MIT Technology Review 5/2022
S. 110
Review
Meinung

Schwein, Vogel, Mensch: Pandemischer Influenza-Mix?

Derzeit zeichnen sich weltweit die Vorzeichen für die nächste Grippe-Welle ab und sie skizzieren ein bedrohliches Bild für die kommende Saison. Aber wir reden nur über kostenlose Covid-Tests und Maskenpflicht.

Die Covid-19-Pandemie hat uns gezeigt, wie verletzlich wir sind, wenn ein neuer Krankheitserreger es schafft, die Artgrenzen zu durchbrechen und aus dem Tierreich auf Menschen überzuspringen. Sensibilisiert für die Gefahren, registriert die waidwunde Gesellschaft nun Epidemien, die noch vor zwei Jahren vermutlich unterhalb des Aufmerksamkeitsradars stattgefunden hätten: Affenpocken, schwere Hepatiden bei Kindern, kleine RSV-Patienten im Sommer. RSV, das Respiratorische Syncytial Virus, hat normalerweise im Winter Hochsaison. Bisher von der Öffentlichkeit unbemerkt mischt auch die Grippe bereits mit. Die Arbeitsgemeinschaft Influenza des Robert-Koch-Instituts hat Ende April bereits festgestellt, dass „die Influenza-Positivenrate seit der 17. KW 2022 eine Höhe erreicht hat, die die Definition der saisonalen Grippewelle, die sonst typischerweise im Winter auftritt, erfüllt“.

Im Gegensatz zu SARS-CoV-2 sind all diese Krankheitserreger alte Bekannte. Sie sind die gleichen wie in den letzten Jahren – von saisonalen Schwankungen einmal abgesehen. Wir haben uns an sie gewöhnt, fühlen uns nicht bedroht. Das sollten wir aber, denn zwei Jahre lang haben unsere Kinder nicht die ganzen kleinen und großen Infekte aus Kita und Schule in die Familien getragen, die wir dann an die Kollegen weitergegeben haben. Wir haben uns nicht in der U-Bahn angehustet und uns nicht im Freundeskreis umarmt. So trainiert sonst eine ganze Gesellschaft ihr Immunsystem. Um das Gleichgewicht zwischen Krankheitserregern und uns zu stören, muss sich ein Partner im System verändern – und das muss nicht das Virus sein.