Seemansgarn aus Venezuela

Der venezolanische Verteidigungsminister Vladimir Padrino sprach von einem "heimtückischen und kriminellen Akt" und veröffentlichte das Bild des "Aggressorschiffs".

Patrouillenboot soll deutsches Kreuzfahrtschiff gerammt haben und gesunken sein. So war es in deutschen Medien zu lesen. Stimmt so aber wohl gar nicht

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Zwei Wochen nach einem skurrilen Zwischenfall in den Gewässern vor der venezolanischen Küste, bei dem ein Patrouillenboot der Marine des südamerikanischen Landes nach einer Kollision sank, ist das beteiligte Kreuzfahrtschiff RCGS Resolute nach wie vor in einer Werft im Hafen von Willemstad, Curaçao, arrestiert und vertäut. Offenbar wird es auf der niederländischen Überseeinsel zu einem sogenannten Seeamtsverfahren kommen. Dabei wird geklärt werden, wer für den Zusammenstoß in den frühen Morgenstunden des 30. März verantwortlich war.

Das alles könnte nun als karibische Provinzposse abgetan werden, wenn da nicht der mediale Umgang wäre. "Kriegsschiff rammt deutsches Passagierschiff - und sinkt" schrieb Springers Bild, "Patrouillenboot rammt Kreuzfahrtschiff: Treffer... und selbst versenkt", titelte der Berliner Tagesspiegel süffisant.

Beide - und andere - Redaktionen übernahmen ohne weitere Prüfung die Version des in Hamburg ansässigen Managements, weil sie schön passte: Zum einen ging es gegen die in hiesigen Gefilden nicht gerade beliebte Regierung des venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro, zum anderen setzte unter anderem die Bild frühzeitig die Mär vom deutschen Passagierschiff in die Welt. Hier schon ist die Realität komplexer hinter vier Buchstaben darstellbar: Die beteiligte RCGS Resolute fährt unter portugiesischer Flagge, die Eigner haben ihre Adresse auf den Bahamas, der Reeder sitzt in Kanada und das Management in Hamburg.

Fakt ist: Bei dem Zusammenstoß in den frühen Morgenstunden des 30. März vor der Küste der venezolanischen Tortuga-Insel ist das venezolanische Küstenkontrollboot Naiguatá backbordseitig schwer beschädigt worden und gesunken. Kurz zuvor hatte es das beteiligte Passagierschiff kontrollieren wollen. Die Crew der Naiguatá wurde von einem anderen venezolanischen Militärboot, der T-91 Los Frailes, aufgenommen. Militärs des südamerikanischen Landes werfen der Besatzung der unter portugiesischer Flagge fahrenden RCGS Resolute vor, für den verheerenden Zwischenfall verantwortlich gewesen zu sein. Nach venezolanischen Angaben hat die RCGS Resolute abrupt beigedreht und das Patrouillenboot gerammt.

Erst die Ermittlungen in Curaçao werden Klärung bringen. Denn auch wenn die RCGS Resolute das automatische Identifikationssystem nach der Kollision abgeschaltet haben sollte, werden die an Bord gespeicherte elektronische Seekarte und der Schiffsdatenschreiber über das Geschehen Auskunft geben. Dann wird auch geklärt werden, was genau auf der Brücke des Zivilschiffes geschah, warum die RCGS Resolute den Anweisungen der venezolanischen Marine nicht folgte und den Schiffbrüchigen keine Hilfe leistete.

Finanziell steht einiges auf dem Spiel: Schadensersatzforderungen im dreistelligen Millionenbereich für die Naiguatá, Folgekosten durch die massive Umweltverschmutzung und die Bergung des Wracks, das nun in rund 70 Meter Tiefe auf dem Meeresgrund liegt.

Für den kanadischen Reeder One Ocean Expeditions dürfte der Zwischenfall das Ende bedeuten. Das Unternehmen ist offenbar pleite, in den vergangenen Wochen und Monaten war die RCGS Resolute mehrfach wegen unbezahlter Rechnungen festgesetzt worden. Branchenportale mutmaßen, dass auch Luxusreisende teilweise zehntausende Euro pro Person für Reisen verlieren werden, die sie nicht mehr antreten können.

Konsequenzen hatte die Posse bereits für die Deutsche Welle. Bar jeder Detail- und Fachkenntnis veröffentlichte der deutsche Regierungssender einen spanischsprachigen Bericht, der die Schuld - wie auch andere Redaktionen - der venezolanischen Seite gibt und von einem "deutschen Kreuzfahrtschiff" spricht. Auf eine Protestnote der venezolanischen Regierung reagierte ein DW-Sprecher recht schmallippig: Es habe eben keine weiteren Informationen gegeben. Zuvor hatte die DW dann doch noch mehrere Berichte mit einer differenzierten Darstellung veröffentlicht.