Angesehen: Gnome 3.2

Das erste Update von Gnome 3 bindet Online-Dienste enger an die Desktop-Umgebung an. Die Entwickler haben zudem Web Apps integriert, viele kleine Verbesserungen vorgenommen und dabei eine Reihe störender Eigenarten aus der Welt geschafft.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 170 Kommentare lesen
Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Thorsten Leemhuis
Inhaltsverzeichnis

Mit der Freigabe von Gnome 3.2 präsentiert das Gnome-Projekt die erste größere Überarbeitung der dritten Gnome-Generation , die mit dem im April vorgestellten Gnome 3.0 ihre Anfang nahm. Die neue Version beseitigt einige Eigenarten, die Anwender an Gnome 3.0 kritisiert hatten; zudem enthält sie neue Programme, die den Desktop besser an Cloud-Dienste anbinden.

Gnome 3.2 (13 Bilder)

Feintuning

Einige der Unterschiede zwischen Gnome 3.0 und 3.2 zeigen sich erst bei genauerem Hinsehen – etwa die neuen Einträge im Benutzermenü.

Neu in Gnome 3.2 ist das Tool Gnome Online Accounts. Hier können Anwender ihre Zugangsdaten zu Online-Diensten eintragen – etwa die Kontodaten für die Google-Angebote. Andere Anwendungen können die Zugangsdaten bei Gnome Online Accounts abfragen, um damit auf die Cloud-Dienste zuzugreifen.

Unter anderem das Chat-Programm Empathy und das Outlook ähnelnde Evolution greifen auf Gnome Online Accounts zurück. Empathy bezieht darüber Informationen zu IM-Verbindungen und erfordert kaum weitere Einrichtung, wenn der Zugang bei Gnome Online Accounts konfiguriert wurde. Mit den dort gemachten Angaben greift Evolution auf Google Mail zu und gleicht seinen Kalender mit dem bei Google ab. Dort eingetragene Termine erscheinen so auch im via Evolution verwalteten Kalender, der sich hinter der Uhr in der oberen Statusleiste verbirgt.

Im Konfigurationsdialog von Gnome Online Accounts lässt sich für jedes konfigurierte Konto festlegen, ob es zum Abgleich von Mail, Kalender, Kontakten, Chat-Daten und Dokumenten genutzt werden kann. Bei der für diesen Blick auf Gnome 3.2 genutzten Vorabversion von Fedora 16, der eine Vorabversion von Gnome 3.2 beiliegt, ließ sich allerdings nur ein Google-Konto konfigurieren. Bei der Vorstellung von Gnome Online Accounts war angedacht, dass die Software auch Online-Dienste wie Yahoo/Flickr, Exchange oder Facebook unterstützt.

Auch die beiden neuen Programme Contacts und Documents nutzen Gnome-Online-Accounts. Das recht einfach gestrickte Gnome Contacts kann Kontaktdaten anzeigen und verändern, die lokal für Empathy und Evolution sowie entfernt in den konfigurieren Online-Diensten gespeichert sind. Gnome Documents soll einen einfachen Überblick und Zugriff auf lokal oder entfernt liegende Dokumente bieten; auf unseren beiden Testsystemen arbeitete die kaum dokumentierte Software aber nicht.

Ein weiterer Neuzugang ist der im Dateimanager Nautilus nutzbare Schnellanzeiger Sushi. Der "Quick File Previewer" zeigt eine Vorschau der jeweils ausgewählten Datei an, wenn man in Nautilus die Leertaste drückt; betätigt man sie ein weiteres Mal, verschwindet die Anzeige, die schnelle Einblicke in Bilddateien, PDF-Dokumente, Textdateien und eine Reihe anderer Dateiformate gewährt.

Der Gnome-Browser Epiphany kann Websites über einen Eintrag im Datei-Menü in Web-Applikationen verwandeln. Anschließend sind die Web Apps über die Anwendungsansicht der Shell erreichbar und lassen sich zum Dash hinzufügen; nach dem Aufruf wirken sie wie eine Anwendung, da die Webseite ohne GUI-Elemente des Browsers angezeigt wird.

Das kann etwa für häufig benutzte Webseiten wie Facebook, Google+ oder Twitter interessant sein. Die Web-Anwendungen laufen in einem eigenen Prozess, sodass sie von einem Absturz des Webbrowsers nicht gestört werden. Cookies übernimmt die Web App aus dem Browser-Profil. Klickt man in der Web App auf einen Link zu einer anderen Domäne, öffnet Gnome ihn im Webbrowser.

Durch eine ganze Reihe Detailverbesserungen wollen die Entwickler einige der Eigenschaften beseitigt haben, die zur Kritik an Gnome 3.0 beigetragen haben. An den Grundkonzepten der dritten Gnome-Generation wird dabei nicht gerüttelt; vielmehr sind es größtenteils Kleinigkeiten, die auf den ersten Blick unwichtig wirken mögen, im Alltag aber eine erhebliche Verbesserung bringen können.

Die Leiste am oberen Fensterrand etwa ist nicht mehr ganz so hoch, um weniger Bildschirmplatz auf Netbooks und anderen Geräten mit kleinen Bildschirmen zu verschwenden. Die Maus muss man nun nicht mehr exakt auf den Fensterrahmen positionieren, um die Fenstergröße anzupassen.

Die graue Unterlegung, die laufende Programme im Dash und in der Anwendungsübersicht der Shell kennzeichnet, ist jetzt etwas markanter. Sobald man eine zweite Arbeitsfläche verwendet, ist der Arbeitsflächenumschalter rechts in der Fensteransicht der Shell dauerhaft zu sehen. in Gnome 3.0 musste man ihn mit dem Mauszeiger anfahren, damit er komplett angezeigt wurde.

Die untere Statusleiste fasst nun mehrere Meldungen einer Anwendung zusammen und zeigt durch eine kleine Zahl an, wie viele Meldungen aufgelaufen sind. Im Anwender-Menü rechts in der oberen Leiste kann man den Status des Instant Messenger nun unabhängig von der Einstellung für die Anzeige von Statusmeldungen festlegen. Der Ladezustand von Notebook-Akkus wird jetzt grafisch angezeigt.

Die Gnome-Entwickler wollen zudem die Unterstützung für "Focus follows mouse" verbessert haben, eine klassische X11-Funktion, über die das jeweils unter dem Mauszeiger positionierte Fenster den Eingabefokus erhält. Laut Release Notes brauche diese Funktion aber noch weitere, für Gnome 3.4 vorgesehene Verbesserungen. Die Funktion ist ohnehin standardmäßig deaktiviert und lässt sich nicht über die Systemeinstellungen, sondern nur mit Tricks einschalten – etwa über das Gnome-Tweak-Tool.

Um die Handhabung von Wechseldatenträgern kümmert sich nun nicht mehr der Datei-Manager Nautilus, sondern die Gnome-Shell. Beim Einstecken eines USB-Sticks etwa öffnet sich in der unteren Statusleiste ein Bereich, der je nach Inhalt verschiedene Aktionen anbietet – etwa das Abspielen der auf dem Laufwerk enthaltenen Musik, das Importieren von Fotos oder den Aufruf des Dateimanagers. Wie bislang kann man den Datenträger vor dem Abziehen in Nautilus abmelden; alternativ geht es jetzt auch über einen Eintrag in der Statusleiste der Shell.

Gnome 3.2 ist auf das Anfang der Woche erschienene GTK+-Toolkit 3.2 abgestimmt, das neben der Wayland-Unterstützung und dem HTML5-Modus einige Detailverbesserungen und Verschönerungen bringt. Beim Öffnen oder Speichern von Dateien lassen sich nun etwa die zuletzt genutzten Verzeichnisse besser erreichen, da der dafür zuständige Dialog diese in einer eigenen Ansicht auflistet.

Der von Gnome verwendete Compositing Window Manager Mutter erkennt nun im Vollbild-Modus laufende Anwendungen und kommt diesen dann weniger in den Weg. Das vermeidet größere Performance-Einbußen, wenn etwa ein 3D-Spiel oder ein Video bildschirmfüllend laufen.

Die detaillierten Release Notes nennen noch einige weitere Neuerungen von Gnome 3.2:

  • Die Instant-Messaging-Funktionen sind besser in die Shell integriert, was unter anderem das Akzeptieren oder Abweisen von Freundschaftsanfragen oder gesendeten Dateien erleichtern soll.
  • Die Gnome-Entwickler haben den Login-Manager GDM erheblich überarbeitet. Sein Design ähnelt nun stärker der Gnome Shell.
  • In die Gnome Shell wurde ein insbesondere für den Tablet-Einsatz interessantes Onscreen-Keyboard integriert. Bei Geräten mit drehbaren Display und Lagesensor soll Gnome 3.2 zudem die Anzeige automatisch korrekt ausrichten.
  • Die Dokumentation für Anwendungen wie Brasero, Cheese, Evolution oder Vinagre wurde überarbeitet und ist nun "Topic-Orientiert" – beschreibt also nacheinander einige typische Aufgaben, die sich mit diesen Programmen erledigen lassen.
  • Als neu genannt wird auch die Möglichkeit zur Kalibrieren der Farben von Ein- und Ausgabegeräten wie Monitor, Drucker, Scanner oder Webcam Den dafür zuständigen Gnome Color Manager liefern einige Distributionen aber schon seit längerem mit.
  • Die neue Gnome-Version ist zudem auf den NetworkManager 0.9 abgestimmt, der Funktionen wie den schnellen Benutzerwechsel von Gnome unterstützt und eine bessere Infrastruktur zum Speichern der Netzwerkkonfiguration bringt. Die neue Version verspricht zudem besseres WLAN-Roaming und ausgebaute WiMAX-Unterstützung.

Es sind die kleinen Verbesserungen, welche die erste Überarbeitung der dritten Gnome-Generation auszeichnen. Dazu zählen die Optimierungen, die einige störende Ecken und Kanten von Gnome 3.0 aus der Welt schaffen, und Dinge wie der verbesserte Datei-Dialog oder die Web Apps. Die großen Neuerungen überzeugen noch nicht so recht: Gnome Documents etwa scheint unfertig. Besser ist es um Gnome Online Accounts und den darauf aufbauenden Funktionen in anderen Gnome-Anwendungen wie dem neuen Gnome Contacts gestellt. Aber auch hier gibt es noch einiges Verbesserungspotenzial. Die Neuerungen bilden allerdings die Grundlage für eine engere und überfällige Verzahnung der Desktop-Umgebung mit den heute allgegenwärtigen Cloud-Diensten.

Die Oberfläche von Gnome 3.2 unterscheidet sich indes nur bei genauerem Hinsehen von Gnome 3.0. Von so manchem Gnome-3-Kritiker erhoffte Verbesserungen wie die Integration von Zeitgeist oder das noch in Arbeit befindliche Framework zur einfachen Nachinstallation von Shell-Erweiterungen lassen weiter auf sich warten. Anwendern, die mit Gnome 3.0 nicht warm geworden sind, dürfte das erste Update daher noch zu kurz greifen. (thl)

Gnome 3.2 (0 Bilder)

(thl)