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Auf dem Weg zu Gnome 3.0

| Alexandra Kleijn

Mit Gnome 2.28 nimmt die freie Desktop-Umgebung für Linux Kurs auf das nächste große Release Gnome 3.0, das, wenn alles nach Plan läuft, im Frühling 2010 erscheinen wird. Heise open im Gespräch mit Release-Manager Vincent Untz.

heise open: Vincent, was ist Deine Rolle im Gnome [1]-Projekt?

Vincent Untz: Seit ich bei Gnome mitmache, habe ich mich mit diversen Aspekten beschäftigt. Angefangen habe ich mit Fehlersuche und dem Schreiben von Code. Dadurch wurde ich dann Maintainer für einige der Module des Gnome-Desktops (leider nicht immer in einer aktiven Rolle, denn eine solche Arbeit ist ziemlich zeitintensiv). Im Moment bin ich Leiter des Release-Teams. Auch bin ich Präsident der Gnome Foundation [2]. Das bedeutet in erster Linie, dass ich der Vorstandsvorsitzende des Gnome Foundation Board [3] bin, aber Präsident klingt besser als Vorsitzender ;-)

Gnome-Release-Manager Vincent Untz

(Bild: Vincent Untz)

Das Release-Team ist die Gruppe innerhalb des Gnome-Projekts, die dafür sorgt, dass die technischen Sachen laufen und dass wir pünktlich neue Versionen veröffentlichen, mit der Qualität, die die Leute von Gnome erwarten. Die Stiftung ist die Non-Profit-Organisation hinter dem Projekt.

heise open: Mit Version 3.0 bricht eine – von viele sehnlichst erwartete – neue Ära für Gnome an. Die User Experience ist einer der wichtigsten Bereiche, in denen es Änderungen geben wird. Das aktuelle Gnome mutet sowohl vom Aussehen als auch von der Bedienung her recht traditionell an. Wie soll sich dieses "Anwendergefühl" mit Gnome 3.0 verändern?

Vincent Untz: Ich würde nicht sagen, dass Veränderung längst fällig war. Gnome in seiner derzeitigen Form ist zwar nicht perfekt, aber das System funktioniert gut für unsere Anwender und es hat sich durch die Jahre hindurch auch stetig verbessert. Wer Gnome 2.0 mit Gnome 2.26 oder 2.28 vergleicht, sieht enorme Unterschiede. Es hat in der Zwischenzeit so viele technische Neuentwicklungen gegeben, man denke zum Beispiel an die Zeit vor HAL und DeviceKit...

Es ist aber tatsächlich so, dass sich das Gnome-Design in dem ganzen 2.x-Entwicklungszykus nicht grundlegend verändert hat. Die Panels, die Art und Weise, wie Anwendungen gestartet und Fenster verwaltet werden, sind im Prinzip gleich geblieben. Unsere Community schätzt unsere Arbeit. Auf der anderen Seite haben wir seit Gnome 2.20 einiges an Erfahrungen gesammelt und damit können wir Gnome noch besser machen. Unser Desktop kann noch mehr Leuten helfen, die Dinge zu tun, die sie tun möchten. Anwender wollen übrigens nicht "einen Desktop benutzen": Sie wollen im Internet surfen, Mails lesen, mit Freunden chatten, Musik hören, Briefe schreiben oder irgendwelche Inhalte schaffen.

Und genau das ist unser Ziel! Wir wollen den Desktop weniger in den Vordergrund stellen, ihn intuitiver und besser bedienbar machen, sodass der Anwender sich auf die Dinge konzentrieren kann, die ihm wichtig sind. Vielleicht klingt das nach "mehr, besser, schneller!", aber eigentlich sind wir recht zuversichtlich, dass die Veränderungen, die zum Beispiel die neue Gnome Shell mit sich bringt, für echte Verbesserungen sorgen werden. Ach, und wir wollen den Desktop auch noch ein bißchen schöner machen ;-)

heise open: Wie werden Gnome Shell [4] und Gnome Zeitgeist [5] – beide Bestandteil von Gnome 3.0 – die Art und Weise verändern, wie Leute mit ihrem Desktop arbeiten?

Vincent Untz: Gnome Shell an sich ist eine größere Veränderung im Vergleich zu dem, was man von Gnome 2.x kennt. Als Shell der Desktop-Umgebung ist sie die Basis der Benutzeroberfläche. Hier startet man zum Beispiel Aktivitäten ("Activities") oder wechselt zwischen ihnen.

Gnome Shell

Die Gnome Shell mit integriertem Zeitgeist

Auf den ersten Blick sieht ein Desktop auf der Basis von Gnome Shell nur geringfügig anders aus. Es gibt ein Panel am oberen Bildschirmrand, das Status-Icons und eine Uhr enthält und Informationen über die Anwendung zeigt, die sich gerade im Vordergrund befindet. Auch findet sich an dieser Stelle die Schaltfläche "Aktivitäten". Dieser Knopf startet einen Übersichtsmodus: Hier wählt man, welche Anwendung man starten möchte, wohin man gehen oder welches Dokument man öffnen möchte – das sind die Aktivitäten.

Mit der Aktivitäten-Übersicht gelangt man also zu einem Ziel: Sie erlauben dem Anwender konkret das zu machen, was er machen will. Die Shell merkt sich ausgeführte Aktionen und macht es dadurch leichter, schon mal gestartete Aktivitäten noch mal aufzurufen. Ein Suchfeld hilft dabei, auch neue Aktivitäten schnell zu erstellen.

Der Übersichtsmodus bietet eine Live-Vorschau auf geöffnete Fenster und virtuelle Arbeitsflächen ("Workspaces"), die sich hier auch verwalten lassen. Anwendungen, aber auch Dokumente lassen sich auf einem bestimmten virtuellen Desktop starten. Workspaces sind praktisch, um Fenster nach Kontext zu gruppieren, aber das Konzept ist nicht für jeden einfach zu verstehen. Vor allem neue User tun sich damit häufig schwer. Wir hoffen, dass dieses Feature einfacher zu entdecken und zu benutzen sein wird, wenn wir das Hinzufügen und Entfernen von Workspaces dynamischer und zugänglicher machen.

Eine andere größere Änderung hat damit zu tun, dass Gnome Shell, im Gegensatz zu den Fenstermanagern, die wir jetzt haben, anwendungsbasiert arbeitet. Vielleicht werden nicht alle Vorzüge davon schon in Gnome 3.0 zu Tage treten, aber die Grundidee ist die, dass die Shell eine Anwendung nicht noch mal startet, wenn der Anwender sie bereits geöffnet hat. Auch präsentiert sie dem Benutzer die Inhalte einer Anwendung, sodass es zum Beispiel einfach ist, zwischen mehreren Dokumenten innerhalb eines Programmes hin und her zu wechseln.

Zu guter Letzt wollen wir Systembenachrichtigungen weniger aufdringlich machen, sodass sie den Anwender nicht zu sehr von seiner aktuellen Aktivität ablenken. Zugleich soll es einfacher werden, auf solche Meldungen zu reagieren. Ein Beispiel hierfür wäre die Möglichkeit, auf eine Chat-Anfrage direkt im Benachrichtungsfenster zu antworten.

Die Motivation hinter dem Zeitgeist-Projekt ist, dass es in der aktuellen Situation zu schwierig ist, bestimmte Dokumente im System zu finden. Wenn das Dokument eine Datei im Dateisystem ist, muss ich mir als Anwender den Pfad merken. Einfacher wäre es, nach bestimmten Tags zu suchen, nach dem Datum, oder es über die Beziehung zu einem anderen Dokument zu finden ("Während ich an dieser Tabelle arbeitete habe ich jenen Podcast gehört").

Zeitgeist ist ein Projekt in Arbeit. Am schwierigsten ist es, einen guten Weg zu finden, die gefundenen Informationen zu präsentieren, aber auch, Dokumente anzufordern. Wir haben einen ordentlich funktionierenden Prototypen, und einige Leute arbeiten auch schon an der Integration von Zeitgeist-Features in die Gnome Shell.

heise open: Gnome wird häufig aufgrund der mangelden Konfigurationsmöglichkeiten kritisiert . Wird es in Zukunft einfacher werden, die Desktop-Konfiguration zu ändern, oder müssen Anwender nach wie vor zu gconftool und gconf-editor greifen?

Vincent Untz: In diesem Zusammenhang möchte ich gerne unsere Philosophie erklären. Es geht nicht darum, dass es uns egal ist, was unsere Anwender wollen oder brauchen, im Gegenteil sogar: Wir wollen, dass Gnome-Anwendungen die bestmögliche Benutzeroberfläche haben. Es hat sich herausgestellt, dass zu viele Optionen den Benutzer eher verwirren und nicht zu diesem Ziel passen.

Das ist der Grund, weshalb wir nicht alle möglichen Einstellungsmöglichkeiten anbieten, zumindest nicht in der Bedienoberfläche. Es stimmt, dass sich einiges – vor allem erweiterte oder wenig genutzte Optionen – nur via gconf ändern lassen.

Gnomes Gconf-Editor

Über den Gconf-Editor lassen sich in Gnome Einstellungen ändern, die die Anwendungsmenüs nicht anbieten.

Unsere Meinung diesbezüglich hat sich nicht geändert. Das heißt aber nicht, dass solche Einstellungen für immer versteckt bleiben müssen. Ich sehe hier auf jeden Fall eine Möglichkeit für ein spezielles Konfigurationstool, das es einfacher macht, genau diese Optionen zu ändern. Es sollte nicht schwierig sein, so etwas zu entwickeln und ich bin mir sicher, dass es auf große Begeisterung stoßen würde.

heise open: Usability und Accessibility wurden bei Gnome immer schon groß geschrieben. Könnte es passieren, dass ein Teil davon den neuen Features von Gnome 3.0 zum Opfer fallen wird? Ich denke hier an KDE 4.0, das im Januar 2008 erschien und zwar toll aussah, aber kaum für den Produktiveinsatz geeignet [6] war.

Vincent Untz: Wir wollen nicht, dass Gnome 3.0 erscheint, wenn es eigentlich noch nicht fertig ist. Alle Releases der Gnome-2-x-Serie liefen beim Erscheinen stabil und darauf sind wir stolz. Diesen guten Ruf wollen wir nicht aufs Spiel setzen.

Wir wollen Gnome 3.0 im März 2010 freigeben, aber wenn das aus den genannten Gründen nicht machbar ist, haben wir kein Problem damit, den Termin auf September 2010 zu verschieben. Diese Entscheidung treffen wir im November. Dann schauen wir auf den Status der Module und sehen, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Und wenn März nicht realistisch erscheint, dann kommt Gnome 3.0 eben im Herbst.

Natürlich wird die Gnome Shell die Benutzeroberfläche ziemlich verändern. Bei großen Änderungen wie dieser gibt es immer Leute, die nicht glücklich sind, weil sie die alte Version besser finden. Aber das liegt nicht daran, dass die neue Fassung weniger gut bedienbar wäre – hier und dort gibt es vielleicht ein paar Kleinigkeiten, die nicht so gut laufen, aber das gibt es immer in der Software-Entwicklung – sondern daran, dass Menschen Gewohnheitstiere sind. Wir sehen es als unsere Herausforderung, Gnome 3.0 so toll zu machen, dass die Leute ihre alten Gewohnheiten ohne Bedenken loslassen und auf das neue System umsteigen. Wir wollen aber das Look & Feel von Gnome 2.x auch in Gnome 3.0 als Option noch eine Weile beibehalten.

In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass der Accessibility-Stack gerade neu geschrieben wird. Das neue System basiert auf D-Bus anstelle von ORBit und wird dadurch auch in anderen Desktop-Umgebungen, vor allem KDE, nutzbar sein. Es geht hier um eine größere Aufgabe, die schon recht weit gediehen ist. Hilfe beim Testen ist aber sehr willkommen!

heise open: Für wen ist Gnome gedacht? Findest Du, dass sich der Desktop gleich gut für Linux-Neulinge und alte Hasen eignet?

Vincent Untz: Ich glaube nicht so wirklich an einen prinzipiellen Unterschied zwischen Anfängern und fortgeschrittenen Anwendern. Leute in beiden Kategorien wollen in erster Linie ihren Computer benutzen, um konkrete Aufgaben zu bewältigen. Sowohl unter den Anfängern als auch unter den Power-Usern gibt es zufriedene Gnome-Nutzer.

Wir machen Gnome für die Mehrheit der Nutzer und wir tun das, indem wir eine intuitiv bedienbare und hübsche Oberfläche entwickeln, mit der man nicht kämpfen muss. Gnome ist flexibel und das erklärt, wieso das System sowohl in den Workflow eines privaten Anwenders als auch in den eines geschäftlichen Nutzers passt. Dass wir eigentlich die große Mehrheit der Linux-Anwender zu unserer Zielgruppe rechnen, erklärt auch, wieso Lokalisierung und Accessibility eine so große Rolle spielen.

Natürlich gibt es Leute, die aus unterschiedlichsten Gründen nicht zufrieden mit Gnome sind. Das ist auch OK: Wir können keine gute Lösung für alle sein, das verstehen wir. Zum Glück gibt es auch noch andere Desktop-Umgebungen, wie XFCE und KDE, mit einem anderem Design und anderer Philosophie. Das sind gute Alternativen für Leute, für die Gnome nicht in Frage kommt.

heise open: Wie gut kommt Gnome mit den kleineren Bildschirmen von Netbooks zurecht? Wird es in Zukunft so etwas wie eine automatische Erkennung kleinerer Bildschirme geben, sodass der Anwender nicht selbst Schriftarten und -Größen anpassen muss?

Vincent Untz: Das ist eines der Design-Ziele von Gnome Shell: Wir wollen, dass die Gnome-Shell-Prinzipien gut auf kleineren Bildschirmflächen funktionieren. Hier sollte man also keine größeren Änderungen vornehmen müssen.

Um aber auf das Beispiel mit den Fonts zurückzukommen: Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob man mit ein bißchen Autoerkennungs-Zauberei die Fonts eventuell automatisch anpassen kann. Außerdem spielen hier einige Faktoren zusammen: Neben der Bildschirmgröße sind das die Auflösung, der Geschmack des Users (nicht jeder findet die gleiche Schriftart gleich schön) und seine Augen. Ein Desktop, wo alles in der Standardeinstellung so klein ist, dass man es kaum lesen kann, macht auch keinen Spaß. Aber auf jeden Fall ist dies ein Thema das man mal näher untersuchen könnte.

Übrigens ist das Gnome-Team schon dabei, einzelne Anwendungen für den Einsatz auf Netbooks anzupassen. So haben zum Beispiel unser Bildbetrachter Eye of Gnome [7] und die Webcam-Applikation Cheese [8] einen Netbook-Modus, der bei Gnome 2.28 Standard sein wird. Auch wenn es hier und dort noch ein paar Sachen gibt, wo es hakt (ich weiß von einem Dialog, der nicht auf einen Netbook-Screen passt, autsch) machen wir hier gute Fortschritte. Gnome funktioniert ziemlich gut auf Netbooks.

heise open: Die umgekehrte Frage: Wie gut nutzt Gnome die Vorteile von größeren Displays?

Vincent Untz: Das klappt bereits ganz gut, glaube ich. Problematisch sind maximierte Fenster, die auf großen Monitoren einfach viel zu groß sind. Versetzte Fenster wären hier die bessere Lösung. Es gibt hierfür auch schon Tools wie WinWrangler [9], die eben solche Aufgaben übernehmen. Für die Gnome Shell haben wir ein solches Feature auch vorgesehen. Implementiert ist es aber noch nicht, soweit ich weiß.

heise open: Wie sieht es bei Gnome Mobile [10] aus? Wie passt dieses Projekt zu Initiativen wie Moblin und Android?

Vincent Untz: Gnome Mobile geht es prima. Gnome als Plattform kommt auf verschiedenen Systemen zum Einsatz. Nicht nur unter Linux-Distributionen für den Desktop, sondern auch unter Maemo und Moblin, auf GPS-Geräten und zum Beispiel im medizinischen Bereich. Gnome Mobile wird schon an vielen Stellen benutzt und das wird in Zukunft noch mehr werden.

Gnome Mobile hat zwei Aspekte:

Während wir keine direkte Beziehung zu Android haben, arbeiten wir recht eng mit Moblin zusammen. Viele Leute aus der Gnome-Community machen bei Moblin mit und die Plattformen haben vieles gemeinsam. Die Shell in Moblin basiert zum Beispiel auf Mutter, genauso wie die Gnome Shell. Ähnlich engen Kontakt haben wir zu den Maemo-Leuten, mit denen wir schon seit Jahren kooperieren.

Selbst finde ich Moblin eine spannende Entwicklung. Das System sieht hübsch aus und lässt Anwender das tun, was sie tun wollen. Das passt also gut zur Gnome-Philosophie.

heise open: Gnome 2.0 erschien 2002. Seitdem wird sich bestimmt eine Menge an inzwischen überflüssigem Programmcode angehäuft haben. Das nächste große Release wäre also eine gute Gelegenheit, veraltete APIs und Bibliotheken aus dem Weg zu räumen. Was sind hier Eure Pläne?

Vincent Untz: Auf jeden Fall ist Gnome 3.0 ein guter Anlass, unsere Plattform zu entschlacken und konsistenter zu machen. Eigentlich haben wir damit auch schon vor geraumer Zeit angefangen: Manche APIs haben wir an die Stelle gerückt, wo sie hingehören (von libgnomeui zu GTK+). Auch haben wir Teile unseres Stacks angepasst. Ein Beispiel dafür ist das Umschreiben von gnome-vfs, das zu der gio-Bibliothek [11] und dem neuen neue virtuellen Dateisystem gvfs [12] führte.

Wir werden die ausgedienten Bibliotheken aus der Gnome-Plattform entfernen. Und wenn Gnome selbst sie nicht mehr benötigt, werden wir sie nicht mehr als Teil des Systems veröffentlichen. Es kann natürlich sein, dass Leute daran weiterarbeiten, die sie weiterhin brauchen. So ist das mit freier Software: Wenn etwas kein Teil mehr von Gnome ist, bedeutet das nicht automatisch das Ende :-)

Was Bibliotheken angeht, die wir behalten wollen: Sofern sie auf veraltete APIs setzen, schmeißen wir die aus Gnome 3.30 heraus, es sei denn, sie werden noch viel eingesetzt.

Um diese Ideen umzusetzen, haben wir den Punkt "Weg mit den Altlasten" in den Release-Plan aufgenommen. Dieser beschreibt Schritt für Schritt, wie wir vorgehen wollen. Gnome 2.28 profitiert bereits von dieser Arbeit. Fast keine Gnome-Komponente setzt mehr auf libgnome, libgnomeui oder gnome-vfs. Wenn man die Panels und Applets entfernt, ist auch bonobo schon fast draußen.

Natürlich gibt es eine Riesenmenge an Gnome-Anwendungen, die nicht offiziell Bestandteil des Desktop sind. Die meisten davon dürften auch weiterhin funktionieren. Die Bibliotheken, die wir aus unserer Plattform entfernt haben, sind nach wie vor verfügbar. Und die Bibliotheken, aus den veraltete APIs entfernt wurden, werden sich parallel zu den früheren Versionen installieren lassen.

Klar ermutigen wir die Entwickler, für ihre Anwendungen nur auf die aktuelle Plattform zu setzen und keine veralteten APIs mehr zu benutzen. Das haben wir in Gnome selbst auch so gemacht und das hat dafür gesorgt, dass wir unsere Programme verbessern konnten. Weniger Quellcode, weniger Bugs, ein einfacheres Hinzufügen von neuen Funktionen sind nur einige der Vorteile dieser Herangehensweise.

heise open: Es gibt aber auch neue APIs und Techniken. Noch weit weg aber schon am Horizont erschienen ist zudem GTK+ 3.0. Wie geht das Gnome-Projekt mit diesen neuen Entwicklungen um?

Vincent Untz: Ein Großteil der Planung für Gnome 3.0 ging um die Frage, wohin wir mit unserer Plattform wollen. Wie gesagt machen wir uns auf, alte APIs zu entfernen, aber auf der anderen Seite sind wir auch dabei, neue Dinge zu implementieren. Dabei denke ich spontan an Clutter [13] und gobject-introspection [14]. All diese Veränderungen sind schon eine Weile in Arbeit und unsere Community hat gut im Blick, welche der neuen Entwicklungen wir integrieren wollen.

Der schwierigste Teil ist es also, Applikationen wegzuportieren von Techniken, die wir nicht in Gnome 3.0 aufnehmen – wir beobachten genau, welche das sind – und die neuen Techniken zu implementieren. Letzeres ist jedoch nicht so schwierig, denn die meisten Leute sind ganz angetan von den neuen Sachen.

heise open: Das Fundament für einiges, das in Gnome 3.0 Einzug halten soll, wird bereits mit Gnome 2.28 gelegt. Zu denken ist hier an das schon erwähnte GUI-Toolkit Clutter, der zusammen mit Metacity die Basis für den neuen Fenstermanager Mutter ist. Mit welchen anderen sichtbaren Vorboten für Gnome 3.0 dürfen wir in der kommenden Version 2.28 rechnen?

Vincent Untz: Gnome 2.28 wird in der Tat häufig als wichtiger Schritt in Richtung 3.0 gesehen. Entwickler, die an Modulen arbeiten, die wir gern in Gnome 3.0 aufnehmen wollen, geben bereits Tarballs frei, sodass man heute schon Dinge ausprobieren kann, die künftig Bestandteil von Gnome sein werden.

Interessant an dem Metacity-Fork Mutter zum Beispiel ist nicht der Window Manager an sich. Spannend ist die Gnome Shell, die auf Mutter aufsetzt und für ein ganz neues Benutzererlebnis sorgen soll. Gnome Shell lässt sich bereits jetzt als Pre-Release, zum Beispiel in Fedora, bestaunen. Das gleiche gilt übrigens für Zeitgeist. Auch Module wie Gnome Games [15] haben einen Sprung vorwärts gemacht. Diverse Spiele sind schon auf Clutter portiert und manche sind jetzt in Javascript geschrieben.

Wir haben auch jetzt in Gnome 2.x schon viel von den Altlasten beseitigt, sodass Module in Gnome 3.0 auf einer sauberen Basis stehen. Auch wenn diese Arbeit nicht unmittelbar sichtbar ist, führt sie zu mehr Konsistenz zwischen den verschiedenen Anwendungen und zu weniger Systembibliotheken. Das macht das neue Gnome auch für Entwickler attraktiver. Es gibt ein lebhaftes Ökosystem von Programmen für Gnome. All diese Verbesserungen kommen auch diesen Anwendungen zugute.

heise open: Eine letzte Frage: Das KDE-Projekt steuert mit Features wie Geolocation einen sogenannten "Social Desktop" an. Erste Schritte in diese Richtung sind zu sehen in KDE 4.3 [16], das Anfang August erschien. Plant Gnome etwas Ähnliches?

Vincent Untz: Wir sprechen im Gnome-Projekt in diesem Zusammenhang zwar nicht von "Social Desktop" (ich nehme an, dass manche Leute den Begriff nicht mögen), aber wir integrieren durchaus ähnliche Funktionen. Geolocation und die Anbindung an bestimmte Web-Dienste sind Beispiele von Techniken, an denen Leute in Gnome arbeiten. So kann der IM-Client Empathy Standorte anzeigen und übermitteln und Gnome kann bereits jetzt mit Geotags in Bildern umgehen. Youtube-Videos lassen schon seit einiger Zeit direkt aus dem Video-Player Totem [17] heraus suchen und abspielen.

Wir haben zudem Leute im Gnome-Team, die sich darüber Gedanken machen, wie wir die üblichen Online-Dienste in die Programme einbinden können, die Gnome-Anwender nutzen. Gnome 2.28 wird in dieser Hinsicht noch mal einen Sprung nach vorne machen. Ich gehe davon aus, dass sich dieser Trend fortsetzen wird. (akl [18])


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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.gnome.org/
[2] http://foundation.gnome.org/
[3] http://foundation.gnome.org/about/
[4] http://live.gnome.org/GnomeShell
[5] http://live.gnome.org/GnomeZeitgeist
[6] https://www.heise.de/meinung/Die-Woche-Freie-Software-zwischen-Anspruch-und-Entwicklung-221446.html
[7] http://projects.gnome.org/eog/
[8] http://projects.gnome.org/cheese/
[9] https://launchpad.net/winwrangler
[10] http://www.gnome.org/mobile/
[11] http://library.gnome.org/devel/gio/unstable/
[12] http://en.wikipedia.org/wiki/GVFS
[13] http://clutter-project.org/
[14] http://live.gnome.org/GObjectIntrospection/
[15] http://live.gnome.org/GnomeGames/
[16] https://www.heise.de/news/Linux-Desktop-KDE-4-3-erschienen-749785.html
[17] http://projects.gnome.org/totem/
[18] mailto:akl@ix.de