Umdefinition von Folter in den Medien nach 9/11

Plötzlich wurde Waterboarding ab 2002 in den US-Medien nicht mehr wie zuvor Jahrzehnte lang als Folter bezeichnet

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Schnell war nach den Anschlägen vom 11.9. vor allem der damalige US-Vizepräsident Cheney bei der Hand. Er war nicht nur die treibende Kraft, die Gelegenheit zu nutzen, um den Irak anzugreifen und Hussein zu stürzen, sondern auch möglichst weitgehend zur Terroristenbekämpfung rechtliche Einschränkungen aufzuheben. Jetzt müsse man die Handschuhe ausziehen, sagte er am 16. September 2001, und dürfe sich nicht davor scheuen, sich die Hände schmutzig zu machen: "Es ist ein gemeines, ekelhaftes, gefährliches und dreckiges Geschäft da draußen, und wir müssen auf die Schauplatz agieren."

Die Folgen war der Ausbau der Überwachung und der Kompetenzen der Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten im Inneren und die Wiedereinführung der gezielten Tötung durch Drohnen oder Spezialkräfte, das Verschleppen und Verschwindenlassen von Verdächtigen und deren Folterung durch eigene Leute oder durch das "Fachpersonal" mehr oder weniger befreundeter Länder, zudem die Schaffung eines rechtlichen Freiraums für die neuen Outlaws. Der Krieg sollte global und überall dort geführt werden, wo mutmaßliche Terroristen sich aufhalten.

Interessant war auch zu beobachten, wie anfangs die Medien – vor allem in den USA, aber auch hierzulande – unkritisch das Spiel der US-Regierung im globalen Kampf gegen den Terrorismus stützte. Das erstreckte sich soweit, dass man auch Folter umdefiniert wurde, weil man der vom Weißen Haus vorgegebenen Sprache folgte.

Rechtsberater, die man eigentlich Rechtsverdreher im Dienste der Regierung nennen müsste, hatten zunächst den scheinlegalen Grund dafür gelegt, dass die "harten Verhörmethoden" (enhanced interrogation techniques) wie Waterboarding, Schläge in den Magen oder ins Gesicht, langes Stehen, Kaltzelle, aber auch laute Musikbeschallung, Schlafentzug oder schmerzhafte Stellungen angewendet werden können. Manche Handlungen dürfen, so die Rechtsberater in ihrem Freischein, zwar "grausam, unmenschlich und erniedrigend" sein, sind aber keine Folter, wenn sie nicht "Schmerzen oder Leiden in der erforderlichen Intensität" verursachen. Körperlicher Schmerz wäre nur dann als Folter zu verstehen, wenn Schmerz dem vergleichbar ist, der von "einer schweren Verletzung wie einem Organschaden, einer Lähmung körperlicher Funktionen oder sogar dem Tod ausgeht". Psychische Folgen müssten in schweren psychischen Schäden signifikanter Dauer, mindestens Monate, münden (Die intellektuellen Wegbereiter von Folter und Willkürjustiz, Die US-Regierung und die Folter).

Eine Studie des Joan Shorenstein Center on the Press, Politics and Public Policy an der Harvard University zeigt nun auf, wie schnell die Medien sich der von der Regierung ausgegebenen Sprachanordnung für das Waterboarding, das Cheney weiterhin anpreist, anpassten. Studenten hatten verfolgt, dass in vier ausgewählten großen US-Zeitungen (New York Times, USA Today, Wall Street Journal, Los Angeles Times) von 1930 an bis zum Jahr 2001 die Methode Waterboarding, auch simulated drowning, mock drowning, near drowning, torture-lite, form of mock execution, Asian torture oder Swedish drink gennannt, in aller Regel als Folter bezeichnet wurde. Ganz anders nach dem 11.9 (in der NYT wurde auch vor 1930 Waterboarding nicht in Zusammenhang mit Folter gebracht).

Zwischen 2002 und 2008 wurde Waterboarding überwiegend nicht als Foltertechnik in Artikel charakterisiert. Wenn allerdings vom Waterboarding in einem anderen Land die Rede war, so der von Zeitungen praktizierte zweifache Maßstab, galt es dann doch weiterhin als Foltertechnik:

The New York Times called waterboarding torture or implied it was torture in just 2 of 143 articles (1.4%). The Los Angeles Times did so in 4.8% of articles (3 of 63). The Wall Street Journal characterized the practice as torture in just 1 of 63 articles (1.6%). USA Today never called waterboarding torture or implied it was torture. In addition, the newspapers are much more likely to call waterboarding torture if a country other than the United States is the perpetrator. In The New York Times, 85.8% of articles (28 of 33) that dealt with a country other than the United States using waterboarding called it torture or implied it was torture while only 7.69% (16 of 208) did so when the United States was responsible. The Los Angeles Times characterized the practice as torture in 91.3% of articles (21 of 23) when another country was the violator, but in only 11.4% of articles (9 of 79) when the United States was the perpetrator.

Der 70 Jahre lang, über viele Kriege hinweg vorhandene Konsens der Medien und Journalisten, Waterboarding als Folter zu bezeichnen, hat sich also ohne Anweisung von oben, aber in Anpassung an die Sprachregelung ziemlich schnell verändert, was auch heißt, Medien und Journalisten machten sie zu eigen, dass mutmaßliche Terroristen schon mal härter angefasst werden müssen, ohne dass dies gleich als Folter gelten und entsprechend geahndet und verboten werden müsste. Um eine gewisse Distanz oder Neutralität zu wahren, wurden die "harten Verhörtechniken" dann als "harsch", "aggressiv", "umstritten" oder nur als "weichere Technik" (softer treatment) bezeichnet oder gar nicht kategorisiert. Eine Variante, das Wort Folter selbst nicht schreiben und dies dann auch vertreten zu müssen, aber es doch zu erwähnen, war der Trick zu sagen, dass andere (many, critics, most of civilized world, McCain, Menschenrechtsgruppen) Waterboarding als Folter bezeichnen.

Allerdings wurde in den Kommentaren das Wort Folter häufiger verwendet, was implizieren könnte, dass die Medien/Journalisten entweder unsicher waren oder nicht den Mut hatten, weiterhin in den Artikeln von Folter zu sprechen. Die Autoren weisen allerdings die Möglichkeit zurück, dass die Medien/Journalisten plötzlich neutral sein wollten, weil Unsicherheit darüber bestand, ob Waterboarding Folter ist oder nicht. Die Einstufung des Waterboarding als Folter sei keineswegs unklar gewesen, sagen die Autoren, sondern in den Zeitungen sowie im amerikanischen und internationalen Recht sei es immer und eindeutig als Folter eingestuft worden. Das Abweichen von dieser Norm könne man nicht neutral nennen.

Auch hierzulande haben Politiker möglichst weggeschaut, gelegentlich aber auch mit Folter, Geheimgefängnissen und Verschleppungen geliebäugelt oder sie geduldet (Alles in Ordnung?).