Apple Vision Pro im Hands-on: Warum ich mich sehr wohl Illusionen hingeben würde
Apples erster räumlicher Computer lässt digitale und reale Welt miteinander verschmelzen. Ein erstes Hands-on mit der neuen Produktkategorie.
Fasziniert, aber im ersten Moment auch etwas ratlos über die Bewertung: Dies waren meine ersten Gedanken zur Apple Vision Pro, dem ersten Mixed-Reality-Headset des iPhone-Herstellers, als der "räumliche Computer" am Montag in einer Keynote enthüllt wurde. Was an diesem Gerät, so fragte ich mich, hat bei Apple für solch eine Überzeugung gesorgt, es jetzt zu veröffentlichen, wo doch mindestens das Kabel, das vom Headset zu einem angeschlossenen Akkupack führt, für einen perfektionistischen Hersteller wie Apple normalerweise Grund genug gewesen wäre, das Produkt noch nicht für reif zu erklären. Und überhaupt der Preis: Wie soll ein Gerät für 3500 US-Dollar die Massentauglichkeit des Genres herstellen?
Erste Antworten darauf habe ich am Dienstagnachmittag kalifornischer Zeit beim Ausprobieren des Gerätes bekommen. Aber meine dort gewonnene Überzeugung, dass dieser Computer wirklich eine große Sache darstellt, ist – zumindest in diesem Punkt gebe ich mich anders als bei der Brille keinen Illusionen hin – eine zutiefst persönliche Einschätzung. Die Computerbrille ist, so ist es anderen ersten Hands-on-Erfahrungen zu entnehmen, ein Gerät, das offenbar sehr unterschiedliche Gefühle auslöst. Kaum jemand kann sich seinem Reiz entziehen. Das Warum hat freilich verschiedene Gründe.
3D-Videos: Die Neuerfindung der Erinnerung
Von all den Erlebnissen, die Apple mir in einer 30-minütigen Demo zeigte, ist es ausgerechnet die 3D-Aufnahme eines Kindergeburtstages, die mich am Ende besonders beeindruckt hat. Ausgerechnet also das, was ich bei der Vorstellung in der Keynote milde gesagt schwierig fand, dass nämlich ein Vater das Gerät wie eine Barriere im Gesicht trägt, während seine Kinder fröhlich feiern. Nicht wenige fragten sich nach der Keynote: Wer möchte in so einem Moment so ein Gerät zwischen sich und den Kindern haben?
Das Ergebnis einer solchen 3D-Videoaufnahme allerdings ist so bestechend, dass es einen doch ins Grübeln kommen lässt, ob es nicht zumindest für einen Moment erstrebenswert ist, genau so ein Gerät in so einer Situation aufzusetzen. Vor meinen Augen pusten in der Demo Kinder die Kerzen einer Geburtstagstorte aus – das alles in einer räumlichen Tiefe, die ihresgleichen sucht. Die Darstellung dieses Kindergeburtstages ist so realistisch – sowohl in Bild auch in Ton –, dass es mich wirklich bewegt. Hier lässt sich ein Moment annähernd perfekt nachleben. Wieder und wieder. Der Traum vieler Eltern, solche Momente für die Ewigkeit zu bewahren, nimmt Gestalt an. Das könnten meine Kinder sein, denke ich, an deren junge Jahre ich mich eines Tages auf diese Weise erinnern könnte.
Was funktioniert – und was nicht
Neben dieser gibt es aber noch weitere Funktionen an der Apple Vision Pro, die mich sehr beeindrucken: Kurzerhand versetzt mich der Computer in ein Stadion hinter das Tor und ich kann lebensecht miterleben, wie gerade ein Fußballspiel entschieden wird. Im nächsten Moment läuft mir ein schnaubendes Nashorn entgegen, eine Frau auf einem Drahtseil balanciert über eine Schlucht auf mich zu und im 3D-Film Avatar 2 schwimmen die Figuren um mich herum. Das alles in einer Qualität, wie ich sie zum Beispiel bei der aktuellen Meta Quest Pro, die Experten bislang als Referenzmodell galt, nicht erlebt habe. Panoramafotos vom iPhone bekommen eine ganz andere Gestalt, wenn sie zu einem VR-Erlebnis werden. Und die Achtsamkeits-App – auf der Apple Watch für mich einer der größten Nervtöter – zieht mich bei der Brille plötzlich buchstäblich in das meditative Erlebnis hinein.
Es gibt also, so ist mein Eindruck dieser Demonstration, eine Existenzberechtigung für diese Technik oder mehr noch: Ein Bedürfnis, sie in das eigene Leben zu integrieren. So etwas gab es auch seinerzeit beim iPhone bzw. beim Smartphone im Allgemeinen. Das ist nicht nur eine beeindruckende technische Spielerei. Dieser neuartige Computer kann einem einen Mehrwert geben, den es bislang so nicht gibt. Apple selbst scheint auch noch nicht so ganz entschieden zu sein, was bei den Menschen wie gut ankommt. Folglich wird einem sehr viel gezeigt und beileibe nicht alles wirkt besonders gelungen. Die Videotelefonie über Facetime, mit einer in 3D nachempfundenen Persona des Anrufers, ist beispielsweise noch so rudimentär, dass sie mich eher die klassische Videotelefonie zurückwünschen lässt. Und auch bei klassischen Fotos sehe ich kein Erlebnis, das mich gegenüber heutigen Anzeigeformen entscheidend weiterbringt, außer dass natürlich alleine mein Gesichtsfeld den Rahmen des Möglichen bestimmt und nicht länger der Displayrahmen eines Geräts.
Vorbereitungen für die erste Nutzung
Doch der Reihe nach: Am Anfang dieser Demo, die auf dem Gelände des Apple Parks in einem großen grauen quaderförmigen Gebäude stattfindet, steht meine Vermessung. Mit einem Gerät, das wie das Utensil eines Augenoptikers aussieht, wird meine Brille untersucht. Das wirft die Frage auf, ob die Vision Pro später einmal einfach so gekauft werden kann oder ob der Besuch eines Apple Stores erforderlich ist, um sie aufzusetzen. Eine Station weiter wird mittels einer iPhone-App mein Kopf fotometrisch vermessen. Das sieht zunächst wie bei der Gesichtserkennung Face ID aus. Der Unterschied ist, dass ich meinen Kopf anschließend ganz weit nach links und rechts drehen muss, damit die iPhone-Kamera auch meine Ohren vermessen kann.
Was genau mit diesen Daten passiert, wie viel bei der Vision Pro erst mal eingestellt werden muss, bleibt aktuell noch das Geheimnis von Apple. So viel weiß ich: Die Sehstärke wird mit Linsen korrigiert, die magnetisch in der Brille befestigt werden. Theoretisch kann also zumindest darauf bezogen eine Vision Pro auch für die ganze Familie genutzt werden. Ob das freilich auch mit dem Kopfband so geht, das präzise eingestellt werden soll, ist eine andere Frage.
Wie die Realität in der Brille aussieht
Als ich die Brille das erste Mal aufsetzen darf, fällt mir auf, dass sie nicht so leicht ist, wie es das geschwungene, leicht aussehende Design einen glauben lässt. Der Druck im Gesicht ist spürbar. Per Drehschalter wird das Band stärker fixiert. Ein zusätzlicher Gurt, der über den Kopf führt, entlastet dann aber doch. Dennoch: Die 30 Minuten mit dem Headset hinterlassen buchstäblich spürbar Eindruck, wenn man es wieder abnimmt. Etwas komisch mutet das Kabel an, das links zum Akkupack führt und per Schnappverschluss mit der Brille verbunden ist. Greift man von links an das Headset, kann man sich schon mal darin verheddern – es ist wenig Apple-typisch und eher eine pragmatische Entscheidung. Der Akku steckt in einem Alugehäuse und soll zwei Stunden überdauern. Er ist viel leichter als gedacht und kann so locker in der Hosentasche verstaut werden. Auch ein Netzbetrieb soll möglich sein.
Aufgesetzt, wirkt es fast so, als wenn ich die Realität draußen durch ein filterndes Glas sehe. Dass dies nur ein Kamerabild ist, das nach innen transportiert wird, könnte man glatt vergessen, so gut aufgelöst präsentiert es sich im Inneren. Ob die partielle leichte Unschärfe der nicht ganz präzisen Korrektur meines Sehfehlers geschuldet ist, vermag ich nicht zu sagen. Was auffällt ist, dass die Realität in der Brille einige Stufen dunkler daherkommt als in Wirklichkeit. Wer die Vision Pro wieder absetzt, blinzelt erst mal angesichts der realen Helligkeit.
So gut funktioniert die Steuerung
Nach der Erstinbetriebnahme wird zunächst die Augensteuerung kalibriert. Dazu muss ich in Richtung eines Punkts schauen, der sich im Uhrzeigersinn in Schritten weiterbewegt. Auch meine Hände will die Brille einmal sehen, weil sie ein wichtiges Steuerinstrument sind. Der vom Mac bekannte markante "Hello"-Schriftzug gibt anschließend einen ersten Vorgeschmack auf das neuartige Erlebnis, das einem nun erwartet.
Die Steuerung ist herrlich unauffällig. Sie erfordert wenig Lernaufwand. Buttons wähle ich aus, indem ich sie anschaue und dann Zeigefinger und Daumen zusammendrücke. Das gelingt selbst, ohne die Hand zu heben. Das Augen-Tracking funktioniert ganz hervorragend und ist aber im ersten Moment so, als könnte das Gerät Gedanken lesen. Ähnlich der Multitouch-Steuerung von Smartphones, dienen natürliche Handgesten dazu, das Gerät zu steuern. Ein Bild zoome ich mit auseinanderziehenden Bewegungen. Eine Bildschirmseite wechsele ich, indem ich die Finger zusammendrücke und in der Luft nach links oder rechts streiche. Vieles erinnert an andere Apple-Geräte und dürfte Benutzer selbiger schnell abholen. Einen Controller mit viel zu vielen Tasten braucht es nicht.
Wo die Brille aktuell steht
Die 30 Minuten Schnelldurchlauf geben einen Vorgeschmack: Mehrere Apps jongliere ich in der Luft, um das Multitasking zu testen. Text einer Website im Safari-Browser liest sich gestochen scharf. Bilder büßen nichts von ihrer Brillianz ein. Der räumliche Ton verstärkt dreidimensionale Effekte. Er ist alleine etwas leise. Die Brille selbst hat zwei Hardware-Bedienelemente: links einen Knopf, etwa zum Auslösen der Fotokamera, rechts eine digitale Krone, die ähnlich der Apple Watch als Multi-Instrument dient, etwa um den Grad der erweiterten Realität einzustellen. So viel ist jedoch fix: In den sogenannten Environments, die sich aufrufen lassen und beispielsweise einen Bergsee zeigen, tauchen reale Personen im Umfeld der Vision Pro auch im komplett virtuellen Modus halbtransparent auf. Apple will nicht, dass der Bezug zur Realität komplett verloren geht. Die von vielen belächelten digital angezeigten Augen des Nutzers im Außendisplay werden mir bei der Demo hingegen nicht gezeigt.
Nach dieser Momentaufnahme erscheint es mir, als wenn sich die Software von visionOS gegenwärtig ein wenig zwischen Machbarkeitsstudie und mehrheitlich fertiger Software bewegt. Das Produkt, so wie es ist, könnte man getrost jetzt schon auf den Markt bringen. Stattdessen soll es bis Anfang 2024 dauern. Eine App weiter fliegt mir ein Schmetterling entgegen und setzt sich auf meine ausgestreckte Hand. Auch das funktioniert wunderbar, während geöffnete App-Fenster schon einmal mit im Raum befindlichen Gegenständen oder Personen kollidieren können.
Mein persönliches Fazit
Wie sehr einen diese neue Art des Computers in ihre Welt hineinzieht, wird mir bewusst, als ich nach 30 Minuten die Brille wieder absetze: Es wirkt gar nicht unbedingt so, als wenn man die Vision Pro verlassen hat. Für einen Moment bin ich versucht, Gegenstände auf dem Tisch per Handgeste wegzuswipen. Aber nein, es war nur eine Illusion der Brille, die das möglich machte. Dass die Apple Vision Pro allerdings keinen erheblichen Einfluss darauf haben wird, wie wir die digitale Welt künftig erleben, darüber gebe ich mich nach diesem ersten Ausprobieren keinen Illusionen mehr hin. Dieses Gerät ist ein wenig so, als wenn Science Fiction Realität wird.
- Mac & i begleitet Vision Pro ab sofort mit dem neuen Podcast TNBT – The Next (Big) Thing. In Episode 1 besprechen wir das Hands-on respektive Heads-on der Apple-Brille.
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(mki)