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VWs Mildhybrid Golf 1.0 eTSI im Test: guter Antrieb, schlechte Software

Clemens Gleich
VW Golf

(Bild: Clemens Gleich)

Volkswagen pimpt den Basis-Dreizylinder des Golf als Mildhybrid. Was langweilig klingt, ist einer der besten Antriebe des Jahres. Leider: Volkswagen-Software!

Der VW ID.3 bestimmt als Pionier der neuen Volkswagen-Plattform die Schlagzeilen. Doch höhere Einkünfte generiert immer noch der VW Golf. Im Golf 1.0 eTSI stellen wir wie im ID.3 erhebliche Probleme mit der Zuverlässigkeit der Software fest. Wir stellen jedoch auch fest, dass dieser von einem kleinen E-Motor unterstützte Dreizylinder trotz seiner überschaubaren Nennleistung der alles in allem wahrscheinlich beste Antrieb für den Golf ist. Doch zuerst müssen wir dahin, wo es wehtut: zu Volkswagens Software.

Ich habe lange, wütende Rants darüber gelesen, wie doof das neue User-Interface des Innenraums sei. Dazu will ich nur wenig sagen, denn "wo geht jetzt dieses Mal die verdammte Heckscheibenheizung an?!" ist ein Problem des Vielfahrzeugtesters. Der normale Kunde weiß es irgendwann, fertig. Dann bleiben nur die Dinge, die wirklich unabstellbar nerven, und hier ist die Nutzerschnittstelle im Golf ganz okay.

Sie ist weder das, was Volkswagen sagt ("intuitiver Game-Changer") noch das, was Kritiker sagen ("geht gar ned"). Sie liegt irgendwo im oberen Mittelfeld, weit entfernt von dem, was Mercedes in der A-Klasse anbietet, aber auch mit einigem Abstand zu dem, was am unteren Ende der UX-Lösungen so herumkrebst. Nein, meine Kritik lautet: Das Zeug funktioniert schlicht nicht ohne ständige Fehler und enthält zudem einige mehr als fragwürdige Interface-Entscheidungen.

Das Autohold ist klebrig und zäh: sofort abgeschaltet, nicht wieder aktiviert. Die Sitz-Memory-Funktion fährt den Sitz zum Einsteigen zurück, vergisst aber manchmal, ihn wieder nach vorne zu fahren. Dann muss man den Sitz neu einstellen. Die Rückfahrkamera liefert ein tolles Bild, ruckelt aber, schlimmer jedoch: Manchmal flackerte sie wild schwarz. Beim Beifahrer aussteigen lassen zog der Golf automatisch die Parkbremse an, nur um beim Losfahren über diesen selbstverschuldeten Umstand zu meckern. Der Wagen war zur Zeitumstellung hier, die natürlich auch nicht geklappt hat: Am Morgen stand eine elf Stunden falsche Zeit dort. Was ist das? Eher Kiribati als Wolfsburg, würde ich sagen.

VW Golf 1.0 eTSI außen (0 Bilder) [1]

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Beim Druck auf die Sprachbedienung kommt die Meldung "Sprachbedienung wird geladen", aber es passiert: nüscht. Fail silently, große Golf-Unart. Die Fahrspurerkennung ist "mau" steht in meinen Notizen. Das ist ein Pressewort für "schlecht". Der Golf bremst für Fahrzeuge auf anderen Autobahnspuren, als sei es 1999. Manchmal verlangt er, man solle in der Mitte der Fahrspur fahren, obwohl man das bereits tut. Welche Fahrspur er sieht, weiß nur Volkswagen, nicht aber der Fahrer. Dem bleibt nur, wild hin und her zu lenken. Ich fühle mich gleich viel sicherer. Und dann piept ständig eine laute Fehlermeldung namens "Gefahrenwarnungen nicht verfügbar", wenn er offline geht (hier in #Neuland also ständig). Gut, das ist (wie die Fahrspurerkennung auch) kein Bug, sondern wohl Absicht, doch was für ein UX-Fail!

Das sind alles Dinge, die mir in geringer Fahrzeit nebenher auffielen. Wie es den zahlenden Kunden im dauernden Alltagsbetrieb geht, weiß nur Gott und Volkswagen, aber Volkswagen ist das egal genug, dass sie es ausliefern. Jedes Mal, wenn ich Volkswagen-Software sehe, muss ich daran denken, dass sie das anderen Herstellern verkaufen wollen. Bitte verkauft doch erst einmal euren eigenen Kunden etwas, das auf branchenüblicher Zuverlässigkeit funktioniert. PSA schreibt derzeit zuverlässigere Software als Volkswagen, und ich hätte nie erwartet, dass jemals jemand ernsthaft so einen Satz schreiben würde.

Ich habe mit Volkswagen gesprochen, wo man diese Probleme natürlich kennt (lassen Sie sich vom Händler nichts Gegenteiliges erzählen). Silberstreif am Horizont: Ungefähr zum Jahreswechsel soll es ein weiteres Software-Update geben. Besitzer müssen das in der Werkstatt flashen lassen, weil es viele Steuergeräte betrifft, Nochnichtbesitzer sollten diese kurze Zeit besser abwarten.

Wenn man sich auf einige Umbelegungen im Vergleich zur Vorgeneration (die Heckscheibenheizung ist z. B. aufs Scheinwerfer-Panel gewandert) eingeschossen hat, bedient sich das System ganz okay. Die Hardware-Leistung entspricht noch der alten Schule (tm) der Autoindustrie, ist also 12 Parsec von Mercedes' MBUX entfernt. Das scheint immer mal wieder durch, wird Volkswagen-Stammkunden jedoch nicht weiter überraschen. Das für diese Klasse große HUD gefiel mir gut: hell, ausreichend aufgelöst und mit feinfühliger Font-Wahl die Auflösung gekonnt ausgenutzt – sehr schön. Genauso gefiel mir die Idee, bei der Kabinenheizung außer den üblichen Gebläseeinstellungen auch Situationen einstellen zu können ("warme Füße").

Wenn die Sprachbedienung geht, dann versteht sie einen auch einigermaßen. Offline funktionierte sie bei mir gar nicht. Die Kollegen in Hannover konnten sie offline testen. Die Resultate seien so unfreiwillig komisch gewesen, dass sich die Tester halb totlachten. Fehlende Hardwareleistung eben. Wer wie ich drauß' am Walde ohne mobiles Netz wohnt und gern eine gute Sprachbedienung möchte, sollte lieber in den sauren Finanzierungsapfel beißen und beim Mercedes-Freundlichen für eine A-Klasse vorsprechen.

Der TFT-Tacho hinter dem Lenkrad des Golfs sieht auf den ersten Blick wie beim Vorgänger leicht überladen aus, doch mit der Zeit lernt man die umfangreiche Berichterstattung dort schätzen. Insgesamt würde ich sagen: Das Infotainment ist in etwa das, was VW-Kunden erwarten. Es funktioniert nach der Eingewöhnungszeit gut – wenn es funktioniert. Es fehlt immer irgendwo ein Komma, es gibt keine fehlerfreien Autos, aber so etwas wie im Golf habe ich noch nicht erlebt. Im ID.3 übrigens dasselbe Drama.

Martin hat sich schon zur Anfassqualität bei Volkswagen geäußert. Dieser Text lässt das Thema bewusst außen vor, weil sich Kunden entweder Martins Text holen oder selber anschauen können, ob es ihnen etwas ausmacht, dass zum Beispiel das Plastik der Kofferraumverkleidung direkt auf den Lack scheppert. Bei Bewertungen zu "wie premium ist dieses Plastik?" halte ich mich seit jeher zurück, weil sich meine Ansichten dazu nur geringfügig mit jenen der Hauptkundschaft decken.

Kommen wir nach diesen unangenehmen Nachrichten zu etwas Angenehmerem: Der Hybrid-Dreizylinder ist toll. Der kleine 48-V-Elektromotor bremst situativ mit und packt die im 250-Wh-Akku unter dem Beifahrersitz gespeicherte Energie bei der nächsten Beschleunigung drauf. Bis zu 9 kW Antriebsleistung und bis zu 12 kW Bremsleistung sind drin, ebenso wie bis zu 180 Nm Drehmoment. Das ändert GAR NICHTS an den Nennwerten des aus dem TSI bekannten Motors, es ändert aber ALLES im Fahrgefühl.

VW Golf 1.0 eTSI innen (23 Bilder) [3]

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Die Sitze sind bequem, sehen allerdings weniger gut verarbeitet aus als früher. Ob sie kürzer halten, müssen wir abwarten.
(Bild: Clemens Gleich)

Wie der 1.5 eTSI fühlt sich auch der Einliter-Motor deutlich stärker an, als seine Nennleistung (81 kW / 110 PS) vermuten ließe. Der Antritt aus dem Stand ist fast schon zu dolle im Winter: Der Golf scharrt an Einfahrten oder Ampeln seine Vorderhufe im Winter schon bei eher geringen Pedalbewegungen. Toller Antritt, tolles Konzept! Ich lehne mich nur ein kleines, konservatives Stück aus dem Fenster, wenn ich behaupte: Dieser Motor ist der beste für den Golf. Er kann einfach alles gut genug. "Rightsizing", sagt der Brite.

Denn das KBA hat dieses Modell mit 202 km/h Topspeed zugelassen, die es mit etwas Anlauf erreicht. Der Etsi fährt folglich alle üblichen Autobahntempi problemlos mit, und brummt selbst bei Höchstgeschwindigkeit nur leise aus dem Motorraum. Bei Bleifuß und Verkehr verbrauchte er 8,6 Liter Benzin auf 100 km, bei freier Bahn 12,1 Liter, doch viel interessanter der Benchmark: Bei der deutschen Autobahn-Richtgeschwindigkeit von 130 km/h maximal verbrannte er bei einstelligen Plusgraden nur 5,4 Liter Benzin auf 100 km, wobei die interne Anzeige tief stapelte mit der Behauptung "6,0 Liter". Vielleicht sollte man mehr effiziente Dreizylinder mit per Riemen angehängten Gabelstaplermotoren steuerlich begünstigen statt wie jetzt ineffiziente Plug-in-Hybride [5].

Selbst VW-Hasser, ja: allgemeine Neuwagenhasser sagten meist: "... der Motor ist gut", weil es eben stimmt. Mein persönlicher Motor des Jahres, ungelogen, und das Jahr enthielt immerhin Porsches 718 Spyder und den Taycan. Das größte Glück der größten Zahl liegt jedoch eindeutig in diesem Mildhybrid. Die Frage ist höchstens, ob das subjektiv stärkere Fahrgefühl den Aufpreis gegenüber dem 110-PS-Dreizylinder ohne e-Unterstützung wert ist.

Über das Front-Design sollen sich die Leute wieder ohne mich streiten. Ich vertraue darauf, dass Sie selber wissen, was Ihnen gefällt. Konzentrieren wir uns auf die Technik: Fahrwerk konservativ-sicher, aber nicht vollkommen freudlos. Aerodynamik besser als viele Elektroautos. Dieser Golf fährt schon auf der Landstraße leiser als ein Tesla Model 3 [6], bei 130 sowieso, und über 200 müssen wir nicht sprechen, denn das interessiert den Tesla-Fahrer aufgrund der Kürze dieses Erlebnisses wohl nicht weiter.

Nun ist das Model 3 natürlich besonders laut, aber es gibt insgesamt wenige Autos mit leiserer Kabine als dieser Golf – Antrieb egal, Klasse egal. Wer einen Kompaktwagen sucht, der wirklich alles kann von "ums Eck Brötchen holen" bis "durchblockern nach Rimini", ist beim Golf 1.0 eTSI sehr gut aufgehoben. Mein Rat wäre nur: Warten Sie ab, bis Wolfsburg einen weiteren Berg von Bugs behebt, bevor Sie kaufen.

Hersteller VW
Modell Golf 1.0 eTSI
Motor und Antrieb
Motorart Ottomotor
Zylinder 3
Hubraum in ccm 999
Leistung in kW (PS) 81 (110)
bei U/min 5000
Drehmoment in Nm 200
bei U/min 2000 bis 3000
Antrieb Frontantrieb
Getriebe Doppelkupplungsgetriebe
Gänge 7
Fahrwerk
Radaufhängung vorn MacPherson
Radaufhängung hinten Verbundlenkerachse
Reifengröße vorn 225/40R18
Reifengröße hinten 225/40R18
Maße und Gewichte
Länge in mm 4284
Breite in mm 1789 ohne Spiegel, 2080 mit
Höhe in mm 1491
Radstand in mm 2619
Leergewicht in kg nach EU inklusive 68 kg Fahrer und 7 kg Gepäck 1302
Zuladung in kg 508
Dachlast in kg 75
Anhängelast in kg (gebremst) 1500
Tankinhalt in Litern 50
Verbrauch
Verbrauch WLTP kombiniert in Litern/100 km 4,5
CO2-Emission WLTP in g/km 102
Testverbrauch Langstrecke 130 km/h Vmax 5,4
Testverbrauch Kurzstrecke überland 6,4
Abgasnorm Euro 6d-ISC-FCM
Fahrleistungen
Beschleunigung 0 auf 100 km/h in s 10,2
Höchstgeschwindigkeit in km/h 202
Daten Stand  Dezember 2020
Modell VW Golf 1.0 eTSI
Grundpreis 26.972,44 €
Interessante Extras
Lack Limonengelb metallic 740,85 €
Ergo-Sitze mit Memory-Funktion 896,81 €
18-Zoll-Felgen 1.223,36 €
Head-up-Display 682,36 €
Rückfahrkamera 316,81 €
Motorschutz inkl. Steinschlagschutz 263,19 €
Feuerlöscher   58,49 €
Klimaanlage mit "Air Care" (s. Bilderstrecke "innen") 458,15 €
Infotainmentsystem Discover Pro 1.861,85 €
Reserverad 102,36 €
Hintere Scheiben dunkel 263,19 €
IQ Light (Matrix-LED-Licht) 2.056,81 €
Preisliste Stand Dezember 2020

(cgl [7])


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[5] https://www.heise.de/hintergrund/CO2-Vergleich-Sind-Plug-in-Hybride-eine-Mogelpackung-4771976.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Klartext-Tesla-schoener-Goetterfunken-4606115.html
[7] mailto:cgl@ct.de