Virtuelle Kraftwerke

Regenerative Energien werde zunehmend zu einem Problem für Netzbetreiber

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Regenerative Energien sind auf dem Vormarsch. In der Nordsee werden immer mehr Offshore-Windparks errichtet. Und auch an Land gehören die Windmühlen bereits zum bekannten Bild. In Baden-Württemberg haben sich einzelne Gemeinden bereits so weit entwickelt, dass sie in der Lage sind ihren gesamten Strombedarf aus eigener Kraft zu decken. Die landwirtschaftlich geprägte Kommune Freiamt im Schwarzwald hat damit begonnen, Strom zu exportieren. Immer mehr Landwirte aus dem Ort haben ihr Vieh abgeschafft und produzieren statt dessen nun Strom. Für Netzbetreiber werden solche kleinen Stromproduzenten jedoch zunehmend zu einem Problem. Sorgen sie doch für starke Leistungsschwankung innerhalb des Netzes. Virtuelle Kraftwerke versuchen diese Probleme durch eine intelligente Steuerung auszugleichen.

Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) warnte kürzlich vor zunehmenden Stromausfällen: Auslöser für diesen Alarmismus ist eine von der Deutschen Energie Agentur (dena) vorgelegte "Netzstudie II" (PDF). Diese stellt fest, dass bereits heute die Belastbarkeit der Netze aufgrund der regenerativen Energieträger zeitweise erreicht sei. Insgesamt geht die dena davon aus, dass ohne einen weiteren Ausbau der Netze die Wahrscheinlichkeit von Stromausfälle deutlich steigen wird.

Christian Rehtanz, Professor für Energiesysteme und Energiewirtschaft an der Technischen Universität Dortmund, sieht die Probleme ähnlich. „Durch die regenerativen Energien wird das Netz zunehmend unruhiger“, sagt er. Insgesamt brauche es immer mehr Lasten um ein Leistungsüberangebot abfangen zu können. Eine mögliche Lösung für das Problem stellen aus seiner Sicht „Virtuelle Kraftwerke“ (VK) dar.

Denn ein VK bestünde nicht nur aus Stromerzeugern. Auch Leistungsabnehmer gehörten dazu. Das Bundeswirtschaftsministerium untersucht derzeit an verschiedenen Pilotprojekten, wie VKs funktionieren könnten. Unter dem Namen "E-Energy" hat das BMWi sechs Modellprojekte ausgewählt, an Hand derer die Möglichkeiten solcher Kraftwerke ausgelotet werden sollen.

Wie mit gefrorenem Fisch ein Virtuelles Kraftwerk aufgebaut wird

Das Projekt eTelligence in Cuxhaven ist ein solches Projekt. Die Region selbst ist geprägt durch eine sehr große Anzahl von Windkraftanlagen (WKA). Demgegenüber steht eine sehr geringe Versorgungsdichte auf Grund der niedrigen Bevölkerung. ETelligence untersucht, wie sich ein VK in einer solchen Umgebung wirtschaftlich betreiben lässt.

Dass sich der Aufbau eines solchen Kraftwerkes deutlich ruhiger vollzieht, als beispielsweise die Errichtung eines neuen Kohlekraftwerkes, macht Volker Diebels schnell deutlich. Er ist Pressesprecher von eTelligence und sagt: „Eigentlich haben wir hier keine großen und spektakulären Projekte“. Vielmehr versuche man die erneuerbaren Energien intelligent in das Netz einzubinden.

Dazu wurden Vertrage mit zwei Kühlhäusern für Fisch und einem Schwimmbad geschlossen. Der Trick dabei liegt in der Möglichkeit, die großen Leistungsschwankungen der WKAs durch diese Verbraucher abzufangen. „Weht der Wind, kühlen wir unsere Fische“, erklärt Diebels. Auf diese Weise würde eine große Leistung aus dem Netz abgerufen werden. Kann das Netz die benötigte Leistung nicht liefern, werden die Kühlhäuser einfach abgeschaltet. „Solange innerhalb des Kühlhauses eine bestimmte Temperatur nicht überschritten wird, ist das für den gefrorenen Fisch kein Problem“.

Das Schwimmbad dagegen kann einen Strommangel ausgleichen. Immer dann, wenn die Windparks aufgrund einer Flaute nicht ausreichend Leistung liefern können, kann dort zusätzliche Leistung abgerufen werden. Das "Erlebnisbad ahoi Cuxhaven" heizt sein Wasser durch ein eigenes Blockheizkraftwerk (BHKW). Der Nebeneffekt dabei ist die Produktion von Strom. Dieser kann bei Bedarf in das Netz eingespeist werden.

Das nächste Ziel von eTelligence ist der Versuch auch private Haushalte zu einem intelligenteren Stromverbrauch zu bewegen. Dabei soll es die Möglichkeit geben durch eine App über das eigene Mobiltelefon die nötigen Preisinformationen zu erhalten, um damit entsprechend wirtschaftlich reagieren zu können.

Der Versuch private Stromkunden über die Kosten so zu steuern, dass sie als Teil des VKs funktionieren, wird allerdings nicht überall als erfolgversprechend angesehen. „Die Benutzung der Waschmaschine oder der Geschirrspülmaschine an die Leistungsbereitschaft der Netze zu binden, stellt einen sehr großen Verlust von Lebensqualität dar.“, argumentiert Rehtanz. Auch sei es für viele Haushalte nur schwer möglich, die Leistungsbereitschaft der Netze zu überwachen.

Niemand sitzt permanent zu Hause vor einem kleinen Monitor, um den richtigen Zeitpunkt für die Wäsche abzuwarten.

Die Vorstellungen, wie VKs funktionsfähig gemacht werden können, werden derzeit durchaus kontrovers diskutiert. Allen Betreibern und Wissenschaftlern gemeinsam jedoch ist die Sorge um die Netzkapazitäten. Sowohl Diebels als auch Rehtanz sehen dort den größten Nachholbedarf. Rehtanz sagt, dass das Teuerste beim Ausbau der Netze nicht die Verlegung zusätzlicher oder dickerer Kabel sei. Vielmehr stelle der Straßenbau den größten Kostenfaktor dar.

Wenn in einer Stadt wie Hamburg überall die Straßen aufgerissen werden müssen, kommt sehr schnell eine beträchtliche Investitionssumme zusammen.

Diese aufzubringen sei nicht eben einfach und es bedürfe einer großen politischen Anstrengung, die Bevölkerung von einer solchen Maßnahme zu überzeugen.

Die Liberalisierung des Strommarktes setzt Virtuellen Kraftwerken enge Grenzen

Beim Aufbau eines VKs gibt es jedoch nicht nur technologische oder finanzielle Probleme. Die Liberalisierung des deutschen Strommarktes kann zu einer unüberwindbaren Hürde für ein VK werden. „Auf Grund der Liberalisierung dürfen keine Verbindungen zwischen den einzelnen Teilen des Netzes bestehen“, so Rehtanz. VKs dagegen seien jedoch nicht einfach nur kleine Stromerzeuger, die sich zu einem Verbund zusammengeschlossen hätten.

Vielmehr stellten sie ein zusammenhängendes Netz von Stromproduzent und Stromverbrauchern dar - um entsprechende Leistungsschwankungen ausgleichen zu können. Aufgrund der derzeitigen Gesetzeslage sind solche Verbünde jedoch nicht möglich. Momentan können die Netzbetreiber die großen Leistungsschwankungen der WKNs noch ausgleichen. Es ist jedoch abzusehen, dass deren Kapazitäten in naher Zukunft nicht mehr ausreichen werden.

Dass VKs technisch funktionieren können dagegen, scheint niemand mehr ernsthaft in Frage zu stellen. Wie jedoch ein Strommarkt reguliert werden muss, der sich auch durch VKs versorgt, ist bislang völlig unklar. Unter Umständen muss erneut alles überdacht werden, weil nur so regenerativen Energien technisch funktionsfähig und wirtschaftlich sinnvoll in die deutschen Netze integriert werden können.