Floragate - oder: In wessen Auftrag arbeitete Iris P.?

Verdeckte Ermittlerin arbeitete knapp fünf Jahre lang für das Landes- und das Bundeskriminalamt in Hamburg. Jetzt lehnen beiden Behörden die Verantwortung dafür ab

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Iris Schneider hat es nicht leicht gehabt in ihrem Leben. Einen Vater gab es nicht, oder zumindest war von ihm nie die Rede. Das Verhältnis zur Mutter war schwierig. "Schuld" daran war Iris' sexuelle Orientierung, die der Mutter nicht in den Kram passte. Auch Freundschaften und Liebesbeziehungen hatten ihr in der Vergangenheit kein großes Glück gebracht. All das und das triste grau ihrer Heimatstadt Hannover veranlasste die damals 21-Jährige im Jahre 2000, ein neues Leben zu beginnen. In Hamburg. Mit einem neuen Job. Und zwar in der Verwaltung der Galeria Kaufhof. Und sie begann - weil alles so schön glatt lief -, sich im Jahr darauf politisch zu engagieren.

Wir erinnern uns, Hamburg 2001:

Die politische Situation war zu dieser Zeit geprägt durch die rechtspopulistische CDU-Schill-FDP- Regierung in Hamburg, die einherging mit einer Aufrüstung der Polizei, massiven Sparmaßnahmen im sozialen Bereich, Schließung von Frauenhäusern und der Drogenhilfeeinrichtung "Fixstern", Angriffen auf linke und alternative Projekte, wie die Räumung von Bauwagenplätzen und speziell der "Bambule". Andererseits formierten sich in der Stadt Proteste gegen die Regierung und ihre Politik, die auch weit über die radikale Linke hinaus zum Tragen kamen. Hierdurch gab es in weiten Teilen der linken politischen Szene Euphorie, eine Aufbruchstimmung und das Gefühl, "Es geht wieder was". Die Parole "Regierung stürzen" schien vielen ein realistisches politisches Ziel.

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Eine Zeit also, prädestiniert dafür, jungen Menschen Lust auf Politik zu machen. Die Suche nach einer sinnvollen politischen Betätigung führte Iris Schneider ins "Café Niemandsland", einem niedrigschwelligen Angebot des linken Kulturzentrums "Rote Flora" im Schanzenviertel. Eigens geschaffen, um neuen Leuten den Zugang zur Roten Flora und den damit verbunden Strukturen zu erleichtern. Ihre verkorkste Familiengeschichte war quasi ihre Eintrittskarte.

Nach einem kurzen Warming-up legte Iris so richtig los: Schon sehr bald tauschte sie ihren Status als Besucherin von Café Niemandsland mit dem einer der Betreiberinnen desselben. Weil sie so eifrig und verlässlich war, vertrat sie nach kurzer Zeit die Gruppe im Plenum der Roten Flora, wo sich alle Aktiven trafen, alles besprochen und alles entschieden wurde. Die verlässliche und eifrige Iris Schneider weitete ihren Radius immer weiter aus: Sie nahm im Namen der Roten Flora an Treffen in Bezug auf die damals stattfindenden Bambule-Demos teil. Da vertrat sie schon mal nachdrücklich ihre Meinung, was mitunter auch zu Differenzen zwischen Aktiven aus der Roten Flora und dem Bauwagen-Umfeld führte. Sie war bei vielen Aktivitäten der linken Szene mit dabei, wie z.B. Demonstrationen, Besetzungen, Informations- und Kulturveranstaltungen. Außerdem engagierte Sie sich in einer Radiogruppe im "Freien Sender Kombinat" (FSK).

Die umtriebige Iris Schneider war aber nicht nur politisch aktiv, sie trainierte in einer queeren Kickbox-Gruppe, war regelmäßig in Kneipen und auf Parties anzutreffen, und schloss so auch private Freundschaften - zum Teil sehr innige.

"Längst geht der Kontakt über das rein Politische hinaus - sie ist auf Geburtstagen und Partys, trinkt gerne auch mal einen über den Durst, kommt zu Spieleabenden in WGs, hilft beim Renovieren und gießt die Blumen, wenn jemand in den Urlaub fährt - sie ist Genossin, Vertraute und Freundin, sie ist 'eine von uns'", beschreiben ehemalige Weggefährtinnen ihr Verhältnis zu Iris Schneider. Toll! Was für eine Entwicklung! Von einer jungen, vom Leben enttäuschten, verhuschten jungen Frau zur selbstbewussten Politaktivistin!

Von wegen. Die junge Frau, die sich in den Strukturen um die Rote Flora, Bambule und FSK bewegte, hieß nicht Iris Schneider, sondern Iris P.. Sie arbeitete nicht in der Galeria Kaufhof, sondern war verdeckte Ermittlerin des Landeskriminalamts Hamburg UND des Bundeskriminalamtes. Ihr Auftrag war es offensichtlich, die Szene auszuspionieren.

Ok, das ist bei der damaligen politischen Lage, insbesondere der Auseinandersetzung um die Rote Flora, die dem damaligen Innensenator Ronald Barnabas Schill als "rechtsfreier Raum" ein Dorn im Auge war, nicht sonderlich aufsehenerregend. Doch die verdeckte Ermittlerin nahm ihren Job sehr ernst und ging weit über den Status als Beobachterin hinaus: Sie sorgte aktiv für Streit innerhalb der Szene, machte aktiv Radio, was von ver.di als unzulässiger Eingriff in die Rundfunkfreiheit kritisiert, schloss private Freundschaften und ging Liebesbeziehungen ein.

Im Jahr 2004 wurde der Verdacht geäußert, sie könne eine verdeckte Ermittlerin sein. Auch das führte zu Streit in der Szene. Iris Schneider/P. polarisierte: politische Beziehungen und private Freundschaften in ihrem politischen und privaten Umfeld zerbrachen daran.

Trotz des geäußerten Verdachts setzte Iris P. ihren Job als Iris Schneider fort. Durch ihre vielfältigen persönlichen Kontakte hatte sie sich ein Umfeld geschaffen, das dies möglich machte. 2006 ging Iris Schneider dann überraschend in die USA. Angeblich für ein Jahr, brach aber nach und nach alle Kontakte zur Flora-Szene ab.

Doch ein Teil ihrer ehemaligen Weggefährtinnen blieb an dem Thema "Iris Schneider" dran. Bestätigt wurden die 2004 geäußerte Vermutung dann 2013, als zufällig jemand aus ihrem früheren Umfeld an einer Tagung teilnahm, im Rahmen derer die angebliche Kaufhof-Mitarbeiterin Iris Schneider als BKA-Beamtin Iris P., Abteilung Prävention islamischer Extremismus, vorgestellt wurde.

Es folgte ein Jahr der Reflektion, Diskussion und interner Auseinandersetzung unter Personen aus dem damaligen Umfeld der verdeckten Ermittlerin, an dessen Ende die Veröffentlichung der wahren Identität von Iris P. und ihrer Aktivitäten stand.

Aus vielen Gründen ein bemerkenswerter Einsatz einer verdeckten Ermittlerin

Seitdem fordern die Grün-Alternative-Liste (GAL), LINKE und auch ver.di die lückenlose Aufklärung der Hintergründe für diesen bemerkenswerten Einsatz. Bemerkenswert aus vielerlei Gründen:

  1. sprengt der Zeitraum von sechs Jahren den für einen solchen Einsatz üblichen Rahmen;
  2. ging ihr Einsatz weit über das hinaus, was gemeinhin unter "ermitteln" verstanden wird;
  3. hatte sie erstaunlich viele private Kontakte, bis hin zu Liebesbeziehungen, die letztendlich auch eine Gefährdung für ihre Tätigkeit hätten sein können;
  4. verletzte sie durch ihr Engagement im FSK das Presserecht;
  5. setzte sie ihre Tätigkeit selbst dann fort, als sie 2004 mit dem Verdacht konfrontiert wurde, verdeckte Ermittlerin zu sein.

Eine Anfrage der Bürgerschaftsabgeordneten der GAL, Antje Möller, an die Innenbehörde ergab:

Auslöser für den Einsatz der nicht offen ermittelnden Polizeibeamtin waren Straftaten, wie in Brand gesetzte Fahrzeuge der Lufthansa und einer Mitarbeiterin der Ausländerbehörde im Hinblick auf die Abschiebepraxis in Deutschland und Hamburg, versuchte schwere Brandstiftung zum Nachteil der Polizeistation in Bönningstedt aus politischen Motiven gemäß Selbstbezichtigungsschreiben sowie ebenso Angriffe auf Polizeibeamte mit Stein, und Flaschenwürfen mit Signalmunition und massiven Sachbeschädigungen von Lokalen und Banken aus vergleichbaren Motiven.

Der Einsatz einer verdeckten Ermittlerin sei notwendig gewesen, weil die "in einem solchen gefahrenträchtigen Problemfeld handelnden Gruppen oder Personen sich bewusst gegen polizeiliche Einblicke abschotten" würden.

Die Frage, die sich in dem Zusammenhang stellt, ist die nach der Verantwortung für diesen Einsatz. Eine Anhörung, die Anfang Januar 2015 im Innenausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft stattfand, förderte erstaunliche Erkenntnisse zutage: Iris P. war nicht in göttlicher, sondern in doppelter Mission unterwegs:

Als "Beobachterin für Lageaufklärung" (BfLin) musste sie Informationen zur Lagebeobachtung der Polizei liefern, ohne dabei Personen zu identifizieren. Das Betreten von Wohnungen war ihr verboten. Als Verdeckte Ermittlerin (VE) im Rahmen der Strafverfolgung für die Bundesanwaltschaft musste sie dagegen Informationen über Personen liefern; das Betreten von Wohnungen war ihr ausdrücklich erlaubt. Bei ihr und ihrem VE-Führer liefen alle Informationen zusammen, die dann angeblich streng getrennt verschiedenen Behörden weitergeleitet wurden.

Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft Christiane Schneider

Beide Behörden schieben seither die Verantwortung für den Einsatz der jeweils anderen zu. Christiane Schneider hält diesen Vorgang schlicht für einen Skandal:

Die Innenbehörde weist (wie auch das Bundesinnenministerium) die Verantwortung sowohl für den mehrjährigen Einsatz der Beamtin gegen das Radio FSK wie auch für die Liebesbeziehungen, die die Beamtin im Einsatz einging, zurück. Beides war rechtswidrig. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder sagt die Behörde nicht die Wahrheit. Oder das LKA und der VE-Führer haben über einen langen Zeitraum tatsächlich nicht gewusst oder darüber hinweggesehen, was die Beamten im Zusammenhang ihres Einsatzes tat. Beides wäre verantwortungslos und inakzeptabel. Ich verlange, dass die Behörde so oder so zu ihrer Verantwortung steht.

Christiane Schneider

Auch eine kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken brachte keine Aufklärung. In den Antworten des Bundesministeriums auf Schriftliche Fragen des Bundestags-Abgeordneten Hubertus Zdebel ist zu lesen:

Das Bundeskriminalamt hat den eingesetzten VE zu keinem Zeitpunkt angewiesen, aktiv in den Redaktionsräumen eines Radiosenders mitzuarbeiten. Auch sind dem Bundeskriminalamt im Rahmen der Ermittlungsführung keine entsprechenden Erkenntnisse bekannt geworden.

Eine Anfrage des linken Bundestags-Abgeordneten Jan van Aken ergab, dass die Führung des völlig entgleisten Einsatzes weiterhin beim LKA Hamburg lag.

Alle Informationen zu dem Fall sind auf dieser Webseite abrufbar: Grundrechte-Kampagne. Weitere Infos.