VWs Mildhybrid Golf 1.0 eTSI im Test: guter Antrieb, schlechte Software

Volkswagen pimpt den Basis-Dreizylinder des Golf als Mildhybrid. Was langweilig klingt, ist einer der besten Antriebe des Jahres. Leider: Volkswagen-Software!

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VW Golf

(Bild: Clemens Gleich)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Der VW ID.3 bestimmt als Pionier der neuen Volkswagen-Plattform die Schlagzeilen. Doch höhere Einkünfte generiert immer noch der VW Golf. Im Golf 1.0 eTSI stellen wir wie im ID.3 erhebliche Probleme mit der Zuverlässigkeit der Software fest. Wir stellen jedoch auch fest, dass dieser von einem kleinen E-Motor unterstützte Dreizylinder trotz seiner überschaubaren Nennleistung der alles in allem wahrscheinlich beste Antrieb für den Golf ist. Doch zuerst müssen wir dahin, wo es wehtut: zu Volkswagens Software.

Ich habe lange, wütende Rants darüber gelesen, wie doof das neue User-Interface des Innenraums sei. Dazu will ich nur wenig sagen, denn "wo geht jetzt dieses Mal die verdammte Heckscheibenheizung an?!" ist ein Problem des Vielfahrzeugtesters. Der normale Kunde weiß es irgendwann, fertig. Dann bleiben nur die Dinge, die wirklich unabstellbar nerven, und hier ist die Nutzerschnittstelle im Golf ganz okay.

Sie ist weder das, was Volkswagen sagt ("intuitiver Game-Changer") noch das, was Kritiker sagen ("geht gar ned"). Sie liegt irgendwo im oberen Mittelfeld, weit entfernt von dem, was Mercedes in der A-Klasse anbietet, aber auch mit einigem Abstand zu dem, was am unteren Ende der UX-Lösungen so herumkrebst. Nein, meine Kritik lautet: Das Zeug funktioniert schlicht nicht ohne ständige Fehler und enthält zudem einige mehr als fragwürdige Interface-Entscheidungen.

Das Autohold ist klebrig und zäh: sofort abgeschaltet, nicht wieder aktiviert. Die Sitz-Memory-Funktion fährt den Sitz zum Einsteigen zurück, vergisst aber manchmal, ihn wieder nach vorne zu fahren. Dann muss man den Sitz neu einstellen. Die Rückfahrkamera liefert ein tolles Bild, ruckelt aber, schlimmer jedoch: Manchmal flackerte sie wild schwarz. Beim Beifahrer aussteigen lassen zog der Golf automatisch die Parkbremse an, nur um beim Losfahren über diesen selbstverschuldeten Umstand zu meckern. Der Wagen war zur Zeitumstellung hier, die natürlich auch nicht geklappt hat: Am Morgen stand eine elf Stunden falsche Zeit dort. Was ist das? Eher Kiribati als Wolfsburg, würde ich sagen.

VW Golf 1.0 eTSI außen (15 Bilder)

Diese Frisur erkennt der Deutsche von der Seite sofort. Es muss ein Golf sein.
(Bild: Clemens Gleich)

Beim Druck auf die Sprachbedienung kommt die Meldung "Sprachbedienung wird geladen", aber es passiert: nüscht. Fail silently, große Golf-Unart. Die Fahrspurerkennung ist "mau" steht in meinen Notizen. Das ist ein Pressewort für "schlecht". Der Golf bremst für Fahrzeuge auf anderen Autobahnspuren, als sei es 1999. Manchmal verlangt er, man solle in der Mitte der Fahrspur fahren, obwohl man das bereits tut. Welche Fahrspur er sieht, weiß nur Volkswagen, nicht aber der Fahrer. Dem bleibt nur, wild hin und her zu lenken. Ich fühle mich gleich viel sicherer. Und dann piept ständig eine laute Fehlermeldung namens "Gefahrenwarnungen nicht verfügbar", wenn er offline geht (hier in #Neuland also ständig). Gut, das ist (wie die Fahrspurerkennung auch) kein Bug, sondern wohl Absicht, doch was für ein UX-Fail!

Das sind alles Dinge, die mir in geringer Fahrzeit nebenher auffielen. Wie es den zahlenden Kunden im dauernden Alltagsbetrieb geht, weiß nur Gott und Volkswagen, aber Volkswagen ist das egal genug, dass sie es ausliefern. Jedes Mal, wenn ich Volkswagen-Software sehe, muss ich daran denken, dass sie das anderen Herstellern verkaufen wollen. Bitte verkauft doch erst einmal euren eigenen Kunden etwas, das auf branchenüblicher Zuverlässigkeit funktioniert. PSA schreibt derzeit zuverlässigere Software als Volkswagen, und ich hätte nie erwartet, dass jemals jemand ernsthaft so einen Satz schreiben würde.

Ich habe mit Volkswagen gesprochen, wo man diese Probleme natürlich kennt (lassen Sie sich vom Händler nichts Gegenteiliges erzählen). Silberstreif am Horizont: Ungefähr zum Jahreswechsel soll es ein weiteres Software-Update geben. Besitzer müssen das in der Werkstatt flashen lassen, weil es viele Steuergeräte betrifft, Nochnichtbesitzer sollten diese kurze Zeit besser abwarten.

Wenn man sich auf einige Umbelegungen im Vergleich zur Vorgeneration (die Heckscheibenheizung ist z. B. aufs Scheinwerfer-Panel gewandert) eingeschossen hat, bedient sich das System ganz okay. Die Hardware-Leistung entspricht noch der alten Schule (tm) der Autoindustrie, ist also 12 Parsec von Mercedes' MBUX entfernt. Das scheint immer mal wieder durch, wird Volkswagen-Stammkunden jedoch nicht weiter überraschen. Das für diese Klasse große HUD gefiel mir gut: hell, ausreichend aufgelöst und mit feinfühliger Font-Wahl die Auflösung gekonnt ausgenutzt – sehr schön. Genauso gefiel mir die Idee, bei der Kabinenheizung außer den üblichen Gebläseeinstellungen auch Situationen einstellen zu können ("warme Füße").

Wenn die Sprachbedienung geht, dann versteht sie einen auch einigermaßen. Offline funktionierte sie bei mir gar nicht. Die Kollegen in Hannover konnten sie offline testen. Die Resultate seien so unfreiwillig komisch gewesen, dass sich die Tester halb totlachten. Fehlende Hardwareleistung eben. Wer wie ich drauß' am Walde ohne mobiles Netz wohnt und gern eine gute Sprachbedienung möchte, sollte lieber in den sauren Finanzierungsapfel beißen und beim Mercedes-Freundlichen für eine A-Klasse vorsprechen.