Missing Link: Maria Ressa – von der Verantwortung(slosigkeit) der Tech-Firmen

Seite 3: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz….

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(Bild: Shutterstock)

heise online: Das Jahr der Abrechnung für die großen Plattformen ist ausgeblieben 2020, sagen sie. Wer kann am Ende den Karren aus dem Dreck ziehen? Muss der Regulierer doch ran? Sind es die Nutzer, die mit den Füßen abstimmen müssen?

Ressa: Ich halte Regulierung heute für wichtig. Deutschland hat als eines der ersten Ländern experimentiert, mit dem Gesetz mit dem unaussprechlich langen Namen….

heise online: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz….

Ressa: Genau.

heise online: Aber das kann auch gegen Sie eingesetzt werden, es kann unter einer entsprechenden Regierung zu einem Instrument gegen abweichende Meinungen werden….

Ressa: Ja. So ist die Welt. Es ist meiner Meinung nach entscheidend, dass wir über die Idee von Content Regulierung hinauskommen. Am Anfang drehte sich alles um die Moderation von Inhalten. Das war nicht durchdacht. Aber Facebook hat selbst in diese Kerbe geschlagen. Mark Zuckerberg fragte immer, ob wir ihn zum Zensor über Informationen machen sollen, die wir sehen können. Aber der Algorithmus hat diese Entscheidungen ja längst für uns getroffen. Es geht nicht um Meinungsfreiheit, sondern um die freie Erreichbarkeit, Freedom of Reach anstelle von Freedom of Speech. Innerhalb des Forum on Information and Democracy arbeite ich daran mit, nachhaltige Lösungen für das Problem zu finden. Dinge wie Portabilität von Daten und sozialen Netzwerken. Die Idee, soziale Medien zu regulieren wie klassische Telekommunikationsunternehmen und zu Schnittstellen und zur Zusammenschaltung zu verpflichten. Außerdem muss Nutzern Kontrolle über ihre Daten zurück gegeben werden. Wir bräuchten dafür eine globale Lösung. Obwohl, im Ernst, wenn wir Regulierung für die sozialen Plattformen in den USA und in Europa haben, genügt das. Der Rest der Welt würde voraussichtlich folgen. In den Philippinen sitzen wir am Ende der Nahrungskette. Wir tragen, glaube ich, am schwersten an den Folgen, was das Silicon Valley ausheckt. Weil unsere Institutionen schwach sind und unsere Bevölkerung leicht zu manipulieren ist.

Vielleicht kommt die Abrechnung doch noch dieses Jahr. Während der Pandemie waren alle sozialen Medien gezwungen, Covid19-bezogene Lügen zu löschen. Denn das sind Lügen, die töten. Zugleich wurde dadurch klar, sie können redaktionell eingreifen. Warum sollten sie also nicht auch politische Desinformation löschen können. Das ist für mich nach wie vor die Schlacht, die es dieses Jahr zu schlagen gilt. Natürlich ist da die Coronakrise. Aber nach der können unsere Demokratien nur überleben, wenn wir unser informationelles Ökosystem in Ordnung bringen. Nicht zuletzt war die Technologiebranche doch auch der Steigbügelhalter für die populistischen Egomanen, die überall ans Ruder gekommen sind.

heise online: Würden gut gemeinte Gesetze, die wir in Ihre Richtung schicken – wie das Netzwerkdurchsetzungsgesetz – nicht gegen Sie eingesetzt? Und zugleich, sind wir nicht auf dem Weg, auf dem sie schon sind, in Richtung Spaltung der Gesellschaft, Hasskampagnen und Ende von Fakten-basierter Gestaltung von Politik?

Ressa: Das klingt alles so düster. Ich würde sagen, wir sollten optimistisch sein, weil es überall auf der Welt mehr und mehr Gesetzgeber gibt, die die Probleme mit der Technologie besser verstehen. Auch Regierungen haben bislang ihre Verantwortung nicht wahr genommen, einfach weil sie die Technologie nicht verstanden haben. Man hat alte Lösungen auf die neuen Mächte geworfen haben. Dass die Welt so krank geworden ist, lag vielleicht daran, dass alte Mächte neue Mächte nicht verstanden haben, genausowenig wie neue Mächte die alten. Hier gibt es eine Analogie zur Pandemie, die vor unseren Augen alles kaputt geschlagen hat, nur in viel kürzerer Zeit. In gewisser Weise ist das auch der Effekt der Technologie – kreative Zerstörung. Ich hatte mal gehofft, Mark Zuckerberg könnte eine Kraft für das Gute sein und die Tech-Branche würden im Sinne eines aufgeklärten Eigeninteresses agieren. Denn wer um Himmels willen will am Ende unter einer Diktatur leben! Und das ist es, was sie gerade helfen zu schaffen.

heise online: Haben die traditionellen Medien ihren Part nicht gespielt, waren sie zu selbstzufrieden und zu willig, am Tisch der Macht zu sitzen und….

Ressa: Alte Macht….

heise online: und haben sie die Veränderungen selbst nicht verstanden?

Ressa: Ja. Journalisten, Verlage waren Teil der alten Macht. Wir waren die vierte Gewalt. Aber das ist passé. Denn wir haben die Macht der Distribution verloren. Jetzt sind wir zum Abschuss frei gegeben. Ich kann mich in 34 Berufsjahren nicht erinnern, jemals so vielen Angriffen ausgesetzt gewesen zu sein wie in den letzten beiden Jahren. Es ist erlaubt, es ist möglich. Was wir retten müssen, sind die journalistischen Standards, unsere Ethik und den Auftrag des Journalismus. Unsere Zukunft ist mit der der Technologie eng verknüpft. Ich glaube, Inhalt und Verbreitung werden wieder zusammen kommen. Für eine Weile war es so, dass Verlage für Falschinformationen belangt werden konnten, die neuen, viel mächtigeren Distributoren aber nicht. Das wird sich wieder angleichen, glaube ich. Der Grund, warum ich mit Technologie experimentiere…

heise online: Beim Rappler….

Ressa: Ja. Während wir unter Dauerbeschuss standen, haben wir an unserer eigenen Technik gefeilt. Ich glaube, unsere Zukunft liegt in der Technologie. Die allein den Codern zu überlassen, die nicht verstehen, welche Verantwortung sie gegenüber der Öffentlichkeit tragen, ist grundfalsch. Das hat die Welt kaputt gemacht. Das alte Motto von Facebook 'Move fast and break things', ja, ihr habt es zerschlagen, also wie fixt ihr das jetzt? Ich glaube, Journalisten werden dabei noch gebraucht. Darum habe ich Facebook noch nicht aufgegeben. Es gibt in dem Unternehmen noch Leute, die auch so denken und vielleicht erreicht diese Überzeugung auch Mark Zuckerberg noch. Zuckerberg ist der mächtigste Mann im Ökosystem Informationen. Er trifft Entscheidungen für uns alle. Ich habe ihn 2017 getroffen und war beeindruckt, wie klug er ist. Aber, er hat nie außerhalb der Vereinigten Staaten gelebt, er ist, platt gesagt, ein weißer Mann. Ich weiß, warum wir stehen, wo wir stehen, aber ich bin auch ungeduldig. Denn ich bin auf der Seite der Empfänger..