Der Streit um sechseckige Pommes Frites

Anfang der neunziger Jahre spielte sich in Belgien eine Posse ab, die als "Frittenkrieg" in die Landesgeschichte einging

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Telepolis blickt zurück auf einen Streit, in dem die Mathematik eine nicht unwesentliche Rolle spielte. Stein des Anstoßes im Frittenkrieg war – der Name deutet es an – nichts Geringeres als das Lieblingsgericht der Belgier: in Öl gebackene Kartoffelstäbchen, besser bekannt unter dem Namen „Pommes Frites“. Diese sind traditionell im Querschnitt quadratisch – aber ist das wirklich die optimale Form?

Nein, so meinen zumindest Mathematiker und Feinschmecker, quadratisch ist bei einem Pommes Frites weder praktisch noch gut. Die ideale Fritte ist dagegen rund. Runde Pommes sind nämlich durch ihre Gleichmäßigkeit gut zu frittieren und bieten bei gleicher Masse weniger Oberfläche, durch die das Fett eindringen kann. Dies liegt daran, dass der Umfang eines Kreises im Vergleich zu einem Quadrat um etwa 11 Prozent kleiner ist (bei gleicher Fläche). Die übliche quadratische Pommes-Form ist dagegen weniger friteusenfreundlich. Eine quadratische Fritte mit 10 Millimetern Dicke hat eine Diagonale von etwa 14 Millimetern. Durch diesen Unterschied kann die Hitze des Bratfetts das Innere eines Kartoffelstäbchens nicht gleichmäßig erreichen, was zu längeren Garzeiten führt. Dies kostet nicht nur unnötige Energie, sondern führt auch dazu, dass viereckige Pommes mehr Fett aufsaugen als runde.

Sechsecke (links) lassen sich lückenlos aneinander legen. Bei Kreisen (Mitte) und Achtecken (rechts) entstehen dagegen Lücken. Bei der Pommes-Herstellung verursachen diese Abfall.

Doch runde Pommes Frites haben einen Nachteil: Bei ihrer Herstellung fällt unnötig viel Abfall an. Dies liegt an der geometrischen Tatsache, dass sich mit Kreisen eine Fläche nicht lückenlos ausfüllen lässt. Etwa 21 Prozent der Kartoffelmasse gehen daher im Schnitt verloren, wenn eine Fritte die Form einer Zigarette hat. Das ist eine unnötige Lebensmittel-Verschwendung, für die weder Mathematiker noch Feinschmecker die Verantwortung übernehmen wollen.

Besser geeignet sind daher sechseckige Pommes Frites. Sechsecke lassen sich gleicher Größe aneinander legen, ohne dass ein Leerraum dazwischen entsteht. Dadurch kann man sechseckige Pommes ohne Abfall produzieren (abgesehen vom Rand der Kartoffel). Natürlich ist ein sechseckiges Kartoffelstäbchen deutlich besser zu frittieren als ein viereckiges. Ist eine sechseckige Fritte an der dünnsten Stelle 10 Millimeter dick, dann misst sie an der dicksten nur 11,5 Millimeter. Durch diesen geringen Unterschied ist ein gleichmäßigeres Erhitzen in der Friteuse möglich. Natürlich wäre es noch besser, einem Pommes Frites eine achteckige oder gar zehneckige Form zu verpassen. Doch dann würde wieder Abfall entstehen. Das Sechseck ist nämlich neben dem Dreieck und dem Viereck das einzige Vieleck, das eine Fläche ohne Rest ausfüllt.

Die Vorteile sechseckiger Pommes sind sogar wissenschaftlich nachgewiesen. In den neunziger Jahren untersuchte eine Forschergruppe in Belgien (wo sonst?) die ungewöhnlich geformten Kartoffelstäbchen und kam zu einem erstaunlichen Ergebnis: Die kürzere Frittierzeit und die geringere Oberfläche der sechseckigen Fritten sorgen für 20 Prozent weniger Fett. Dies spart bei einer Portion von 250 Gramm fast 100 Kalorien, also den Gegenwert eines Nachtischs.

Schon bevor die Wissenschaft sich der sechseckigen Pommes annahm, taten dies zwei Erfinder – natürlich ebenfalls in Belgien. 1987 meldete der Italo-Belgier Giuseppe Bonsignore die sechseckigen Fritten zum Patent an. Dies brachte Bonsignore eine Silbermedaille bei der internationalen Erfindermesse Eureka ein – und obendrein eine Menge Ärger. Denn 1989 ging der flämische Kartoffelhändler Roland Stroobandt ebenfalls zum Patentamt und ließ dort sechseckige Pommes registrieren. Allerdings beantragte er keinen Patent-, sondern einen Markenschutz. Dadurch fiel nicht auf, dass zu diesem Zeitpunkt bereits die von Bonsignore gestartete Patentierung lief.

Robert Stroobandt ließ sich eine Maschine zur Herstellung sechseckiger Pommes patentieren. Bild Quelle: Patentschrift.

1990 kam es zum Eklat. Stroobandt brüstete sich öffentlich als Erfinder der sechseckigen Pommes und berief sich dabei auf seine Markenanmeldung. Es gelang ihm sogar, seine Entwicklung an den europäischen Pommes-Marktführer Aviko zu lizenzieren. Dies brachte verständlicherweise Guiseppe Bonsignore auf die Palme, der sich als wahren Erfinder der Sechskant-Fritten betrachtete. Der Fitten-Krieg war perfekt, als Bonsignore auf einer Werbeveranstaltung Stroobandts pressewirksam als Störenfried auftrat. Der geprellte Erfinder zog schließlich vor Gericht – und bekam Recht. Die Richterin entschied, dass Bonsignores (älteres) Patent mehr wog als der Markenschutz Stroobants. Letzterem blieb nur das Patent für eine Maschine zur Herstellung der sechseckigen Pommes, das er 1991 eingereicht hatte.

Giuseppe Bonsignores Aufstieg zum Self-made-Millionär stand nun nichts mehr im Weg – außer den Kunden natürlich. Genau diese spielten jedoch nicht so recht mit. Offenbar verstanden die Belgier bezüglich ihrer geliebten Fritten keinen Spaß, selbst wenn sich dieser mathematisch begründen ließ. Aviko nahm die sechseckigen Pommes daher schon bald wieder aus dem Programm, auch sonst war das Interesse an den neuartigen Stäbchen deutlich geringer als zuvor am Fritten-Krieg. Trotz allem bietet Bonsignore die sechseckigen Pommes bis heute auf seiner Web-Seite an.

Hamburger in der Form es Kronkorken oder eines Achtecks sind eine weitere Erfindung von Giuseppe Bonsignore. Bild: Patentschrift.

Trotz des bescheidenen Erfolgs kümmerte sich Bonsignore in den Folgejahren um weitere ungewöhnlich geformte Fastfood-Artikel. 1997 wurde ihm ein Patent für achteckige und kronkorkenförmige Hamburger erteilt. Die Patentschrift versprach eine „bessere mikrobiologische Qualität“, die durch eine Vergrößerung der Hamburger-Oberfläche zu Stande kommen sollte. Die Öffentlichkeit nahm jedoch kaum Notiz von diesem innovativen Hamburger-Design.

Die Vorteile des Sechsecks waren der Natur übrigens schon vor dem Fritten-Krieg bekannt. So sind beispielsweise Bienenwaben sechseckig geformt. Der Grund dafür ist offensichtlich: Runde oder achteckige Waben würden den zur Verfügung stehenden Platz nicht ausfüllen – die Folge wären nutzlose Hohlräume. Viereckige oder gar dreieckige Waben würden dagegen mehr Baumaterial erfordern. So sorgte die Evolution im Laufe der Jahrmillionen dafür, dass sich das Sechseck-Muster durchsetzte.

Was den Bienen recht ist, ist Verpackungsindustrie offenbar billig, denn weniger Umfang bedeutet weniger Verpackungsmaterial. Zu den Unternehmen, die sich von dieser Rechnung überzeugen ließen, gehört der Nahrungsmittel-Multi Nestlé. Dieser brachte den Klassiker Smarties 2005 in sechskantiger Verpackung auf den Markt. Bis dahin gab es die Schokolinsen nur in runden oder viereckigen Behältnissen. Erstere verschwenden beim Stapeln Platz, letztere verbrauchen unnötig viel Verpackungsmaterial. Auch andere Produkte – beispielsweise Wodka, Räucherstäbchen oder Süßwaren – werden in sechseckigen Verpackungen angeboten. Nicht zu vergessen natürlich Bleistifte, die bereits seit Jahrhunderten sechseckig hergestellt werden. Hier war eine weitere besondere Eigenschaft des Sechsecks maßgebend: Im Gegensatz zu runden Bleistiften rollen sechseckige nicht so schnell davon.

Klaus Schmeh ist Informatiker und nebenberuflicher Journalist. Er schreibt meist über Verschlüsselung (von diesem Thema handelt auch sein Buch „Codeknacker gegen Codemacher“) und andere populärwissenschaftliche Themen. In Kürze erscheint in der Telepolis-Buchreihe von ihm Versteckte Botschaften. Die faszinierende Geschichte der Steganografie