Sind 1000 Abschiebungen pro Tag realistisch?

Peter Taubers Forderung ist derzeit ziemlich weit von der Wirklichkeit entfernt

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CDU-Generalsekretär Peter Tauber hat die Bundesländer in der Rheinischen Post dazu aufgefordert, pro Tag mindestens 1.000 abgelehnte Asylbewerber abzuschieben. Diese Zahl ergebe sich aus der der täglich abgelehnten Anträge. Besonderen Handlungsbedarf sieht er in den beiden rot-grün regierten Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, die "deutlich nachlegen" müssten.

Um Asylbewerber in der von Tauber geforderten Größenordnung auszuschaffen, müssten die Bundesländer kräftig in Juristen, Polizisten und Charterflüge investieren. Und selbst dann wäre fraglich, ob sie auf die geforderte Anzahl kämen, weil viele Abschiebungen am der Rücknahmebereitschaft der Herkunftsländer scheitern. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann hat deshalb gefordert, den Hebel beim Geld anzusetzen, und solchen Ländern die Entwicklungshilfe zu kürzen. Diesen Hebel in der Hand hat sein Parteifreund Gerd Müller, dessen Entwicklungsministerium auf Fragen nach geplanten Maßnahmen beharrlich schweigt.

Auf eine andere Methode setzen Israel und Australien: Israel schickt ausreisepflichtige Eritreer und Sudanesen, die von ihren Heimatländern nicht zurückgenommen werden, nach Ruanda und Uganda. und zahlt den beiden afrikanischen Ländern Geld dafür. Australien hat ein Abkommen mit Kambodscha geschlossen, das nun illegale Einwanderer aufnimmt, die eigentlich auf den fünften Kontinent wollten.

CDU-Generalsekretär Peter Tauber. Foto: Foto-AG Gymnasium Melle. Lizenz: CC BY-SA 4.0.

Wie weit die Zahl der Abschiebungen aktuell von Taubers Wünschen entfernt ist, zeigen Zahlen, die mehrere deutsche Bundesländer auf Anfrage von Telepolis zusammenstellten. Da geht es eher um Größenordnungen wie 1.000 Personen im Jahr - und nicht am Tag.

In Bremen - dem Bundesland, das hier am zögerlichsten ist - sank die Zahl der Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber zwischen 1997 und 2015 von 218 auf 28. 2014 wurden gar keine abgelehnten Asylbewerber abgeschoben, 2013 lediglich vier. Zur Zahl der Ausreisepflichtigen macht die Hansestadt keine Angaben und beruft sich dabei auf einen "unverhältnismäßigem Aufwand".

Das nicht von einer rot-grünen, sondern von einer großen Koalition regierte Saarland hat im Vergleich zu Bremen weniger als doppelt so viele Einwohner, aber 2015 fast zwölf Mal so viele abgelehnte Asylbewerber abgeschoben. Seit 2010 steigerte das kleinste Flächenland die Zahl der Abschiebungen von 133 auf 149, 215, 279 und 334. Lediglich 2013 wurden mit 207 weniger abgelehnte Asylbewerber abgeschoben als im Vorjahr. Die Bestandszahl der vollziehbar Ausreisepflichtigen mit Duldung lag dort zum Jahresende 2010 bei 1.061, 2011 bei 1.029, 2012 bei 872, 2013 bei 911, 2014 bei 1002 und 2015 bei 1.506.

In Niedersachsen wurden vor 16 Jahren 2.752 Personen ausgeschafft. 2015 waren es lediglich 1.133, davon 262 nach der Dublin-III-Verordnung. 12.351 vollziehbar Ausreisepflichtige duldete das Bundesland nach Angaben des niedersächsischen Innenministeriums, weil sie "nicht zeitnah abgeschoben werden konnten [...] da dem Vollzug [im individuell-konkreten Einzelfall] tatsächliche oder rechtliche Hindernisse entgegengestanden haben".

In Sachsen sank die Zahl der Abschiebungen zwischen 1995 und 2015 von jährlich 2.100 auf 1.621. In den Jahren 2007 bis 2014 war sie zwischenzeitlich sogar noch deutlich niedriger. Dafür stieg die Zahl der vollziehbar Ausreisepflichtigen zwischen 1995 und 2015 von 2.933 auf 7.149. den Rückgang der Rückführungen und deren Wiederanstieg erklärt das sächsische Innenministerium damit, dass es in den 1990er Jahren zu vielen Abschiebungen von Bulgaren und Rumänen, kam, die zum großen Teil wegfielen, nachdem diese Länder EU-Mitglieder wurden. Außerdem wurden damals viele Vietnamesen und nach dem Ende des Krieges 1995 auch Bosnier in ihre Heimatländer zurückgebracht. Nach dem Kosovokrieg konnte man zwar Albaner abschieben, hatte aber das Problem, dass es für Minderheiten aus diesem Gebiet einen Abschiebestopp gab, "der aber nicht zum Entfallen der statistisch erfassten Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht führte". Den Wiederanstieg der Zahl der Abschiebungen ab 2013 erklärt der Freistaat mit den Möglichkeiten des Dublin-Verfahrens.

Brandenburg steigerte die Zahl der Zwangsrückführungen im letzten Jahr von 112 auf "deutlich mehr als 500". Gegenüber Telepolis beklagt man, dass Abschiebungen "aufwändig, schwierig und teuer" sind, weil "alle politischen, rechtlichen und prozessualen Register gezogen [werden], um eine Bleibeperspektive zu erstreiten, die den Betroffenen im Grunde genommen nicht zusteht". Ausländerbehörden in ganz Deutschland bestätigen das. Sie sind in vielen Fällen so überlastet, dass man die erheblichen finanziellen und personellen Ressourcen, die eine Abschiebung in Anspruch nimmt, auf Schwerkriminelle konzentriert.

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