Mehr Sold als die Taliban

Britische Armee sucht in Afghanistan Hilfe bei Söldnern aus afghanischen Stämmen, um gegen die Taliban zu kämpfen und die eigenen Soldaten aus heftig umkämpften Gebieten abziehen zu können

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Nato hat Anfang Oktober ihren Einsatz in Afghanistan auf das ganze Land ausgedehnt. Mehr als 30.000 Soldaten, darunter 8.000 amerikanische und 2.800 deutsche Soldaten, sollen nun unter ISAF-Kommando für Stabilität im Land, die Unterstützung der Regierung, den Wiederaufbau und die Bekämpfung der Aufständischen sorgen, die im Osten und Süden ihren Einflussbereich erweitert und immer mehr Angriffe und Anschläge ausgeführt haben. Der Taliban-Liierte Hekmatyar, der sich mit seiner Gruppe "Hizb-e-Islami" al-Qaida angeschlossen hat, hat gerade die Vertreibung der ausländischen Truppen und die Bildung einer neuen Regierung unter Ausschluss der Teilnehmer an der Bonn-Konferenz gefordert. Die Botschaften aller Länder, die sich an der „Invasion“ mit Truppen beteiligt haben, sollten vorübergehend geschlossen werden, alle von den USA unterstützten Medien müssen verboten werden und „wirkliche“ Vertreter des Volkes neu über die Verfassung und Regierung verhandeln. Unter diesen Bedingungen und ohne Einfluss aus dem Ausland könne man erst beginnen, den Frieden im Land herzustellen.

Die Taliban und andere Warlords, die teilweise auch in der Regierung und im Parlament sitzen, haben für ihre Angriffe die Taktiken, die die Aufständischen im Irak ausgebildet haben, übernommen. Überdies haben sie viel Geld, um Waffen und Kämpfer zu bezahlen oder die Menschen zu versorgen, nachdem der ursprünglich während des Taliban-Regimes reduzierte Opium-Anbau besonders in den östlichen und südlichen Provinzen floriert, in denen der Wiederaufbau kaum vorangekommen ist, sich die Nato-Truppen teils heftige Kämpfe mit den Aufständischen liefern und Zehntausende von Menschen geflohen sind. Das britische Kommando, das besonders in der umkämpften Provinz Helmsland einen schweren Stand und dort am meisten Soldaten verloren hat, behauptet, von gefangenen Taliban-Kämpfern und festgenommenen Selbstmordattentätern erfahren zu haben, dass sie in Pakistan ausgebildet wurden. Dabei soll auch der pakistanische Geheimdienst ISI mitwirken, mit dem zusammen einst die CIA in den 80er Jahren die islamistischen Widerstandskämpfer, darunter auch Bin Laden und al-Qaida, gegen die sowjetische Besatzung unterstützt und ausgebildet hat. Auch Mullah Omar, der weiterhin als Taliban-Führer gilt, soll sich in Pakistan aufhalten.

Das britische Militär will nun kleinere, vorgeschobene und schlecht zu versorgende Stützpunkte, in denen wenige britische Soldaten oft eingekesselt sind und unter Beschuss stehen, in den nächsten Wochen mit afghanischen Sicherheitskräften besetzen, denen die Briten mehr als die Taliban für ihre Kämpfer zahlen wollen, um sie so abzuwerben oder weniger empfänglich für die gegnerische Seite zu machen. Das soll in Zusammenarbeit mit Stämmen geschehen, die genug von den Kämpfen haben. Die Briten stehen, wie die Times berichtet, in Verhandlungen mit lokalen afghanischen Stammesführern in vier Distrikten, in denen die Soldaten oft mehrmals am Tag in Kämpfe verwickelt werden. Die Polizeieinheiten, die eine Art Söldnergruppe oder einen lokalen Privaten Militärdienstleister darstellen, sollen die britischen Soldaten ablösen, ohne dass dies nach einer Niederlage oder Flucht aussieht. Sie sollen wieder stärker für den Wiederaufbau und die Entwicklungshilfe eingesetzt werden, um so für ein besseres Image zu sorgen. Der britische General David Richards, derzeit Oberkommandeur der Nato-Truppen, meinte, dann könnten die britischen Truppen zeigen, „dass sie nicht nur kämpfen, sondern auch das bringen können, was die Menschen benötigen“.

Der Einsatz der stellvertretenden Sicherheitskräfte ist dem britischen Militär 70 Dollar pro Mann im Monat wert. Richards hofft bald 120 Dollar zahlen zu können. Die Taliban sollen 5 Dollar pro Tag zahlen, so dass man nun erstmal noch darunter liegt. Ob der Kampf übers Geld aber, selbst wenn die Briten das längere Zeit durchhalten sollten, tatsächlich die Region befriedet, ist fraglich, schließlich dürften nicht alle Taliban-Kämpfer nur Söldner sein, da es sonst kaum so viele Menschen geben würde, die sich als Selbstmordattentäter zur Verfügung stellen. Zudem ist, wer nur für Geld die Seiten wechselt, kein besonders verlässlicher Kandidat, was sich derzeit auch im Irak bei Soldaten und Polizisten sehen lässt, die vielleicht auch mit zusätzlichem Geld gleichzeitig für Milizen oder Aufständische arbeiten. Zumindest dürfte der Plan der Briten dazu führen, dass auch der Markt darüber entscheidet, auf welcher Seite die meisten bewaffneten Kämpfer stehen. Ob die Glaubwürdigkeit der intervenierenden Länder damit steigt, darf bezweifelt werden.

Nach den frontalen Kämpfen im September im Süden haben die Nato-Truppen im Laufe der „Operation Medusa“ mit ihrer überlegenen Feuerkraft zahlreiche Angreifer töten können. Seitdem sind zwar die Kämpfe abgeflaut, aber die Taliban wieder zu der Guerilla- und Anschlagstaktik übergegangen, bei der sie weniger leicht verwundbar sind. Jetzt kommt erst einmal der Winter, in dem die Kämpfe abflauen und die Taliban, wie bereits letztes Jahr, sich auf eine erneute Frühjahrsoffensive vorbereiten werden.

Die Briten setzen, weil es mit dem Aufbau einer staatlichen Militär- und Polizeipräsenz nicht schnell genug vorangeht, auf die Bezahlung von bewaffneten Kräften, letztlich von Milizen lokaler Stammesführer. Damit gehen sie einen Schritt weiter in Richtung auf die Privatisierung des Krieges, vor allem aber auf dem Einsatz von Söldnern für internationale, angeblich friedenssichernde Einsätze. Diesen Zukunftsmarkt haben bereits 2003 Private Sicherheitsdienstleister im Auge gehabt, als sie etwa ein Angebot für eine bewaffnete Friedensmission unter UN-Mandat im Kongo angeboten haben (Söldnertruppen in UN-Diensten?), die deutlicher billiger käme und politisch womöglich weniger umstritten wäre, als die Teilnahme von Soldaten an Missionen, die sich lange hinziehen, teuer sind und viele Opfer kosten.