81% für die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien

Trotz des spanischen Verbots der Befragung haben sich zwei Millionen klar und deutlich für Katalonien als eigenen Staat ausgesprochen

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Als "vollen Erfolg" bezeichnete der Präsident der katalanischen Regionalregierung Artur Mas die Befragung der Bevölkerung am gestrigen Sonntag. Trotz des Verbots und der Drohungen mit Repressalien aus Spanien gegen die Organisatoren und Teilnehmer haben sich in Katalonien 2.250.000 Bewohner an der Abstimmung beteiligt. Angesichts von knapp 5,5 Millionen Wahlberechtigten (wie beim Referendum über die schottische Unabhängigkeit durften auch 16-Jährige teilnehmen) ist das nach den dauerhaften Versuchen, die Abstimmung zu verhindern, tatsächlich eine erneute eindrückliche zivilgesellschaftliche Demonstration der Katalanen. Sie haben erneut gezeigt, wie gut sie organisiert sind. Mehr als 40.000 Freiwillige haben für eine reibungslose Durchführung gesorgt, zum Teil bildeten sich bis zu 400 Meter lange Schlangen vor den Wahllokalen.

Nun hat man, anders als bei den bisherigen Massendemonstrationen (Katalonien: Nächste Station Unabhängigkeit), ein klares Stimmungsbild. Denn die Wähler mussten sich ausweisen und ihr Ausweis wurde in Listen registriert, um Transparenz und Überprüfbarkeit zu gewährleisten. Davon haben gut 100.000, also nicht einmal 4,5 %, mit Nein auf die Frage geantwortet: "Wollen Sie, dass Katalonien ein Staat ist?" Der Rest hat fast ausschließlich mit Ja geantwortet und musste dann auch die zweite Frage beantworten. "Wollen Sie, dass dieser Staat unabhängig sein soll?" 81% haben zugestimmt. Man beachte, dass beim Referendum über das Autonomiestatut 2006, das später vom spanischen Verfassungsgericht noch weiter beschnitten und die Katalanen aufgebracht hat, mit 2,5 Millionen sich nur unwesentlich mehr Menschen teilgenommen haben. Damals sprachen sich 74% dafür aus.

Trotz dieser massiven Meinungsäußerung spricht die spanische Regierung von einem "nutzlosen Trugbild". Das erklärte der Justizminister Rafael Catalá. Und es zeigt sich, dass die Ultrakonservativen nun der Abstimmung jede Legitimation absprechen wollen, weil sie nicht wie geplant mit allen Garantien durchgeführt werden konnte. Doch es war die Volkspartei (PP), die eine unverbindliche Befragung mit allen Garantien und mit Zugriff auf das Wählerverzeichnis verbieten ließ (Spanischer Verbotsrekord). Sie haben zwar auch die Befragung light verbieten lassen, trauten sich aber offensichtlich nicht, den Akt des zivilen Ungehorsams zu unterbinden, die Wahllokale von der Polizei schließen und die Wahlurnen beschlagnahmen zu lassen. Das hatte die ultranationalistische Partei "Union, Volk und Demokratie" (UPyD) noch am Sonntag bei der Staatsanwaltschaft beantragt.

Catalá behauptet angesichts der Niederlage gegenüber der katalanischen Zivilgesellschaft, der katalanische Regierungschef wolle sein "Scheitern verdecken", weil er seine eigentlich geplante Befragung nicht durchführen konnte. Weiter droht er mit strafrechtlicher Verfolgung, weil es zu einer demokratischen Meinungsbildung kam. Die Staatsanwaltschaft prüfe, ob es strafrechtsrelevante Vorgänge gab.

Das PP-Führungsmitglied Esteban González Pons erwartet, dass Mas bestraft wird, weil "öffentliche Gelder und Ressourcen" verwendet worden seien. Das klingt merkwürdig aus dem Mund eines Parteiführers, dessen Partei in zahllose Korruptionsfälle bis in die Spitze verstrickt ist, woraus keine Konsequenzen gezogen werden. Der frühere PP-Schatzmeister hat gestanden, dass sich die PP mehr als 20 Jahre über Schmiergelder illegal finanziert hat (Spanischer Ministerpräsident in Schmiergeldaffäre belastet). González Pons drohte auch den "Beamten" und "Schuldirektoren", die ihre Schulen zur Verfügung gestellt haben, dass sie "für die Beteiligung" bezahlen müssten. "Niemand sollte glauben, dass Gesetzesbrüche gratis sind."

"Jede Nation hat das Recht, über ihre Zukunft zu entscheiden"

Der katalanische Regierungschef wandte sich noch in der Nacht auf Montag auch auf Englisch, Französisch und Spanisch an die zahllosen internationalen Pressevertreter, die nach Barcelona gereist waren. Mit der Abstimmung habe die Bevölkerung klargemacht, dass Katalonien über sich selbst bestimmen will: "Das ist ein Anspruch der über viele Jahrhunderte intakt geblieben ist." Der Regierung und den Sozialisten, welche die Verfassungsklage gegen die Volksbefragung unterstützt haben, warf er "Kurzsichtigkeit, Gleichgültigkeit und Intoleranz" vor.

In "demokratisch reifen Staaten" könne auch verbindlich über die Unabhängigkeit per Referendum abgestimmt werden, erklärte Mas und verwies dabei auf Schottland und Quebec. "Auch Katalonien will über seine Zukunft entscheiden und jede Nation hat das Recht dazu." Er rief alle dazu auf, die Katalanen dabei zu unterstützen. Mas forderte Verhandlungen von Spanien, um sich auf ein Referendum zu einigen, wie es Schotten und Briten vorgemacht haben. "Wir verdienen ein legales Referendum", sagte er. Er vermutet aber, dass die spanische Regierung weiter verweigert.

Der Ministerpräsident Mariano Rajoy meint ohnehin, dass anders als in Kanada oder Großbritannien über diese Frage könnten nur alle Spanier entscheiden sollen. Doch auch ein solches Referendum setzt er nicht an, sondern erklärt: "Solange ich Regierungschef bin, wird die Verfassung eingehalten." Und er fügt hinzu: "Niemand wird die Einheit Spaniens zerbrechen." Doch das kann sich schon im nächsten Herbst ändern. Denn seine abstürzende PP wird nach Umfragen von der neuen Empörten-Partei Podemos (Wir können es) überflügelt, die das Selbstbestimmungsrecht von Katalanen und Basken verteidigt.

Mas hat auch klargestellt, der weitere Weg in Katalonien könne auch über vorgezogene Neuwahlen mit plebiszitärem Charakter führen, wenn sich Spanien weiter Verhandlungen über ein verbindliches Referendum verweigert. Die Republikanische Linke (ERC), die die christdemokratische CiU von Mas bei den Europaparlamentswahlen und bei Umfragen schon überflügelt hat, fordert Neuwahlen schon klar und deutlich. Das hat der ERC-Chef Oriol Junqueras im Interview bekräftigt. Er will "lieber heute als morgen" wählen lassen.

Grundsätzlich ist auch Mas nach diesem klaren Votum dazu nicht mehr abgeneigt. Er appelliert aber, dass man einig schneller zum Ziel komme. Der schlaue Fuchs will alle vier Parteien, die klar für das Selbstbestimmungsrecht eintreten, auf einer Liste mit einem klaren Programmpunkt zusammenfassen: Unabhängigkeit. Damit will Mas sicherstellen, falls Katalonien einseitig die Unabhängigkeit nach Vorbild des Kosovo (unterstützt von der EU) erklären muss, dass er und nicht die Linke am Steuer sitzt.