Greenwashing: Konsumententäuschung durch Werbelügen und Mogelpackungen

Die wenigsten Kunden recherchieren neben einem Vollzeitjob oder der Familienarbeit, was im Supermarkt wirklich klimaneutral ist. Das wird ausgenutzt. Foto: Marcela / CC0 1.0

Konzerne und Discounter bewerben immer mehr Produkte als "klimaneutral". Angebliche Kompensationsprojekte für entstandene Emissionen erweisen sich aber oft als Luftnummer

Den "Goldenen Windbeutel" verleiht Foodwatch jedes Jahr als Negativpreis für das Produkt mit der dreistesten Werbelüge. Zu diesem Zweck lässt die Verbraucherorganisation online über mögliche "Kandidaten" abstimmen. So entschieden sich im Dezember 28 Prozent der mehr als 63.000 Teilnehmer für das Wilhelm-Brandenburg-Hähnchenbrustfilet von Rewe.

Die Werbung soll den Eindruck erwecken, dass sich die Produktion des Hähnchens nicht schädlich auf das Klima auswirkt, hieß es in der Begründung. Für die vermeintliche Klimaneutralität der in Bayern verkauften Wilhelm-Geflügelprodukte kompensiert Rewe nach eigenen Angaben Treibhausgas-Emissionen über den Anbieter Climate Partner. Dafür werden ausschließlich Zertifikate eines Projekts zum Waldschutz in Tambopata/Peru gekauft.

Recherchen von Foodwatch zufolge wird das Hähnchenbrustfilet allerdings weder emissionsfrei hergestellt, noch gibt es einen Ausgleich für den bei der Produktion anfallenden Kohlendioxid-Ausstoß. Das angeblich dem Waldschutz dienende Projekt schaffe keinen zusätzlichen Nutzen für das Klima. Im Gegenteil: Nach Projektbeginn habe die Entwaldung sogar zugenommen.

Daraufhin hat Foodwatch Rewe sowie den Geflügelzüchter Lohmann & Co. AG, der das Produkt im Auftrag von Rewe herstellt, abgemahnt. Beide verweigerten die Unterzeichnung einer Unterlassungserklärung. Rewe verkauft also Fleisch mit falschen CO2-Zertifikaten also klimafreundlich und täuscht damit umweltbewusste Konsumenten, kritisiert Manuel Wieman, Campaigner bei Foodwatch.

Es sei grundsätzlich irreführend, Fleisch als "klimaneutral" zu bewerben, kritisiert Foodwatch. Schließlich entfallen drei Viertel aller Treibhausgas-Emissionen der Landwirtschaft auf die Tierhaltung. Diese trägt mit mehr als 15 Prozent zu den vom Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen bei. Während ClimatePartner der Organisation methodische Fehler vorwarf, bestätigte ein wissenschaftliches Gutachten des unabhängigen Öko-Instituts die Stichhaltigkeit wesentlicher Kritikpunkte am Tambopata-Projekt.

Den zweiten Platz bei der Verleihung des "Goldenen Windbeutels" errang das Volvic-Mineralwasser, auf dessen Etikett das Label "Klimaneutral zertifiziert" prangt. Auch dies ist eine Falschaussage, denn die Einweg-Plastik-Flaschen, in denen das Wasser abgefüllt wird, enden als Plastikmüll und schaden der Umwelt. Zudem transportiert Danone sein Wasser über hunderte Kilometer größtenteils per Lkw aus dem Werk in Volvic in der französischen Auvergne nach Deutschland.

Alternativ zu Volvic-Wasser bieten zahlreiche Unternehmen ihr Mineralwasser in Mehrwegflaschen an und transportieren diese über kürzere Wege. Klimafreundlicher ist das Trinken von qualitativ gutem Leitungswasser, das in Deutschland vielerorts verfügbar ist.

Klimafreundliche Milch von Aldi?

Neuerdings bewirbt Aldi eine Milch seiner Eigenmarke als "klimaneutral", obwohl bei der Herstellung und dem Transport von Milch von der Kuh bis ins Verkaufsregal tausende Tonnen Kohlendioxid emittiert werden. Nicht schlimm, sagt Aldi, denn an anderer Stelle würden die Treibhausgas-Emissionen wieder eingespart.

Zu diesem Zweck unterstützt der Discounter drei Klimaschutzprojekte, zwei davon in Deutschland - wie zum Beispiel ein Aufforstungsprojekt in Bayern: Wo abgestorbene Fichten standen, werden junge Tannen und Buchen gepflanzt. Der Haken an der Sache: Bis die Jungpflanzen so groß sind, um wirksam das Klima zu schützen, können zwanzig Jahre ins Land gehen, erklärt Simon Tangerding, Geschäftsführer der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald LV Bayern e.V. im Interview mit dem ZDF.

Eine Urkunde für ein klimaneutrales Projekt bekommt Aldi schon jetzt. Die Finanzierung von Wiederaufforstungsprojekten in Bayern sei gut gemeint. Doch Aldi-Produkte als klimaneutral auszuzeichnen, gehe gar nicht, kritisiert der Förster. So sei es innerhalb von Europa gar nicht gestattet, das klimaschädliche Produktion kompensiert werde. Es handle sich um ein Missverständnis, behauptet der Discounter und änderte auf der Website den Wortlaut. Nun heißt es: "Um die Emissionen (durch Produktion, Transport und Vertrieb) auszugleichen, unterstützen wir international, zertifizierte Klimaschutzprojekte."

Eukalyptusplantagen wirken wie Brandbeschleuniger

Darüber hinaus finanziert Aldi in den Wäldern Uruguays ein Aufforstungsprojekt mit australischem Eukalyptus. Wo einst riesige Rinderherden weideten, sollen natürliche Wälder entstehen und Tieren und Pflanzen Lebensraum geben. Die Realität sieht anders aus: Über Kilometer hinweg reihen sich Eukalyptusbäume aneinander. In den Plantagen werden Pestizide gespritzt. Ein südamerikanischer Holzkonzern fällt die Bäume und verschifft sie nach Indien und China.

Dort werden sie als Bauholz genutzt bzw. in der Zellstoffindustrie verwertet. In den Möbeln, die aus dem Holz gebaut werden, wird Kohlendioxid zwar gebunden. Die Zellulose wird verbrannt oder landet auf der Mülldeponie. Dort wird Methan freigesetzt, welches kurzfristig noch klimaschädlicher ist als Kohlendioxid.

Ziel des Aufforstungsprojektes in Uruguay sei eine nachhaltige Holzproduktion, bei der ausschließlich qualitativ hochwertige Holzstämme produziert werden und kein Zellstoff, betont Aldi-Süd in einer Stellungnahme gegenüber dem ZDF-Magazin Frontal 21. Diese Behauptung wird von Mitarbeitern vor Ort dementiert. Während ein Teil der Bäume zu Zellulose verarbeitet wird, werde ein anderer zur Produktion von Biomasse für erneuerbare Energien verwendet.

Der Discounter setzt auf Eukalyptus-Monokulturen, in denen mit dem Ackergift Glyphosat Artenvielfalt zerstört wird, kritisiert Manuel Wieman von Foodwatch. Statt den Treibhausgasausstoß vor Ort auf dem Bauernhof zu reduzieren, betreibe Aldi billigen Ablasshandel.

Hinzu kommt, dass das Eukalyptus-Öl leichter entflammt als Diesel. Fallen die öligen Blätter zu Boden, verrotten sie nicht, denn das Öl ist giftig und wirkt gegen Bakterien und Pilze. Zudem verliert der Eukalyptus-Baum regelmäßig Äste und große Rindenstücke, die sich am Waldboden anhäufen. Ein Funke genügt, und der ganze Wald steht in Flammen. Bei starkem Wind können die brennenden Rindenstücke kilometerweit fliegen.

Aldi-Klimaprojekte: Kriterium der Zusätzlichkeit nicht erfüllt

Laut internationalen Standards ist das wichtigste Kriterium für ein Kompensationsprojekt die Zusätzlichkeit. Demnach dürfte es die Holzplantage in Uruguay nur geben, weil Aldi dafür bezahlt hat.

Die geforderte Zusätzlichkeit sei in dem betreffenden Aufforstungsprojekt vollumfänglich und nachweislich gegeben, erklärt das Unternehmen ClimatePartner, das mit Aldi, Lidl, Rewe und Edeka als Kunden Millionen-Umsätze erwirtschaftet.

Im Gegenteil, erklärt Simon Counsell: Die Holzproduktion im fraglichen Projekt ist hoch profitabel. Es sei sehr wahrscheinlich, dass das Geld in dem Projekt nicht benötigt werde. Die Zertifikate mögen zusätzliche Einnahmen bringen, sie erfüllen jedoch nicht das Kriterium der Zusätzlichkeit, sagt der Experte für Klimakompensation.

Die Zertifikate seien für die Investoren ein Zusatzgeschäft und eine zusätzliche Motivation, in die Plantagen zu investieren, bekräftigt ein Mitarbeiter des Aldi-Projektes in Uruguay. Zusätzlich - das ist in diesem Fall also nicht die Klimarettung, sondern der Profit.

Ein weiteres "Klimakompensationsprojekt" betreibt Aldi in Kumasi/Ghana. Hier wird gewöhnlich mit Holz aus dem Regenwald über einer offenen Feuerstelle gegart. An diesem klimaschädlichen Verfahren setzen Aldi und ClimatePartner an. Handwerklich hergestellte Blechöfen sollen die offenen, ineffizienten Feuerstellen erschwinglich und effizient ersetzen. Die neuen Öfen verbrauchen angeblich nur halb so viel Holzkohle wie traditionelle Feuerstellen. Jeder der Öfen soll 1,5 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr sparen, rechnet ein Mitarbeiter vor. Auf diese Weise sollen bereits Millionen Tonnen Kohlendioxid gespart worden sein.

Recherchen des Frontal-Teams vor Ort ergaben, dass in etlichen Haushalten moderne, klimafreundliche Gasherde stehen, die bei der Verbrennung eine deutlich höhere Energieeffizienz aufweisen. Wegen der gestiegenen Gaspreise werden sie allerdings kaum genutzt. Stattdessen verbrennen die Menschen in den Aldi-Öfen die billigere Holzkohle.

Gasöfen sind aus guten Gründen nicht Teil des Projektdesigns, heißt es dazu in einem kürzlich veröffentlichten Faktencheck von ClimatePartner. Gas ist für die einkommensschwachen Haushalte zu teuer und in den ländlichen Regionen Ghanas kaum verbreitet. Der Vergleich und die Effizienzermittlung zwischen zwei unterschiedlichen Kochherden werde daher ausdrücklich nicht angestrebt.

Wenn aber Kohle Gas ersetzen soll, geht die Rechnung mit den klimafreundlichen Holzkohle-Öfen nicht auf. Die Herstellung von Solarkochern hätte das Klima womöglich weitaus effizienter geschützt als Kohle oder Gas. Die zu 100 Prozent emissionsfreien Solarkocher werden in Afrika zwar bereits angewendet, sind aber für viele Familien noch unerschwinglich.

Grüne Werbelügen auf unökologischen Produkten müssen gestoppt werden

Im Mai kündigte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) an, juristisch gegen Werbeversprechen von Unternehmen vorzugehen, die bestimmte Produkte als "klimaneutral" bezeichnen. Der Umwelt- und Verbraucherschutzverband forderte die Unternehmen auf, bestimmte Werbeaussagen zu angeblicher Klimaneutralität zu unterlassen.

Nach eigenen Angaben ging die Organisation rechtlich gegen mehrere Unternehmen vor, darunter die Beiersdorf AG, BP Europa SE, dm-drogerie markt GmbH + CO. KG, Green Airlines GmbH, The Mother Nature GmbH, Dirk Rossmann GmbH, Shell Deutschland GmbH sowie die TotalEnergies Wärme & Kraftstoff Deutschland GmbH.

Es fehlten überprüfbare Informationen zu Zahlungen sowie der tatsächlichen Klimawirkung von einzelnen Projekten, so die Begründung. Die Verbraucher werden im Unklaren darüber gelassen, wie die angebliche Klimaneutralität zustande kommt. Wer mit Umwelt- und Klimaschutz wirbt, müsse dies auch belegen.

Das Werbeversprechen der Klimaneutralität sei vielfach Verbrauchertäuschung, kritisiert DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Oft wollen sich die Unternehmen mit einem CO2-Ablasshandel grün waschen. Den Menschen werde Geld aus der Tasche gezogen, das Klima aber nicht geschützt.

Das Unternehmen habe das Wort "klimaneutral" durch "klimaneutralisiert" ersetzt, erklärte daraufhin ein Sprecherin von Beiersdorf. Den Verbrauchern gegenüber solle vermittelt werden, dass die betroffenen Produkte einen verbleibenden CO2-Fußabdruck hätten, der durch das Engagement des Unternehmens ausgeglichen werde.

Jede neutralisierte CO2-Emission ist sicher besser als jede nicht kompensierte Produktion klimaschädlicher Gase. Noch besser wäre es aber, die Emissionen von vornherein zu vermeiden, erklärt Manuel Wiemann. Fragwürdige Scheinlösungen im Globalen Süden helfen weder hier noch dort weiter. Wollen wir das Klima wirksam schützen, müssen wir die Emissionen direkt in Deutschland reduzieren, fordert der Foodwatch-Experte.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.