Der Hammer, der Tanz und die zweite Welle

Große Mehrheit der Deutschen fürchtet Coronavirus nicht mehr, scheut aber vor Reisen außerhalb Deutschlands zurück. Preisgekrönter Podcaster Drosten geht mit warnenden Worten in die Sommerpause

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Christian Drosten glaubt zwar nicht, dass die Ansteckungen in den Zerlegebetrieben oder ähnliche Umgebungssituationen, "(…) das am Ende, das sein wird, was uns in eine zweite Welle führt". Er denkt jedoch: "Wir müssen schon jetzt ganz vorsichtig sein mit der Entwicklung einer zweiten Welle", so der Virologe in seinem vorläufig letzten Podcast, bevor er sich in die Sommerpause verabschiedete.

In Deutschland habe man Ruhe gewonnen durch das "sehr effiziente frühe Bremsen". Aber: "Wir sehen jetzt auch, wie das Virus wiederkommt." Und: "In zwei Monaten, denke ich, werden wir ein Problem haben, wenn wir nicht jetzt wieder alle Alarmsensoren anschalten."

Auch RKI-Chef Lothar Wieler orakelt:

"Wir müssen weiterhin achtsam sein! Wenn wir ihm [dem Corona-Virus, Anm. d. Red.] die Chance geben, sich auszubreiten, nimmt es sich diese Chance. Das sieht man an den derzeitigen Ausbruchsgeschehen. (...) Ich denke nicht, dass die Lockerungen völlig folgenlos bleiben werden."

Drosten, der in den letzten Wochen mit Medien wegen einer Berichterstattung haderte, die seiner Auffassung nach seine Aussagen verzerrten, geht mit einem Grimme-Online-Preis in die Ferien. Die Wertschätzung ist geteilt. Drosten polarisiert. Den einen ist der beliebteste deutsche Virologe die große, unbestrittene Autorität. Für andere ist der Virologe umstritten, da er wegen seiner Regierungsnähe als Teil einer Autorität wahrgenommen wird, die übertrieben auf Angstmachen der Bevölkerung setzte (siehe das "Hammer and Dance"-Konzept in einem Regierungspapier, in dem es hieß: "Der Worst Case ist mit allen Folgen für die Bevölkerung in Deutschland unmissverständlich, entschlossen und transparent zu verdeutlichen.").

Mittlerweile macht sich die überwiegende Mehrheit der Deutschen, 75 %, keine großen Sorgen mehr über eine Ansteckung mit dem Coronavirus, wie der aktuelle ARD-DeutschlandTrend ermittelt. Die Befragung von rund tausend Wahlberechtigten fand am Dienstag und Mittwoch dieser Woche statt (23. und 24. Juni), da war der Ausbruch der Infektionen in Gütersloh schon in den Nachrichten.

Lediglich knapp ein Viertel, 24 Prozent, macht sich "große oder sehr große Sorgen über eine Corona-Infektion", so die ARD. Mitte März seien es noch 55 Prozent gewesen, bis Anfang Mai der Wert sank und seither stabil bei rund einem Viertel der Deutschen bleibe.

Kommt nach dem pädagogischen Hammer jetzt der tänzelnde Leichtsinn? Die Wirklichkeit sieht anders aus. Es ist ja nicht gesagt, dass die 75 Prozent, die sich "weniger große" oder "kleine" Sorgen machen, allesamt auch unvorsichtig handeln. Angedeutet wird das schon mit dem Bärenanteil von 47 Prozent, die sich laut Umfragen "weniger große Sorgen machen". Dass der große Schrecken erstmal vorbei ist, heißt nicht, dass jetzt Unvernunft herrscht. Wie kürzlich bei fefe zum Thema "Statistiken und Coronavirus" zu lesen war, lässt der Streit über Grundannahmen zu Statistiken u.a. auch den Schluss zu, dass sich Teile der Bevölkerung schon vor der verordneten Quarantäne auf die Corona-Situation eingestellt hatten.

Die Skepsis gegenüber den Infektionszahlen, dem Zustandekommen von furchterregenden Todeszahlen sowie anderen Richtzahlen und Maßgaben, die die Bundesregierung immer wieder ausgetauscht hatte, ist nicht gleichzusetzen mit einem infektionsfördernden Verhalten.

Auch Drosten spricht in seinem Podcast die sogenannte 50er-Grenze an. Die politische Vorgabe, dass Lockerungen wieder zurückgenommen werden, wenn in einem Landkreis in den vergangenen sieben Tagen mehr als 50 gemeldete Corona-Fälle pro 100.000 Einwohner verzeichnet werden, sei keine wissenschaftlich festgelegte Zahl, sondern eine politische, so Drosten. Davon muss man nicht überzeugt sein, ob man deswegen aber zum Mundschutz-Rebellen wird und unbesonnen handelt?

Die Situation hat sich seit Ende März verändert. Die aktuellen Corona-Zahlen bleiben hinter den worst-case-Szenarien zurück, die Angst vor dem exponentiellem Wachstum wurde nicht bestätigt. Für die Annahme, dass dies dennoch nicht die Vorsicht untergräbt, spricht auch eine andere Aussage des ARD-DeutschlandTrends:

Von denjenigen, die sich mit Blick auf den Sommerurlaub schon festgelegt haben, gibt mehr als die Hälfte (51 Prozent) an, zuhause zu bleiben. Ein gutes Drittel (35 Prozent) plant eine Urlaubsreise innerhalb Deutschlands. Nur 17 Prozent wollen ins europäische Ausland reisen. Zwei Prozent können sich vorstellen, ihren Urlaub außerhalb von Europa zu verbringen. Im Vergleich zu einer Umfrage Mitte Mai geht der Wunsch, ins Ausland zu reisen, sogar leicht zurück.

ARD

Möglicherwiese spielt dabei auch die Befürchtung mit, dass Maßnahmen in den Urlaubsländern als derart beschränkend empfunden werden, dass man lieber keine Flugreise unternimmt und sich Risiken aussetzt, die man zuhause besser im Griff hat. Kein gutes Licht wirft im Sinne der Förderung eines selbstständigen Umgangs mit diesen Risiken die polemische Schlagseite, die Berichten über die Lage in Schweden auffallend oft mitgegeben wird.