MIT Technology Review 3/2022
S. 3
Editorial
, Foto: Ricardo Wiesinger
Foto: Ricardo Wiesinger

Liebe Leserinnen und Leser,

Wie schnell Gewissheiten zerbrechen können, zeigt der Krieg in der Ukraine nur zu gut. Die menschliche Katastrophe, die sich dort abspielt, ist kaum in Worte zu fassen.

Was der Krieg aber auch ausgelöst hat, ist ein großes Umdenken bezüglich unserer Energiepolitik. Das ist auch bitter nötig, schließlich bezieht Deutschland über 50 Prozent des hierzulande verbrauchten Erdgases aus Russland. Und mit Nord Stream 2 sollte diese Versorgung auch in Zukunft sichergestellt werden. Über Nord Stream 2 spricht niemand mehr, stattdessen liegt eine Vielzahl an Optionen auf dem Tisch, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Nur welche sind die sinnvollsten?

Wir haben uns dazu entschieden, unsere ursprünglichen Titelpläne umzuschmeißen und genau diese kurz-, mittel- und langfristigen Optionen zu beleuchten. Wie kurzfristig kann Deutschland den Import von flüssigem Erdgas (LNG) erhöhen (Seite 24)? Welche Rolle können Stromimporte zum Beispiel in Form von Wasserstoff spielen (Seite 34)? Welchen Einfluss hat die derzeitige Energiekrise mittelfristig auf den Ausbau der Erneuerbaren (Seite 14)? Bis 2030 will Deutschland schließlich 80 Prozent des Stroms aus entsprechenden Energiequellen gewinnen.

Und wir schauen auch auf langfristige Optionen: Wie realistisch ist zum Beispiel eine kommerzielle Nutzung der Kernfusion (Seite 38)? Die Kernreaktion in der Sonne kontrolliert auf der Erde durchzuführen, könnte uns eine nahezu unerschöpfliche Energiequelle bringen. Allerdings sind die Herausforderungen immens – die Reaktion läuft nämlich nur bei einer Temperatur von mehreren Millionen Grad Celsius ab.

Krisen führen ja oft zu substanziellen Veränderungen. Wir haben jetzt endlich die Chance, uns vom russischen Gas unabhängiger zu machen. Aber bei aller Bedeutung der Versorgungssicherheit: Wichtig ist es auch, die Klimaziele nicht aus dem Blick zu verlieren. Wir sollten jetzt keine Infrastrukturen schaffen, die wir später wieder bereuen – und deshalb zum Beispiel LNG-Terminals so bauen, dass sich darüber in Zukunft auch Wasserstoff importieren lässt. Das sind wir den künftigen Generationen schuldig.

Ihr

Luca Caracciolo

@papierjunge