Elektronen, erhebt euch!

Was passiert, wenn man einen Stein in einen See aus Elektronen wirft?

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Elektronen sind Fermionen, Teilchen mit einem halbzahligen Spin, die (im Unterschied zu den Bosonen) nie ein- und denselben Zustand einnehmen können. Während sich Bosonen bei sehr niedrigen Temperaturen zu einem Bose-Einstein-Kondensat vereinen können, in dem sie all ihre Unterschiede verlieren und nur noch als gemeinsame Entität zu beschreiben sind, handelt es sich bei Elektronen also um ausgeprägte Individualisten, die sich nie mit ihrem Nachbarn verwechseln lassen.

Das klingt sympathisch, erschwert Forschern allerdings ein paar der Tricks, die sich mit einem Bose-Einstein-Kondensat quantenphysikalisch anstellen lassen. Wirft man zum Beispiel (in übertragener Bedeutung) einen Stein in einen See aus Bosonen, ist die Antwort immer ideal und (mit genügend großem Aufwand) gut zu berechnen. Einen Bosonensee kann man sich damit vielleicht als mit Quecksilber gefüllten Tümpel vorstellen, dessen Spiegel stets glänzend und klar erscheint.

Ein ganz anderes Bild ergibt ein von Fermionen gebildeter See. Hier hängt es von der Art und Weise der Wechselwirkung und vom Zufall ab, was passiert, wenn ein Stein hineinfällt. Mal spritzen die Tropfen nach allen Seiten, mal bilden sich konzentrische Wellen. Wo die Elektronen aus dem See gerissen werden, bleiben Löcher zurück.

Schon 1996 haben Forscher um den Physiker Leonid Levitov theoretisch gezeigt, dass es eigentlich auch anders gehen müsste: Es sollte möglich sein, einzelne quantenphysikalische Anregung von Elektronen aus dem See zu lösen, ohne dabei Löcher zu hinterlassen. Levitov und Kollegen haben sogar eine Gleichung gefunden, mit der sich die nötige Anregung berechnen ließe - allerdings müsste man diese Gleichung für alle Elektronen des Sees lösen.

Als Elektronenreservoir dient den Physikern dabei ein elektrischer Leiter, der klassische Elektronensee, in dem den Ladungsträgern kein fester Platz zuzuordnen ist. Als Stein dient ein elektrischer Impuls. Dieser wirkt allerdings, anders als ein echter Stein in einem See aus Wasser, normalerweise auf alle Teilchen des Reservoirs gleichzeitig.

Dubois und sein Team haben experimentell bewiesen, dass ein genau gezielter elektrischere Kraftimpuls ein einzelnes Elektron aus dem Fermisee aus Elektronen in eine Nanoelektrode bringen kann. Diese Elektronen-Anregung nannten sie Leviton. Bild: Nature

Levitonen - und die Aussicht auf einen neuer Computer?

Einen Workaround dafür haben nun französische Forscher gefunden und im Wissenschaftsmagazin Nature vorgestellt. Die Physiker haben den See verkleinert und ihm eine spezielle Form gegeben. Mit einem elektrischen Kraftimpuls, der (zeitlich) die Form einer Lorentz-Verteilung besitzt, können sie daraus einen einzelnen Tropfen lösen, der aus einem oder mehreren Elektronen oder auch Bruchteilen von Elektronen bestehen kann.

Es handelt sich dabei nicht um ein Teilchen im eigentlichen Sinn, sondern um ein Quasiteilchen, vergleichbar mit einer stehenden Welle. Die stabilen Elektronen-Anregungen haben die Forscher Levitonen genannt, zu Ehren von Leonid Levitov. Die Forscher konnten zudem nachweisen, dass es sich bei den Levitonen um Fermionen handelt.

Die Arbeit ist natürlich in der Grundlagenforschung angesiedelt. Es gibt jedoch einen praktischen Ausblick. Bediente man sich bei Konzepten der Quantenoptik, könnte man für die Levitonen Schaltkreise konstruieren und so vielleicht das Mooresche Gesetz weiter am Leben erhalten. Denn die Levitonen müssen nicht unbedingt eine ganze Elektronenladung tragen, auch Bruchstücke wären möglich, es handelt sich ja nicht um reale Teilchen.

Und je geringer der Ladungstransport bei einem Schaltvorgang ist, desto weniger Energie wird benötigt, desto weniger Verluste entstehen und desto besser lässt sich ein entsprechender Schaltkreis miniaturisieren. Ein Levitonen-Computer (der sicher noch für 50 Jahre oder länger der Science Fiction vorbehalten bleibt) könnte seine Rechenleistung im Grunde aus der Ladung eines einzigen Elektrons beziehen.

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