Wenn Medien politische Exekutionen gutheißen

2001 sitzen sie bei einem Interview mit dem pakistanischen Journalisten Hamid Mir noch zusammen: Aiman al-Sawahiri (rechts) und Osama bin Laden. Al-Sawahiri wird später Chef von Al-Qaida. Bild: Hamid Mir / Public Domain

Die Tötung von Aiman al-Sawahiri wird als Schlag gegen Dschihadismus begrüßt. Tatsächlich ist das "Killing by Remote Control" der USA eine Terrorzüchtungsmaschine und moralischer Bankrott. Dürfen andere Staaten das auch machen?

"Gut, dass er heute getötet wurde", titelt Spiegel Online. Der Artikel versammelt erste Reaktionen auf den Drohnenangriff der USA in Kabul, bei dem der Al-Qaida-Chef Aiman al-Sawahiri nach US-Angaben getötet wurde.

Es sind die Worte des in Deutschland lebenden Autors Ahmad Mansour. Aber nicht nur er begrüßt die Ermordung al-Sawahiris. Überall in den USA und Europa zeigen sich Politiker:innen, Journalist:innen und Analyst:innen erleichtert. Zeit Online bildet mit der Einschätzung des kanadischen Premierministers Justin Trudeau die Schlagzeile: "Sein Tod ist ein Schritt hin zu einer sichereren Welt". Und bei Tagesschau.de fragt der Sicherheitsexperte Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Titel: "Warum erst jetzt?". Kaim stellt zugleich fest, dass das "Presseecho und das Echo der politischen Klasse in Washington auf dieses Vorgehen … sehr positiv" sind. US-Präsident Joe Biden habe mit dem Schlag

unter Beweis gestellt, dass die USA nicht nur handlungsfähig, sondern auch handlungswillig sind.

Auf Twitter schreibt der Co-Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Omid Nouripour:

Der Tod von #Sawahiri ist ein großer Schlag gegen den #Dschihadismus. Und ein weiterer Beleg dafür, dass die #Taliban ihre Verbindungen zu #AlQaeda niemals abgebrochen haben.

Die grünen Bundestagsabgeordnete Lamya Kaddor warnt jedoch vorsichtig auf Twitter, dass trotz des Tods von al-Sawahiri Finanzströme und Terrorfinanzierung das "größte Problem" bleiben.

Wenn man schon die Tötung al-Sawahiris im Auftrag der US-Regierung derart gutheißt und begrüßt, sollte man sich zumindest zwei Fragen stellen. Die eine ist strategischer Natur. Wird die Welt wirklich sicherer durch die Ermordung des Al-Qaida-Chefs?

Darüber kann man in gewissen Rahmen streiten. Ich glaube nicht, dass es der Fall ist, wenn man die Geschichte als Ratgeber hinzuzieht. Es ist eine Art Doktrin der USA im Umgang mit ihren Gegnern, den "Kopf" zu eliminieren, um für sie unliebsame Bewegungen zu stoppen. So bei der Jagd auf Che Guevara oder den Tötungsversuchen gegen Fidel Castro in Lateinamerika, der Tötung von Saddam Hussein im Irak, die Ermordungen von Osama bin Laden und ISIS-Führern. Dazu kommen die vielen Tötungen von Al-Qaida-Kadern und Taliban aus der zweiten Reihe.

Es ist sehr zweifelhaft, ob diese von den Vereinigten Staaten verfolgte Doktrin die Welt sicherer gemacht hat. Denn wie schon eine Redewendung sagt: Gewalt erzeugt Gegengewalt. Vor allem, wenn die Missstände, die der Gewalt unterliegen, nicht adressiert, geschweige denn behoben werden.

Die US-Amerikaner:innen würden sich durch die Tötung al-Sawahiris auch keineswegs sicherer fühlen, wie Phyllis Bennis vom Institute for Policy Studies zu Recht feststellt:

Was auch immer die Menschen in den USA über die Tötung von al-Sawahiri mitten in der über 10.000 Kilometer entfernten afghanischen Hauptstadt denken mögen, Sicherheit und Schutz werden wohl kaum an erster Stelle stehen. Präsident Biden versicherte uns, dass "die Menschen auf der ganzen Welt den bösartigen, entschlossenen Killer nicht mehr zu fürchten brauchen". Aber wenn die meisten Menschen auf der Welt an den "bösartigen, entschlossenen Killer" denken, den sie fürchten, steht Aiman al-Sawahiri wohl kaum ganz oben auf ihrer Liste.

Alle US-Präsidenten sind Schwerverbrecher: Was folgt daraus?

Auf ihrer Sorgenliste stehen vielmehr, so Bennis, die zunehmenden Spannungen mit China, die Pelosis Taiwan-Besuch weiter anheizt, die atomare Bedrohung vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs, in den die USA Waffen fluten, die eskalierende Klimakrise, der die Biden-Regierung lediglich mit einem Mini-Klimaprogramm begegnet.

Flüchtlingskrise, Armutskrise, Covid-Pandemie, verstärkt durch die Inflation: Die USA könnten die Welt in allen diesen Punkten "sicherer und gerechter" machen. Aber die Regierung gibt lieber weiter 52 Cents von jedem frei verfügbaren Dollar an Bundesmitteln für das Militär aus.

Die US-Spezialkommandos, die mit Nachtrazzien und gezielten Tötungen die Menschen in vielen Regionen der Welt tyrannisieren, sind auch weiter in Syrien, Somalia, Niger und anderswo stationiert. Der Truppen-Abzug aus Afghanistan und der Tod von al-Sawahiri markieren daher keineswegs das Ende des "War on Terror", sondern seine Fortführung mit anderen Mitteln.

Die zweite Frage lautet: Ist die außergerichtliche Ermordung eines wegen Verbrechen Beschuldigten durch eine Regierung in einem anderen Land legal und legitim. Es ist keineswegs eine Überraschung, dass diese Frage erneut, wie bei den vielen Opfern von US-Spezialeinsätzen und Drohnenangriffen, von den Medien hier oder in den USA nicht gestellt wird, mit wenigen Ausnahmen.

Das Problem ist die Antwort darauf. Der Tötungsakt gegen al-Sawahiri verstößt gegen nationales und internationales Recht, ganz zu schweigen von Moral. Es gibt kein Recht irgendeiner Regierung auf politische Morde.

Natürlich werden immer wieder Versuche unternommen, derartige extralegale Tötungen als rechtmäßig und legitim darzulegen. Aber diese Begründungen fallen schnell wie Kartenhäuser zusammen, wenn man sie universell anwendet: Dürfen das andere Staaten außer den USA dann auch machen?

Al-Sawahiri ist wie bin Laden von der US-Regierung getötet worden, weil er beschuldigt wird, Terrorakte geplant und durchgeführt zu haben. Lassen wir einmal beiseite, dass Beschuldigten der Prozess gemacht werden sollte. Die USA haben jedoch nicht einmal über Auslieferungsersuchen oder internationale Geheimdienst- oder Polizeiaktionen die Erfassung von al-Sawahiri angestrebt, um den Rechtsweg, wie andere Staaten es tun, einzuschlagen.

Der Tötungsgrund in Bezug auf al-Sawahiri (und die anderen politischen Morde) fällt aber auf die USA zurück.

So haben alle US-Präsidenten Terrorakte befehligt oder Angriffskriege initiiert. Der US-Regierung unter Präsident Ronald Reagan wurde sogar vom internationalen Strafgerichtshof in Sachen Nicaragua Terrorismus vorgeworfen. Der Einmarsch in den Irak 2003 unter Präsident George W. Bush und die anschließende militärische Besatzung des Lands (ohne Resolution des UN-Sicherheitsrats) ist unstrittig ein Angriffskrieg, das schwerste Verbrechen in internationalen Angelegenheiten.

Barack Obama hat den Drohnenkrieg und schmutzigen Krieg danach ausgeweitet und zu einer globalen Operation gemacht. Jeden Dienstag, dem "Terror-Tuesday", entschied er im Oval Office mit seinem Team, wer auf die sogenannte "Kill-List" kommen und dann mit einer Drohne oder durch ein Spezialkommando getötet werden sollte. Er nahm dabei die Rolle des Anklägers, des Richters, der Geschworenen und des Henkers in einer Person ein, wie Medea Benjamin von Code Pink in ihrem Buch "Drone Warfare. Killing by Remote Control" feststellt. Man könnte so weitermachen.

Würden wir es also genauso begrüßen, wenn Bush, Obama, Trump oder Biden, auf dem Balkon stehend, von einer bewaffneten Drohne getötet werden? Wir wissen, dass das die Welt auf keinen Fall sicherer machen würde. Die Reaktion der USA, die mächtigste Militärmacht der Weltgeschichte, wäre vernichtend.

Kriege, Nachtrazzien und gezielte Tötungen vervielfachen den Terror

Über zwanzig Jahre nach 9/11 und der Eliminierung bin Ladens ist die Welt kein Hort friedlicher Nachbarschaft geworden. Vor allem in den Regionen, wo der militärische Vorschlaghammer der Vereinigten Staaten nieder rauschte, grassiert Chaos und regieren hartnäckige "After Wars". Geheimdienste sagten bereits vor den US-Angriffen voraus, dass die "militärischen Lösungen" die Terrorgefahr steigern würde. Die Terrorismusexperten Peter Bergen und Paul Cruickshank schätzen, dass der Irak-Krieg "zu einer erstaunlichen Versiebenfachung der jährlichen Zahl tödlicher dschihadistischer Anschläge geführt hat, was buchstäblich Hunderte von zusätzlichen Terroranschlägen und Tausende von verlorenen Zivilistenleben bedeutet".

Sicherlich, der Terror könnte abgemildert werden, vielleicht sogar verschwinden, wenn die USA aufhören würden, sich daran zu beteiligen. Legitime Missstände, die Terror gedeihen lassen, müssten beseitigt werden. So wurde der ägyptische Arzt Aiman al-Sawahiri nach der Tötung von Ägyptens Präsident Anwar Sadat für drei Jahre ins Gefängnis geworfen, wo man ihn folterte. Das habe ihn erst radikalisiert, sagt Lawrence Wright, der ausführlich über al-Sawahiri in seinem Buch "The Looming Tower: Al-Qaeda and the Road to 9/11" geschrieben hat. Nicht nur al-Sawahiri verlange, dass die USA den arabischen Raum in Ruhe lassen und aufhören sollten, autoritäre Regime zu stützen.

Das ist keine Rechtfertigung von Gewalt und Terror. Solange der Nährboden für Terror aber nicht ernsthaft angegangen wird, können die USA so viele "Köpfe abschlagen", wie sie wollen. Es werden immer welche nachwachsen. Nach einem nicht enden wollenden "War on Terror" und rund einer Million ziviler Opfer vor allem im Irak, in Afghanistan und Pakistan ist es naiv und zynisch zugleich zu glauben, der Tod eines "Killers" sei irgendein Erfolg und die Welt wieder in Ordnung.

Al-Sawahiris und bin Ladens Tötungen sind zudem extreme Ausnahmen. Sie haben große Aufmerksamkeit in der medialen Öffentlichkeit erhalten und werden als Schlag gegen Terrornetzwerke gefeiert. Die Tausenden Opfer, die aus welchen Gründen auch immer auf die Kill-List des Weißen Hauses geraten sind (zum Beispiel der skandalöse Fall des US-Amerikaners Anwar al-Awlaki und seines 16-jährigen Sohns) oder sich bei einem "Strike" zufällig in der Nähe befanden, bleiben namenlos.

Phyllis Bennis weist darauf hin, dass

wir immer noch keine Beweise gesehen haben, die bestätigen, dass es bei dem Angriff, bei dem al-Sawahiri getötet wurde, keine zivilen Opfer gab. Erinnern Sie sich an den Drohnenangriff in Kabul im August 2021, bei dem "nur zwei ISIS-Terroristen" getötet wurden – es stellte sich jedoch heraus, dass er nur auf einen humanitären Helfer abzielte, der Wasser transportierte, und nicht nur ihn, sondern neun weitere Mitglieder seiner Familie tötete, darunter sieben Kinder?