BeReal: Die App für mehr Authentizität – wir haben sie ausprobiert

Die App BeReal ist Alltag pur und wer manipuliert, wird entlarvt. TR-Social-Media-Redakteurin Aylin zur Borg hat sie getestet.

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Was macht die Social-Media-Managerin Aylin zur Borg gerade? Mit der App BeReal verrät sie es per Bild mit Front- und Back-Kamera.

Lesezeit: 4 Min.

Laut macht sich mein Handy bemerkbar. "Time to BeReal" steht auf meinem Display, umrahmt von zwei Achtung-Emojis. Ich habe zwei Minuten Zeit, um ein Foto in der App zu posten. Ich richte die Handykamera auf das, was in diesem Moment vor mir ist. Dann sagt BeReal: "Bitte lächeln" – und nimmt gleichzeitig mein Selfie auf. Das kombinierte Bild wird hochgeladen, und ich warte noch kurz, ob einige meiner Freunde vielleicht genauso pünktlich "real" sind wie ich.

Ungefiltert und ohne Algorithmen bekomme ich dann zu sehen, was meine Freunde gerade machen – und das immer wieder zu einem anderen, zufällig von der App ausgewählten Zeitpunkt am Tag.

Es ist wie ein Schlüsselloch, durch das ich in das Leben der anderen schaue. Ich sehe meine Freunde beim Kochen, beim Fernsehen, bei der Arbeit oder im Urlaub. Das tägliche Foto soll nur in den zwei Minuten und kann nur in der App aufgenommen werden. Statt schöner Strandszenerie sieht man dann schon mal das ungemachte Hotelbett, wenn die Benachrichtigung um neun Uhr morgens kommt.

Ein bisschen Mogeln geht dennoch: Nichts hindert mich daran, für mein BeReal auf den "perfekten" Moment zu warten. Öffne ich die App fünf Stunden nach dem Alarm, kann ich zunächst keine Fotos meiner Freunde sehen. Das geht nur, wenn ich selbst BeReal poste. Mache ich das, zeigt die App meine Verspätung allerdings auch an – ebenso wie die Anzahl der Bildversuche. Denn die App zeigt das geschossene Foto an, bevor man auf Hochladen tippt. Gerät es dann doch mal zu real für meinen Geschmack, kann ich es neu aufnehmen und den Standort mitteilen.

Genau das macht BeReal so transparent: Trotz der Grundidee, bei Aufforderung sofort und innerhalb von zwei Minuten ein Bild zu machen und hochzuladen, lässt die App mir genug Freiraum, sie dann zu nutzen, wenn ich gerade kann. Dass ich eine andere Situation fotografiert habe als die zum Zeitpunkt X, teilt sie meinen Freunden dann aber auch mit, sodass ich gar nicht die Chance habe, meinen Alltag künstlich zu schönen.

Dieser Text stammt aus: MIT Technology Review 1/2023

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Reicht mir der Austausch mit meinen Freunden nicht, kann ich meine Bilder auch in BeReal global posten. Dann landet das Bild in einem Explore-Feed, der einen kleinen Einblick in die Realität von Menschen auf der ganzen Welt gibt. Es fühlt sich allerdings ein wenig seltsam an, die Wohnzimmer und Arbeitsplätze Fremder zu sehen.

Aylin zur Borg, TR-Social-Media-Redakteurin, lebt in den virtuellen Welten. BeReal ist ihr täglicher Draht zu ihren Freunden auf der ganzen Welt.

BeReal kam bereits 2019 in die App Stores. 2021 gab es gerade mal 700.000 täglich aktive Nutzer, im Oktober 2022 waren es plötzlich über 20 Millionen. Eine gute Steigerung, die sicherlich auch mit den anderen sozialen Netzwerken zu tun hat, auf denen die Nutzerinnen und Nutzer mit ihren Erfahrungen mit BeReal viral gegangen sind.

Trotz gelegentlicher Benachrichtigungen über neue Posts hält mich BeReal nicht lange in der App, im Schnitt nur zwei Minuten am Tag. Allein auf Instagram verbringe ich etwa 40 Minuten. Da stellt sich die Frage: Wie soll ein soziales Netzwerk überleben, dessen Identität darauf aufbaut, nur einmal täglich seinen Alltag zu posten? Wer die sozialen Netzwerke der letzten Jahre beobachtet hat, weiß: Zuerst kommt die Nutzerfreundlichkeit zum Aufbauen der Nutzerschaft. Erst später, wenn die App für ihre Nutzer unerlässlich ist, kann ihnen Werbung zugemutet werden. Ich bin gespannt, ob und wie sich BeReal weiterentwickelt – oder ob ich es doch zu langweilig finde und in ein paar Monaten schon wieder deinstalliert haben werde.

(jle)