Großartiges Testumfeld für künstliche Intelligenz

Das asiatische Taktikspiel Go ist so komplex, dass es bisher keinem Computer gelungen ist, einen wirklich guten Spieler zu schlagen

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Nicht nur im Film "A Beautiful Mind" wird das Taktik-Spiel Go mit Leidenschaft gespielt. Mathematiker und Programmierer sind häufig von Go fasziniert, weil es extrem viele Möglichkeiten für potenzielle Spielzüge auf den 19 mal 19 Linien des Spielbrettes bietet.

FOST Cup Computer Go Contest 1997, Nagoya in Japan, Bild: Michael Reiss

Der Vater der Computerspiele, Nolan Bushnell, erläuterte in einem Telepolis-Interview, dass selbst der Name "Atari" aus dem Go-Spiel stammt und dort sinngemäß "Schach" bedeutet (Vgl. Interview mit Nolan Bushnell, Erfinder von Pong und Atari-Gründer). Die Grundregeln des Spiels sind eigentlich sehr einfach, es geht darum, selbst möglichst viel Raum auf dem Spielbrett zu besetzen und die gegnerischen Steine einzukreisen (Vgl. Spielregeln). Die begeisterte Spielerin Ruth Oppl hält Go für ein extrem komplexes Spiel:

Go ist nicht berechenbar im herkömmlichen Sinn, das Spiel erfordert die Wahrnehmung von räumlichen Verteilungsmustern. Die direkte Konfrontation ist nicht der Weg zum Sieg. Die erfolgreiche Strategie baut nicht auf einzelne Züge, sondern auf ein sehr umfassendes, bildliches Denken auf. Dabei sind großflächiges und übergreifendes Vorstellungsvermögen gefragt. Go erfordert die Fähigkeit, sich von dem zu lösen, was direkt vor Augen liegt und sozusagen auf einer höheren Ebene zu agieren.

Viele gute Spieler behaupten, eine Go-Partie sei nur mit Intuition zu gewinnen. Auf dem Brett gibt es 361 mögliche Positionen für einen Stein, das Schachbrett hat dagegen nur 64 Felder. Beim Schachspiel beträgt die Anzahl der möglichen Züge 10 hoch 120, beim Go 10 hoch 761 (Vgl. Computer-Go).

Der Newscientist widmet in seiner aktuellen Ausgabe dem Spiel und dem Programmierer Michael Reiss einen Artikel, der die Zusammenhänge zwischen Go und hochwertigen Computerprogrammen aufzeigt. Go-Programme könnten für die Entwicklung künstlicher Intelligenz einen wichtigen Beitrag leisten. Ungefähr 200 Programmierer versuchen sich momentan weltweit an der Verbesserung der Go-Spiele auf digitaler Oberfläche.

Michael Reiss arbeitet seit mehr als zehn Jahren in einem schmuddeligen Basement-Büro hinter einer Schreinerwerkstatt in Nord-West London an Go-Computerprogrammen. Sein neues Produkt Go4++ hat einige entscheidende Wettbewerbe gewonnen und gilt unter Go-Spielern als das beste derzeit auf dem Markt erhältliche Programm. Speziell die Japaner sind begeistert und bald werden es Millionen auf der PlayStation 2 von Sony spielen können. Wahrscheinlich wird Reiss bald gediegenere Räumlichkeiten in einem Viertel beziehen. Es geht kommerziell gut voran für ihn, aber ein bisschen enttäuscht ist er, dass sich bisher weder Firmen noch wissenschaftliche Institute bei ihm gemeldet haben, die im Bereich künstliche Intelligenz arbeiten. Reiss dazu:

Alle sagen, dass Go ein großartiges Testumfeld für künstliche Intelligenz ist und dass die Programme dem wissenschaftlichen Fortschritt helfen werden. Aber ich habe eine ganze Reihe von diesen Wettbewerben gewonnen und ich warte stets darauf, dass das Telefon klingelt und Bill Gates oder IBM mich um einige Tipps für die Programmierung von AI bittet. Es ist aber bisher nie geschehen.

3rd Annual ICFP Programming Competition

Eigentlich höchst erstaunlich, denn tatsächlich sind sich alle Experten einig, dass Go-Programme eine Grundlage für künstliche Intelligenz sein könnten. Go ist so komplex, dass es bisher keinem Computer gelungen ist, wirklich gute Go-Spieler zu schlagen. Beim Schach sind nur noch Großmeister den Programmen wie Deep Blue oder Fritz gewachsen - und das auch nicht immer, wie sich in der Vergangenheit erwies (Vgl. Noch ein Versuch, das Endspiel zu verstehen).

Computer-Go ist bisher nur für ambitionierte Amateure eine Herausforderung. Umso größer ist die Herausforderung für Programmierer, diese Tatsache zu ändern. Martin Müller, Go-Forscher und Spezialist für künstliche Intelligenz an der University of Alberta in Edmonton meint, es sei noch nicht genug Energie in die Entwicklung entsprechender Software investiert worden:

Go hat viele visuelle und intuitive Komponenten, die dem Menschen keine Probleme bereiten. Aber diese Komponenten sind sehr schwierig zu programmieren.

Die Zahl der nötigen Berechnungen für die möglichen Spielzüge scheint nicht zu bewältigen. Gerade die Mustererkennung, die der Mensch beherrscht, ist bei Go ein entscheidendendes Element. Ein guter Vergleich ist das Kleinkind, dem es überhaupt keine Mühe bereitet, seine Mutter auf Gruppen-Fotos wieder zu erkennen, ob sie nun eine riesige Sonnenbrille trägt, den Kopf halb aus dem Bild dreht oder leicht verschwommen aufgenommen wurde. Der Computer tut sich schwer bei der Bewältigung derselben scheinbar simplen Aufgabe.

Bei Go geht es auch um Muster, die Verteilung der Steine auf dem Brett wird als Ganzes wahrgenommen und aus dem Gesamtbild ergibt sich der nächste Zug.

Michael Reiss hat sein Programm Go4++ mit einer Datenbank ausgerüstet, in der mehr als 7000 Spielkonstellationen abgelegt sind. Jeder ist verbunden mit den potenziellen Möglichkeiten richtiger Spielzüge und das Ganze basiert auf einer statistischen Analyse von 300 000 Mustern, die mit der Unterstützung eines professionellen koreanischen Go-Spielers eingeben wurden. Ein gutes System, solange keine unerwartete Konstellation auftaucht, denn unkonventionelle Reaktionen sind dem Programm im Gegensatz zum Menschen unmöglich.

Bruno Bouzy von der Université René Descartes in Paris ist überzeugt, dass Go ein Schlüsselbaustein für die elektronische Nachahmung menschlichen Denkens ist:

Künstliche Intelligenz entwickelt sich Schritt für Schritt von wenig komplexen Anwendungen hin zu hoch komplexen in der realen Welt. Die Komplexität von Go liegt genau dazwischen.

Zusammen mit einem Kollegen hat er kürzlich im Fachblatt Artificial Intelligence die Experten dazu aufgerufen, sich verstärkt mit dem Go-Spiel zu beschäftigen.

Für Go-Programme entwickelte Technologie könnte künftig für andere Anwendungen adaptiert werden und damit - ähnlich wie Teile der Schachprogramme - zur Auswertung von Satellitenbildern oder bei der Analyse umfassender genetischer Daten dienlich sein.

Webtipp: Zentrale Anlaufstelle für das asiatische Brettspiel "GO" in Deutschland, der Deutsche Go-Bund online