Die rechtliche Begründung für gezielte Tötungen von US-Bürgern bleibt Staatsgeheimnis

US-Regierung hält bei der Praxis von Verschleppungen und gezielten Tötungen an der rechtlichen Grauzone fest

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Letzte Woche kam es in einem Bezirksgericht in Manhattan zu einer bemerkenswerten Gerichtsentscheidung. Die Richterin Colleen McMahon ließ deutlich durchscheinen, wie sehr es ihr widerstrebt hatte, zwei FOIA-Anträge der New York Times und der Bürgerrechtsorganisation ACLU nach Herausgabe eines Memorandums abzulehnen, das die Legalität der gezielten Tötung durch eine Drohne des US-Bürgers und al-Qaida-Imams Anwar al-Maliki 2011 in Jemen rechtfertigt (US-Drohne tötet al-Qaida-Führer al-Awlaki). Die Regierung habe ein derart rechtliches Ungetüm aufgebaut, so die Richterin, dass ihr erlaubt zu sein scheint, etwas offensichtlich Verfassungswidriges auszuführen und gleichzeitig sicherzustellen, dass die legale Rechtfertigung ein Geheimnis bleibt.

Predator-Drohne mit Hellfire-Raketen. Bild: USAF

Zwar gibt es auch in den USA Kritik an der von US-Präsident Obama ausgebauten Strategie des Drohnenkriegs, durch den Verschleppungen, Verhöre und Inhaftierungen vermieden werden sollen, indem Terrorverdächtige oder Aufständische gleich exekutiert (US-Strategie: Lieber töten, als Gefangene machen). Allerdings wurde gerade wieder ein Fall bekannt, in dem wie unter Bush üblich drei Männer somalischer Abstammung, die als al-Shabab-Mithelfer verdächtigt werden, im August in Dschibuti gefangen genommen wurden.

Das erste Mal hörte man wieder von ihnen, als bekannt wurde, dass sie vom FBI am 21. Dezember 2012 geheim vor einem Gericht in New York angeklagt wurden. Der FBI habe die Männer im November übernommen. Unbekannt ist, von wem und wo sie bis Dezember inhaftiert waren. Vermutlich waren sie von der CIA währenddessen verhört werden, während sie im hilfswilligen Dschibuti ohne Anklage inhaftiert waren. Hilfswillig war auch die britische Regierung. Sie hatte den aus Großbritannien stammenden Mann schnell vor der Festnahme die Staatsbürgerschaft entzogen. Pikant ist die Angelegenheit auch deswegen, weil zwei der Männer die schwedische Staatsbürgerschaft besitzen und einer seit vielen Jahren in Großbritannien lebt. Das fiel natürlich auch gleich Julian Assange auf, der auf dem Twitter-Account von WikiLeaks schrieb: "Did Sweden just illegally render another two Swedes to the US?" Schweden hatte schon kurz nach dem 11.9. zwei Asylbewerber festgenommen und heimlich an die CIA übergeben (Schweden und die CIA-Praxis des Verschleppens von angeblichen "Terroristen" in Folterländer): Assange hatte seine Weigerung, an Schweden ausgeliefert zu werden, auch damit begründet, dass Schweden ihn an die USA ausliefern werde.

Obama hatte zwar bei seinem Amtsantritt 2009 versprochen, Guantanamo zu schließen und Folterverhöre zu beenden, es war aber nie die Rede, die Praxis der Verschleppungen (renditions) einzustellen. Obama ließ diese Türe ebenso offen wie die, Gefangene unbegrenzt festhalten können (Obama will Verschleppungen weiter zulassen, US-Präsident kann weiterhin Menschen unbegrenzt inhaftieren). Der Kongress verweigert weiterhin, dass Guantanamo-Häftlinge in den USA angeklagt werden können, US-Präsident Obama könnte aber mit der Anklage der drei Männer austesten, ob es gelingt, "feindliche Kämpfer", die nicht in Guantanamo waren, vor Zivilgerichten anzuklagen. Der Kongress will dafür lieber weiterhin Militärgerichte einsetzen. Die verworrene rechtliche und politische Situation lässt vermutlich vorerst gezielte Tötungen weiterhin "attraktiver" erscheinen.

Rechtliches Dilemma

Aber wie die Richterin in New York mit großer Frustration deutlich machte, ist die rechtliche Lage hier eigentlich noch unklarer und erinnert an die Zeit kurz nach dem 11.9., als die US-Regierung waghalsige legale Rechtfertigungen für Verschleppung, Folter und unbegrenzte Inhaftierungen von willigen Juristen anfertigen ließ. Diese mitsamt den im Pentagon und in der CIA Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, hatte sich die Obama-Regierung auch nicht getraut. Vermutlich nicht nur, um Schwierigkeiten mit den schwergewichtigen Sicherheitskräften, sondern auch, um eine unerwünschte Klärung zu vermeiden.

Im Fall der gezielten Tötungen, also eigentlich von Auftragsmorden mit Drohnen hat man, wie Colleen McMahon deutlich machte, alles getan, um auch die eigens gestrickte Rechtfertigung im Dunklen zu lassen. Die Richterin klagte, sie habe keinen Weg durch das von der Exekutiven aufgebaute Dickicht an Gesetzen und Präzedenzfällen gefunden, mit dem die Gründe für die "von der Regierung als rechtlich perfekt propagierten Aktionen" geheim gehalten werden können. Sie habe sich in einer legalen Situation befunden, die einem Dilemma, einem "veritable Catch-22", gleicht.

Die Regierung hatte, wie McMahon herausstreicht, eine "umfassende öffentliche Kampagne" durch mehrere Regierungsangehörige wie den Verteidigungs- und Justizminister veranstaltet, um die Tötung von al-Awlaki und anderen US-Bürger wie dessen Sohn zu rechtfertigen (Die USA haben "das Recht und die Pflicht", Terrorverdächtige weltweit zu jagen und zu töten). Die Kläger hatten versucht, damit zu begründen, warum die Regierung das Recht auf Geheimhaltung nicht mehr aufrecht erhalten könne. Für die Richterin waren vor allem die Ausführungen des Justizministers "kryptisch und unpräzis". Er hatte etwa davon gesprochen, dass bei der Entscheidung, einen US-Bürger gezielt zu töten, die durch die Verfassung garantierten Schutzmaßnahmen eingehalten würden, aber ein "rechtlicher Prozess" nicht erforderlich sei.

McMahon kam widerstrebend zum Urteil, dass sie nicht beurteilen könne, ob das Memorandum als geheim gerechtfertigt werden könne. Das könne es, wenn die legale Analyse über die Äußerungen Holders hinausginge. Aber obwohl sie die Kläger abwies, rügte sie die Regierung, dass eine Offenlegung der rechtlichen Begründung für die "gezielte Tötung von Menschen weit entfernt von jeden identifizierbaren 'heißen' Schlachtfeld eine intelligente Diskussion und Beurteilung einer Taktik, die wie die Folter zuvor heiß umstritten ist, ermöglichen würde". Aber die Obama-Regierung scheint alles daran zu setzen, das blutige Handwerk ungestört von Rechtsdiskussionen im Inland und auf internationaler Ebene fortsetzen zu können. Dafür reicht offensichtlich bislang ein von "Rechtsexperten" ausgearbeitetes Papier, das den Schein der Rechtsstaatlichkeit wahren soll.

ACLU will in die Revision gehen. Zudem unterstützt die Bürgerrechtsorganisation zusammen mit dem Center for Constitutional Rights (CCR) eine Klage des Vaters von al-Awlaki und des Großvaters von dessen gleichfalls durch eine Drohne getöteten 16jährigen Sohns Abdulrahman gegen die Verantwortlichen eingereicht: gegen den US-Verteidigungsminister Leon Panetta, gegen Ex-CIA-Direktor David Petraeus und zwei Kommandeure von Sondereinheiten, aber nicht gegen US-Präsident Obama: Präsidenten genießen in ihren Amtshandlungen absolute Immunität, stehen also über dem Recht. Der Vorwurf ist, dass die Tötungen "die fundamentalen Rechte aller US-Bürger verletzt haben, wozu das Recht gehört, nicht ohne einen angemessenen Rechtsprozess des Lebens beraubt zu werden" (Sind gezielte Tötungen mit Drohnen legal?).