Ein Rahmenkonzept zur Bekämpfung der Rockerkriminalität

Wird mithilfe der Medien das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung manipuliert und instrumentalisiert?

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Es ist auffällig, wie viele Einsätze deutsche Behörden derzeit gegen Rocker, vor allem gegen die Hells Angels, führen. Das Verhältnis zwischen Rockern und Behörden war schon immer schwierig - aktuell aber ist das Verhalten mancher Behörden so ungewöhnlich, dass auch in ausländischen Medien dies Phänomen nachgefragt wird: Razzien, Durchsuchungen und Verhaftungen gehen parallel zu Verboten und Selbstauflösungen von Hells Angels-Chartern (Ortsgruppen).

Zwei Schwerpunkte bei Rockereinsätzen: Seit Mai 2012, seit April 2010

Zwar ist die ganz große Aktivität seitens der Behörden neu und dürfte mit dem Prozess in Kiel im Mai dieses Jahres gegen den ehemaligen Legion 81-Rocker Steffen R. zusammenhängen. Der hatte zahlreiche Hörensagen über die Hells Angels wiedergegeben, deren wohl wichtigste - der ehemalige Hannoversche Rocker Frank Hanebuth als inoffizieller Deutschlandchef und Auftraggeber für einen Mord, eine eingemauerte Leiche in einer Lagerhalle in Altenholz, eine angebliche Folterkammer in Kiel - sich in Luft aufgelöst haben. Aber noch, bevor sie überprüft worden waren, wurde der Angeklagte zu einer außerordentlich milden Strafe für seine Verbrechen verurteilt.

Bild: DaiFh. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Eine schon deutlich gesteigerte Aktivität von Behörden gegen die Hells Angels lässt sich jedoch auch schon seit Längerem - genauer: Seit dem Frühjahr 2010 - nachweisen. Deutlich zeigt sich dies an Vereinsverboten und Selbstauflösungen von Hells Angels Chartern in Deutschland: Im Oktober 1983 war der Charter Hamburg verboten worden, im Januar 2001 Düsseldorf. In jüngerer Zeit erst Flensburg (April 2010), dann Borderland (Pforzheim) und der Unterstützerclub Commando 81 Borderland (Juni 2011), danach Frankfurt und Westend (September 2011). Im Jahr 2012 zuerst Kiel (Januar), im April Cologne, im Mai Berlin City und Singen, im Juni Southport, Potsdam, Hannover und West Side (Bremen).

Kurz: In den 1980er Jahren wurde ein Charter geschlossen, in den 1990er Jahren keiner, in den Nuller Jahren wieder einer. Das ist nicht viel. Aber seit 2010, also innerhalb von nur zweieinhalb Jahren, verschwanden elf Charter von der Bildfläche.

Zwar haben sich einige Charter wie etwa Hannover oder West Side selbst aufgelöst. Man kann dafür mehrere Gründe vermuten: Wenn ein Verein nicht mehr existiert, kann er nicht verboten und das Vereinsvermögen nicht beschlagnahmt werden. Oder die Rocker wollen weiterhin Hells Angels sein und sich in einem anderen Charter zusammenschließen, was schwierig wäre, wenn sie zu einem verbotenen Charter gehört hätten.

Also dürften auch Selbstauflösungen auf äußeren Druck zurückzuführen sein.

Außerdem stehen den Verboten und Auflösungen zahlreiche Neugründungen gegenüber: Der erste Hells Angels-Charter in Deutschland wurde im Jahr 1973 in Hamburg gegründet (und nach zehn Jahren verboten). Inzwischen ist Stuttgart der älteste - 1981 gegründet - und Nummer Zwei, Berlin, gibt es seit 1990. Bis 1998 gab es wohl gut ein halbes Dutzend Charter in Deutschland. Im Jahr 1999 kamen 14 neue dazu - fast alle durch den Übertritt der Rockergruppe Bones. In den Nuller Jahren kamen 22 Charter hinzu und seit 2010, also in den letzten zweieinhalb Jahren, 19. Allein vier von ihnen wurden in den vergangenen Wochen in Berlin gegründet.

Folgten die Verbote den Neugründungen? Reagierten die Behörden also auf die Rocker? Die Logik wäre: mehr Charter - mehr Straftaten - mehr Verbote. Dagegen spricht aber zweierlei: Erstens, dass in den Nuller Jahren 22 Charter entstanden, aber nur einer geschlossen wurde. Zweitens wirken zumindest manche Neugründungen (wie etwa die vier Berliner Charter Northtown, Southtown, Westtown und Easttown) wie eine Reaktion von Rockern auf Behörden - vielleicht, um diese zu provozieren. Das schließt das Erste nicht aus, passt aber nicht so recht dazu.

Auffällig ist vor allem der Beginn der Kette der Schließungen im April 2010.

Konzept zur Bekämpfung der Rockerkriminalität könnte Einsatzschwerpunkt seit April 2010 erklären

Ein Dokument könnte (mit) erklären, warum Polizeibehörden seit genau diesem Zeitpunkt so viele Einsätze gerade gegen die Hells Angels durchführen.

Ein "Unterausschuss Führung, Einsatz und Kriminalitätsbekämpfung" (UA FEK) hatte eine Bund-Länder-Projektgruppe "Bekämpfungsstrategie Rockerkriminalität-Rahmenkonzeption" (BLPG BR-RK) eingerichtet. Ziel der Projektgruppe ist die Abstimmung des gemeinsamen Vorgehens gegen Rockerkriminalität. Sie hat ein Dokument herausgebracht, es heißt: "Bericht der Bund-Länder-Projektgruppe des UA FEK 'Bekämpfungsstrategie Rockerkriminalität - Rahmenkonzeption' [BLPG BR-RK]". Es stammt vom Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz, ist gekennzeichnet als "VS - NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH (i.S. IFG nicht freigabefähig)" und steht seit ein paar Wochen öffentlich einsehbar auf einer Website der Hells Angels. Es wirkt echt.

Bild: SliceofNYC. Lizenz: CC-BY-2.0

Das 64-seitige Dokument beinhaltet die "Entwicklung eines ganzheitlichen und länderübergreifenden strategisch-taktischen Rahmenkonzeptes zur Bekämpfung der Rockerkriminalität" und gibt den Stand vom 7. Oktober 2010 wieder.

Seine Verfasser begründen die Ausarbeitung eines solchen Rahmenkonzeptes damit, dass es "bundesweit wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen bis hin zu Tötungsdelikten zwischen rivalisierenden Rockergruppen" (S. 4) gekommen sei, und dass mit zunehmenden Aktivitäten der Gruppierungen die Gefahr einer Eskalation der Rockerkriminalität steige. Sie nehmen auch Bezug auf ein tragisches Ereignis vom 17. März 2010. An diesem Tag erschoss ein Mitglied der Hells Angels in Rheinland Pfalz einen Polizisten.

Der Rocker war zu Hause, als ein SEK kam und seine Wohnung betreten wollte. Als die Beamten seine Wohnungstür öffnen wollten, schoss der Rocker zweimal durch die geschlossene Tür und traf einen der Polizisten so unglücklich, dass dieser trotz schusssicherer Weste sein Leben verlor. Der Rocker wurde durch den Bundesgerichtshof freigesprochen, der die Verantwortlichkeit für den Vorfall bei der polizeilichen Einsatzleitung sah: Der Hells Angel hatte gesagt, er habe einen Überfall von Bandidos befürchtet.

Im Bericht heißt es zu den Auseinandersetzungen zwischen Rockergruppen und dem Tod des Polizeibeamten: "Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung gilt es einen polizeilichen Schwerpunkt zu setzen, die bundesweit vorliegenden Bekämpfungsstrategien konzeptionell zu bündeln und darüber hinaus auch andere Behörden und Stellen durch Kooperation mit einzubeziehen." (S. 4) Warum und wie dies geschehen soll, wird auf 64 Seiten ausgeführt. Diese Rahmenkonzeption besteht aus elf Teilen: Vorbemerkung (I), Lagebeschreibung (II), (Einsatz-)Organisation (III), Informationsmanagement, Ermittlungen und Geheimhaltung (IV), Zusammenarbeit (V), Öffentlichkeitsarbeit (VI), Prävention (VII), Aus- und Fortbildung (VIII), Wirkungszusammenhänge (IX), Weitere Hinweise der Projektgruppe (X) und schließlich Fortschreibung (XI). Der Schwerpunkt des Berichtes liegt in den Ausführungen zur Einsatzorganisation.

An dieser Stelle sollen nur zwei Aspekte herausgegriffen werden: Erstens die Rolle der Polizei, zweitens die Rolle der Medien.