im Jahr haben die Bürger müllbezogene Anliegen – „einer der am häufigsten genutzten Verwaltungsvorgänge, bei dem allein die Kommune zuständig ist“, sagt Bürgermeister Marian Schreier.

Er übernahm das Amt in der Stadt unweit des Bodensees im Jahr 2015, da war er gerade einmal 25 Jahre alt. Zu den Wahlkampfversprechen gehörte auch ein digitales Beschwerdemanagement. Wer heute kaputte Straßenlaternen oder Schlaglöcher melden will, kann das direkt in einer Kartenansicht tun. Die Mängel laufen nun an zentraler Stelle im Bauamt ein – dort muss sie jemand noch händisch an die passenden Ansprechpartner der 20-köpfigen Verwaltung verteilen. Eine automatisierte Zuordnung zu den Sachbearbeitern? Soll bald kommen. „Geduld lernt man im Verwaltungsumfeld sehr schnell“, sagt Bürgermeister Schreier. Mit viel Engagement lässt sich einiges vom Schreibtisch in die Cloud verschieben – und doch werden viele Vorkämpfer für die Digitalisierung immer wieder ausgebremst. Einige Vorgänge ließen sich rein digital abwickeln, schreibt etwa die Kommune an der Schweizer Grenze auf ihrer Homepage. „Bei der Mehrzahl ist es jedoch erforderlich, dass Sie das Formular ausdrucken, unterschreiben und an die Stadtverwaltung schicken.“