"Initiative Volksaufstand"

Der Aufmerksamkeitstäter ist wieder da - und demonstriert, wie leicht man im Internet Menschen und Medien foppen kann

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Die Initiative Volksaufstand ruft zum Sturz des Kanzlers auf. "Schröder treibt es auf die Spitze. Wer so ignorant des Volkes Wille ignoriert, der hat entweder nicht mehr alle Tassen im Schrank oder legt es echt auf eine Revolution an." Für Revolutionen im Internet, die dann doch nicht stattfinden, ist Christoph Kastius zuständig. Auf Kastius' Seite kaufstreik.de wird der "Volksaufstand" umgeleitet.

Kastius bemüht sich seit Jahren, ein würdiger Nachfolger des legendären Heißluftpredigers Kim "Kimble" Schmitz zu werden. Erstaunlich ist nicht, dass es Kastius immer wieder gelingt, unbedarfte Menschen von seinen windigen Projekten zu überzeugen, sondern wie man mit einer einfachen Website und ein paar griffigen Thesen die Medien foppen kann. Dem "Hacker mit Ethik" ging nicht nur die "FAZ" (Die FAZ und die Trittbrettfahrer) auf den Leim. Zahlreiche Zeitungen und Fernsehsender berichteten wohlwollende über Kastius' diverse Projekte.

Die TAZ weist auf den "Volksaufstand" hin und suggeriert, der "ethische Hacker" sei einer der Initiatoren gegen Hartz IV. Attac-Stuttgart zitiert die Website wohlwollend und kritiklos. Und auf zahlreichen Foren wird über die "Initiative" mehr oder weniger ernsthaft diskutiert. Nur in der Newsgroup de.admin.net-abuse.mail wurden Kastius' Aktion gleich korrekt als Spam geoutet.

Kein Wunder: Im Usenet hatte er seine Krankenakte schon 1998 persönlich gepostet. Trotz heftigen verbalen Gegenwinds verkündete Kastius aber schon damals, man werde ihn so schnell nicht los. Das Versprechen hat er gehalten. Heute betreibt er nicht nur eine angebliche Online-Wetterstation, sondern auch eine Suchhotline. Mit dieser fiel er vor allem auf, als er mit einer Pistole in den Sender N-TV stürmte und dort den damaligen Telekom-Vorstandschef Ron Sommer sprechen wollte, weil er seine Telefonrechnung nicht bezahlen konnte. Ein Sondereinsatzkommando nahm ihn fest.

Pressetext.Austria meldete am 28.10.1999 sogar seinen Selbstmord. Der war aber genauso gelogen wie vieles andere. Kastius ist putzmunter. Aber mit der Suchhotline gelang es ihm unter anderem, die seriöse "Basler Zeitung" zu beeindrucken. Im Jahr 2002 kündigte Kastius fünf Volksaufstände und Massendemonstrationen an.

Ein umtriebiger Mensch tanzt auf allen Hochzeiten, die online Aufmerksamkeit versprechen. Der Kampf gegen Kinderpornografie ist für Aufmerksamkeitstäter selbstredend ein ideales Betätigungsfeld. Kastius richtete im Jahr 2002 auf kindersex.de die obligatorische "Meldestelle" ein. Auch der Kampf gegen den Terror war zeitweilig sein Hobby. Er kündigte die Gründung einer Gruppe mit dem hippen Logo "HaCkEn gEgEn GeWaLt" an: Die Organisation werde alle übrigen Bösewichte, insbesondere die Nazis und Al Qaida online bekämpfen. Als das nicht so recht Wirkung zeigte und die Bösen online sich von der Ein-Mann-Truppe gar nicht beeindrucken ließen, wandte sich der verhinderte Hacker den Konsumenten zu.

Ein Volksaufstand gegen den "Teuro" musste her (Nach Erfurt jetzt Konsumstreik gegen den Teuro). Torsten Kleinz schreibt in seiner Dokumentation über Kastius' Aktion:

80 bis 90 Prozent der Deutschen Bevölkerung würden sich am Kaufstreik beteiligen, der DAX würde abstürzen und ganz Deutschland erschüttert werden. Den angekündigten Hungerstreik vor dem KaDeWe sagte er wegen angeblicher Drohungen von Nazis ab. Doch als er dann am Montag mit Journalisten vor dem KaDeWe stand, war von einem Kaufstreik nichts zu sehen.

Aufmerksamkeit kann man vor allem dann erheischen, wenn man suggeriert, alle möglichen wichtigen Organisationen würden einem wohlwollend unter die Arme greifen. Kastius behauptet die "Initiative Volksaufstand" werde unter anderem von der Gewerkschaft der Polizei, der GEW, der Berliner Feuerwehr, ver.di, dem DGB Berlin-Brandenburg und indymedia unterstützt. Vermutlich hat er damit den Bogen überspannt. Eberhard Schönberg vom Landesbezirk Berlin der GdP schreibt, wie die Gewerkschaft der Polizei bei "volksaufstand.tk" als "Unterstützer" hineingekommen sei, "ist uns unbekannt. Es hat nie einen Kontakt mit dieser Organisation gegeben und wir unterstützen sie nicht."

Roland Tremper von ver.di Berlin kann sich nicht erklären, wie seine Gewerkschaft auf Kastius' Website gelangt ist. Marco Trenn vom Stab 311 der Berliner Feuerwehr, dort für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig, versichert, "dass die Berliner Feuerwehr nicht um Zustimmung zu einer Veröffentlichung gebeten wurde, die auch im vorliegenden Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erteilt worden wäre. Wir werden diesen Vorgang prüfen."

Für Prüfen und Recherchieren sind die Medien zuständig. Beim nächsten Volksaufstand, der online die Massen versammelt, sollte man daher prophylaktisch eine Whois-Datenbank und das Usenet bemühen. Leider gibt es immer noch Journalisten, die weder das eine noch das andere kennen.