Verzweiflungsplan oder Größenwahn? China will Tibet umackern

Tibet – bald Kornkammer Chinas? Bild: Kumpol Vashiraaskorn/ Shutterstock.com
Die bevorstehenden Kipppunkte des Klimawandels bereiten Peking große Sorgen. Dabei geht es aber keineswegs nur um Kohlekraftwerke und den CO2-Ausstoß.
Die Führung in Peking rechnet offensichtlich damit, dass der Klimawandel nicht mehr zu stoppen ist und katastrophale Auswirkungen haben wird. Alarmiert durch den beschleunigten globalen Klimakollaps haben chinesische Regierungswissenschaftler vorgeschlagen, die Landwirtschaft auf dem Dach der Welt erheblich zu intensivieren, um den Menschen einen Rückzugsraum zu eröffnen.
In einem Bericht in der chinesischsprachigen Zeitschrift Climate Change Research warnte das Nationale Klimazentrum in Peking kürzlich davor, dass ein beschleunigter Klimazusammenbruch ‒ einschließlich des Kollapses des Amazonas-Regenwalds, der atlantischen Ozeanströmungen und der polaren Eisschichten ‒ die globalen Ernährungssysteme schon innerhalb von Jahrzehnten massiv destabilisieren könnte.
Während die Bedrohung durch den globalen Klimakollaps wächst, konkretisiert Peking Pläne, das Tibetische Plateau in eine Kornkammer zu verwandeln. Wie die South China Morning Post schreibt, wird der Plan auch als Zeichen für Pekings zunehmende Verzweiflung angesichts drohender ökologischer Herausforderungen gewertet.
Das Dach der Welt als Kornkammer
Wenn mehrere Klima-Kippelemente kritische Schwellenwerte überschreiten, werde das "tiefgreifende und weitreichende Auswirkungen auf die Erde und ihre Bewohner haben – von beispiellosen Meeresspiegelanstiegen bis zu extremen Wetterereignissen, die Regionen unbewohnbar machen und bestehende Anpassungskapazitäten überfordern", heißt es in der Studie.
Die Antwort, die die chinesischen Klimawissenschaftler entwickelt haben, läuft darauf hinaus, die Höhenlandwirtschaft auf dem tibetanischen Plateau zügig auszubauen, um es China zu ermöglichen, die bevorstehende globale Katastrophe besser zu überstehen.
Am meisten beunruhigt die Forscher von Chinas Nationalem Klimazentrum die Schmelze des polaren Eises. Grönland verliert mittlerweile stündlich etwa 30 Millionen Tonnen Eis, während die Eisschelfe der Antarktis Stück für Stück aufbrechen.
Disruptive Folgen des Klimawandels
Verschwindet das Grönländische Eis, steigt der Meeresspiegel um 7,5 Meter, taut gar die Antarktis ab, steigt er um weitere sagenhafte 58 Meter. Die Auswirkungen für die chinesischen Küsten lassen sich bei floodmap.net metergenau nachvollziehen.
Und auch China muss überdies mit immer heftigeren Wetterereignissen zurechtkommen: Der Indische Ozean-Dipol, der Wettermuster in der Indo-Pazifik-Region beeinflusst, pendelt zwischen Extremen und löst tödliche Überschwemmungen in Pakistan und bedrohliche Dürren entlang des Jangtse-Flusses aus.
Der Plan des NCC impliziert paradoxe Klimaverschiebungen: Während steigende Temperaturen tropische Ackerflächen versengen, werden Tibets eiskalte Ebenen nasser und erwärmen sich doppelt so schnell wie der globale Durchschnitt. Gletscherschmelzwasser bewässert jetzt Täler, wo einst das ganze Jahr über Frost herrschte. Die Vegetationsperiode ist seit 1980 über einen Monat (34 Tage) länger geworden.
Hochlandgerste und Kartoffeln
Die Klimaerwärmung verläuft jedoch parallel zu einer Revolution in der Agrartechnologie. Wissenschaftler haben neue, noch kältetolerantere Gerstensorten erschaffen, die Ernten in einer Höhe von 5.000 Metern ermöglichen. Die Idee liegt nahe, weil Hochlandgerste traditionell eine der wichtigsten Feldfrüchte auf dem tibetischen Hochplateau ist.
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Doch treibt China auch die Forschung im Kartoffelanbau systematisch voran und erreicht auf dem Plateau dank hervorragender Sonneneinstrahlung in großer Höhe Erträge von über 75 Tonnen pro Hektar ‒ vorerst allerdings nur unter Versuchsbedingungen.
Möglich werden solche Erträge durch den Einsatz kälteresistenter Hybridvarianten und moderne landwirtschaftliche Techniken, die optimierte Bodenbewirtschaftung, speziell angepasste Gewächshäuser und Präzisionsbewässerung einschließen.
Der durchschnittliche Kartoffelertrag in China lag 2022 etwas über 20 Tonnen pro Hektar. Zum Vergleich: In Deutschland werden zwischen 19 und knapp 46,3 Tonnen pro Hektar erreicht. Der Durchschnitt liegt hierzulande bei 40 Tonnen.
Umweltgesichtspunkte und der Einsatz von KI
Auch Umweltgesichtspunkte sollen berücksichtigt werden, wenn es nach dem Willen der Pekinger Klimaforscher geht. Das Tibetische Plateau spiele eine entscheidende Rolle bei der Wasserkonservierung, Bodenretention, Windbrechung und Sandfixierung, sowie bei der Kohlenstoffsequestrierung und der Erhaltung von Biodiversität. Das Hochland gilt zudem als weltweit bedeutender Hotspot für den Biodiversitätsschutz
Doch indem man seine einzigartigen natürlichen und sozioökonomischen Bedingungen nutzt, um eine standortgerechte Landwirtschaft zu entwickeln, werde es durchaus möglich, das Tibetische Plateau in Chinas künftige Kornkammer zu verwandeln, schreiben die Forscher.
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Selbstverständlich gibt es auch Stolpersteine auf diesem Weg: Unkontrollierter Bergbau und andere menschliche Aktivitäten bedrohen die ökologische Vielfalt auf dem Plateau. Das zunehmende Schmelzwasser kann Seen zum Überlaufen und Dämme zum Einsturz zu bringen, was potenzielle neue Siedler gefährden würde.
Aber Peking lässt nicht locker. Nachdem das Plateau bereits mit einem dichten Netz von Wetterstationen überzogen wurde, soll nun Künstliche Intelligenz (KI) genutzt werden, um die Daten in Echtzeit auszuwerten. Die Forscher sind sicher, dass so Gletscherfluten vorhergesagt und Fruchtfolgen optimiert werden können.