Schritt zu einem deutschen FBI und zum Präventionsstaat

Oppositionsparteien halten Protest gegen das BKA-Gesetz aufrecht. Ein Gespräch mit der FDP-Abgeordneten Gisela Piltz

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Mit 375 Ja-, 168 Nein-Stimmen und 6 Enthaltungen hat der Bundestag am Mittwoch das so genannte Gesetz für das Bundeskriminalamt beschlossen. Damit könnten die Befugnisse dieser Bundesbehörde noch in diesem Jahr erheblich ausgeweitet werden. Für Kontroversen sorgen vor allem die geplanten Überwachungsmaßnahmen. Nun muss das Gesetz noch den Bundesrat passieren. Wegen des Widerstandes aller Oppositionsparteien könnten dort einige Länder gegen das Vorhaben stimmen. Doch selbst wenn das "BKA-Gesetz" auch diese Hürde nimmt, kann Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) noch nicht aufatmen. Schon jetzt haben oppositionelle Abgeordnete rechtliche Schritte vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt. Telepolis sprach mit Gisela Piltz, der innenpolitischen Sprecherin der FDP-Fraktion im Bundestag.

Frau Piltz, die große Koalition aus CDU und SPD hat am gestrigen Mittwoch das Gesetz für das Bundeskriminalamt (BKA-Gesetz) gegen den Widerstand der gesamten Opposition verabschiedet. Sagen Sie uns, warum Sie gegen diese Initiative gestimmt haben?

Gisela Piltz: Schon das Prinzip hinter diesem Gesetz ist falsch: Wir brauchen keine bundesweit agierende Polizei mit Befugnissen in der Gefahrenabwehr. Die Länderpolizeien haben diese Aufgabe bisher sehr gut erledigt. In dem Gesetz findet sich eine bislang nicht gekannte Bündelung von Eingriffen in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger: Aus allen Polizeigesetzen der Länder sind die eingriffsintensiven polizeilichen Maßnahmen zusammengeschrieben worden. Hinzu kommen neuartige Maßnahmen wie die heimliche Online-Durchsuchung und die Quellen-Telekommunikationsüberwachung. Das ganze in der Hand einer schlagkräftigen, weil personell, sachlich und technisch gut ausgestatteten Großbehörde - das ist ein Schritt hin zu einem deutschen FBI. Auf der anderen Seite sieht das Gesetz keine ausreichende Kontrolle durch das Parlament vor. Die Benachrichtigungspflichten gegenüber den Betroffenen heimlicher Ermittlungsmaßnahmen sind löchrig wie ein Schweizer Käse.

Von Bundespolitikern werden die erweiterten Kompetenzen mit einer angeblichen Terrorgefahr begründet. Ist diese Gefahr denn gegeben?

Gisela Piltz: Niemand bezweifelt, dass der Staat alles tun muss, um die Bürgerinnen und Bürger vor terroristischen Gefahren zu schützen. Der Streit dreht sich um die Frage nach dem besten Weg, einen Terroranschlag zu verhindern. Der Abbau von 17.000 Stellen bei der Polizei in Deutschland seit 2001 ist jedenfalls der falsche Weg. Auch falsch ist es, dass die Bundesregierung in drei aufeinander folgenden Jahren dem BKA immer weniger Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt hat. Hier gegenzusteuern, das wäre richtig. Aber dazu brauchen wir kein neues BKA-Gesetz.

Ist es nicht rechtsstaatlich bedenklich, wenn ein geheimer Verdacht dazu dient, Freiheits- und Persönlichkeitsrechte einzuschränken? Konkret: Ob die Gefahr eines spezifischen Anschlags tatsächlich besteht, kann ich als Bürger oder gar Geschädigter der Polizeibehörden doch gar nicht nachprüfen!

Gisela Piltz: Genau das ist ja das Problem. Mit dem BKA-Gesetz wird ein weiterer Schritt hin zum Präventionsstaat gegangen, indem jeder auf vagen Verdacht hin von heimlichen Ermittlungen betroffen sein kann. Was ein "Gefährder" ist oder welche Definition des "internationalen Terrorismus" für das BKA maßgeblich sein soll, bleibt unklar. Nach der Gesetzesbegründung reicht es für die Zuständigkeit des BKA aus, dass der Verdacht vorliegt, dass jemand einer "international propagierten ideologischen Strömung" anhängt.

Heimliche Ermittlungsmaßnahmen erfordern in besonderem Maße die Gewähr, dass wenigstens nachträglich Rechtsschutz gesucht werden kann. Dazu braucht man aber Kenntnis von Maßnahmen. Und bei den vorgesehenen löchrigen Benachrichtigungspflichten wird in den meisten Fällen eine Benachrichtigung unterbleiben. Das ist verfassungsrechtlich sehr bedenklich. Das hat bei der Anhörung im Innenausschuss des Bundestags auch Prof. Hansjörg Geiger vorgetragen, der früher Chef des Bundesnachrichtendienstes war.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat versichert, er wisse, "was die Verfassung erlaubt und was sie nicht erlaubt". Ist dem so?

Gisela Piltz: Sagen wir es mal so: Wir hätten uns in der Vergangenheit mehr Initiativen vom Verfassungsminister - denn das ist ja der Innenminister eigentlich - erwartet, um die Grundrechte zu schützen. Und vor zwei Jahren noch, das möchte ich mal in Erinnerung rufen, war der Innenminister der Meinung, dass er für heimliche Online-Durchsuchungen gar keine Rechtsgrundlage bräuchte. Darin hat das Verfassungsgericht ihn inzwischen ja eines Besseren belehrt. Die Richter haben nicht nur eine gesetzliche Grundlage gefordert, sondern für diese auch noch sehr hohe Hürden aufgestellt.

Sie wollen deswegen Beschwerde vor dem Verfassungsgericht einlegen. Welche Chancen rechnen Sie sich aus?

Gisela Piltz: Zunächst einmal bin ich als Parlamentarierin gewählt und nicht als Klägerin. Daher lag mein Hauptaugenmerk darauf, im parlamentarischen Verfahren alles zu unternehmen, um das Gesetz zu verhindern. Nun liegt der Ball beim Bundesrat. Seine Entscheidung werden wir abwarten müssen. Parallel werden wir aber alle Möglichkeiten prüfen, das Gesetz nötigenfalls dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.

Die Kritiker des Gesetzentwurfs kommen aus Ihrer Partei, von den Grünen und von der Linken. Werden Sie Ihre Bemühungen mit diesen Fraktionen koordinieren?

Gisela Piltz: Wie gesagt, wir werden alle Möglichkeiten erwägen und prüfen. Das Grundgesetz geht nicht von der großen Koalition aus, die es der Opposition erschwert, ihre parlamentarischen und verfassungsmäßigen Möglichkeiten auszuschöpfen. Im Rahmen unserer Prüfung werden wir jedenfalls keine Optionen von vornherein ausschließen.

In Bayern haben sich Ihre Parteifreunde im Koalitionsvertrag mit der CSU für die Onlinedurchsuchung ausgesprochen. Was hat sich denn seither verändert?

Gisela Piltz: Die FDP in Bayern hat sich nicht für Online-Durchsuchungen ausgesprochen. Das bayerische Polizeiaufgabengesetz hat nicht die FDP entworfen und beschlossen, sondern es stammt von der CSU, die in Bayern bislang regiert und das Gesetz schon in der letzten Legislaturperiode mit Mehrheit beschlossen hat. Das Gesetz ist schon in Kraft gewesen, als die FDP Koalitionsverhandlungen geführt und Regierungsverantwortung übernommen hat. Dabei hat sie Verbesserungen durchgesetzt und der CSU die verfassungsrechtlichen Grenzen aufgezeigt. Ein Beispiel dafür ist, dass Wohnungen nicht heimlich für die Installation so genannter Bundestrojaner auf Computern betreten werden dürfen.