Kommt der Fall Puigdemont vor den EuGH?

Carles Puigdemont. Foto: Convergència Democràtica de Catalunya. Lizenz: CC BY 2.0

Die spanische Justiz droht Medienberichten nach mit einer zurückhaltenderen Prüfung deutscher Auslieferungsanträge

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Während die in Spanien für den Fall Puigdemont zuständige Staatsanwaltschaft in ihrer offiziellen Pressemitteilung zur gestrigen Freilassung des am 25. März in Deutschland festgenommenen ehemaligen katalanischen Regionalregierungschef Carles Puigdemont betont, dass damit noch keine abschließende Entscheidung gefallen sei, geben sich anonyme Informanten aus der Justiz spanischen Medien gegenüber weniger zurückhaltend. La Vanguardia sagte man angeblich, dass der spanische Richter Llarena nun prüft, ob er den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anruft, um von dort eine Vorabentscheidung zur Auslegung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl zu erhalten.

Der den Sozialdemokraten nahe- und den katalanischen Separatisten kritisch gegenüberstehende Zeitung El País zufolge ist man am Obersten Gerichtshof, dem Tribunal Supremo (TS), nicht nur wegen der nun drohenden Ungleichbehandlung von Angeklagten verärgert (vgl. Puigdemont-Auslieferung: Nicht so einfach, wie die ARD meint), sondern droht auch mit einer künftig zurückhaltenderen Prüfung deutscher Auslieferungsanträge:

Deutschland ist eines der Länder, die jedes Jahr die meisten Auslieferungsersuchen [Europäische Haftbefehle] nach Spanien schicken. Ungefähr 20 im Jahr, mehr als doppelt so viele wie Spanien. Und das sind üblicherweise große und gefährliche deutsche Straftäter, die sich an den spanischen Küsten als Touristen getarnt verstecken. Ebenfalls aus Belgien, dem Vereinigten Königreich und der Schweiz kommen häufig derartige Ersuchen; dort verstecken sich derzeit 7 der 24 Unabhängigkeitsanführer, denen von Richter Llarena der Prozess gemacht wird. 'Spanien pflegt bei Europäischen Haftbefehlen kooperativ zu sein und stellt selten die Sachverhalte in Frage, die die Richter dieser Länder in ihren Ermittlungen für erwiesen halten. Deshalb ist es nicht hinnehmbar', sagen die zitierten Quellen, 'dass ein Gericht, das einem spanischen Landgericht [Audiencia Provincial] entspricht, ohne direkte Kenntnis der Fakten und ohne alle Beweise, die im Verfahren gegen die separatistischen Anführer ermittelt worden sind, dem spanischen Obersten Gerichtshof ein Teil der Untersuchung entzieht und den Haupttäter in eine andere strafrechtliche Situation als die übrigen sezessionistischen Anführer versetzt. Ab jetzt kann die Prüfung von Auslieferungsersuchen, die aus Deutschland kommen, in Spanien verschärft werden.', resümieren die zitierten Quellen.

Die empörte Gleichsetzung des schleswig-holsteinischen OLG mit einem Audiencia Provincial ist dem Juristen und Fachblogger Oliver García nach nicht zutreffend, weil ein AP eher einem deutschen Landgericht entsprechen würde. Sie liefert separatismuskritischen Kommentatoren aber ein griffiges Stichwort: das anmaßende und arrogante deutsche "Provinzgericht". "Dem spanischen Gericht", so El País, "erscheint es unerklärlich, dass eine zweitklassige Gerichtsinstanz dieses Landes [also Deutschlands] ohne direkte Beweise in eine Bewertung eintritt, ob der Sachverhalt, der Richter Pablo Llarena Puigdemont zur Last legt, ein Rebellionsdelikt darstellt und in diesem Fall das Verfahren auf das Delikt der Veruntreuung öffentlicher Gelder beschränkt".

Auswirkungen auf das passive Wahlrecht

Einen weiteren Grund, warum die spanische Justiz zürnt, sieht El País darin, dass die Entscheidung des deutschen OLG Puigdemonts juristische Position hinsichtlich seines passiven Wahlrechts für öffentliche Ämter verbessert, das er bereits durch das Erheben einer Anklage (und nicht erst bei der Verurteilung) wegen Rebellion verloren hätte. So eine Anklage ist nicht möglich, wenn Puigdemont lediglich wegen des Vorwurfs der Unterschlagung ausgeliefert wird.

Das spanische Verfassungsgericht hat zwar mit der vorläufigen Anordnung, dass auch Untersuchungshäftlinge kein passives Wahlrecht haben, noch eine weitere Hürde gesetzt, die verhindert, dass Puigdemont im Falle einer Rückkehr nach Spanien vom katalanischen Parlament erneut rechtsgültig zum Präsidenten gewählt wird. Aber eine Untersuchungshaft für Puigdemont nur wegen des Vorwurfs der Unterschlagung (und nicht wegen Rebellion) wirft ein Begründungsproblem auf, wenn die anderen katalanischen Politiker, denen man lediglich die Referendumsfinanzierung vorwirft, nicht in Untersuchungshaft genommen wurden. So eine Ungleichbehandlung will die spanische Justiz El País nach damit rechtfertigen, dass sie bei Puigdemont (anders als bei seinen Kabinettskollegen) eine "offensichtliche Fluchtgefahr" konstatiert.

EU soll vermitteln

Die Hauptverhandlung vor dem fünfköpfigen Zweiten Senat des Obersten Gerichtshofs ist den Informationen von El País nach für Ende Oktober oder Anfang November geplant. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, bezeichnete Puigdemont aber bereits vorab als "Straftäter", was den mit der Problematik vertrauten Wetter- und Umweltexperten Jörg Kachelmann auf Twitter zur Bemerkung bewegte, die FAZ sei "im Felde der Vorverurteilung seit mindestens 2010 unbesiegt" und er habe "sicher ein rechtskräftiges Urteil übersehen, das dem Wurstblatt exklusiv vorliegt".

In der deutschen Politik mehren sich währenddessen die Stimmen, die darauf drängen, auf eine stärkere Kompromissbereitschaft der iberischen Konfliktparteien hinzuwirken. So twitterte beispielsweise der CSU-Abgeordnete Andreas Lenz: "Ich bin der Meinung, dass es jetzt an der Zeit ist, dass die spanische Zentralregierung und Puigdemont miteinander sprechen - vermitteln könnte die EU". Sie könnte beispielsweise vorschlagen, dass Katalonien mehr Verfügungsgewalt über die dort erwirtschafteten Steuern bekommt, wenn die Region im Gegenzug auf eine Unabhängigkeit vorerst verzichtet.