Missing Link: Maria Ressa – von der Verantwortung(slosigkeit) der Tech-Firmen

Die philippinische Journalistin Maria Ressa soll ein halbes Jahr ins Gefängnis. Im Interview erzählt sie, wie es dazu kam und was sich auf der Welt ändern muss.

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MIssing Link: Maria Ressa – Die Verantwortung der Tech-Unternehmen

(Bild: metamorworks/Shutterstock.com)

Lesezeit: 25 Min.
Von
  • Monika Ermert
Inhaltsverzeichnis

Mindestens ein halbes Jahr sollen Maria Ressa, Chefredateurin der Online Nachrichtenplattform Rappler, und ihr Kollege Atuor Rey Santos ins Gefängnis. Das entschied vor zweieinhalb Wochen ein Gericht in Manila. Ressa hatte nach zwei Jahrzehnten als Journalistin und Korrespondentin bei CNN, als Nachrichtenchefin beim philippinischen Sender ABS-CBN, entschieden, dass die Medien sich neu erfinden müssen. Sie gründete Rappler, das mit inzwischen 100 Mitarbeitern investigativ über Dutertes Drogenkrieg und die grassierende Korruption auf den Philippinen berichtet. International gefeiert als Time Magazine Person 2018 und zeitgleich mit ihrem Urteil mit dem Preis des US National Press Council für Pressefreiheit ausgezeichnet, hat sich Ressa in der Duterte-Regierung keine Freunde gemacht. Über die Fallstricke ihres Prozesses, über den Anteil, den die sozialen Medien dabei spielten, über das neue Anti-Terrorgesetz und Angela Merkel sprachen wir via Skype mit Ressa.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Maria Ressa auf der Digital Life Design (DLD) in München im Januar 2020. (V.l.n.r. Peter Sunde (Mitgründer von The Pirate Bay), Maria Ressa, Sinan Aral (Professor of IT & Marketing, MIT).

(Bild: heise online/Monika Ermert)

heise online: Herzlichen Glückwunsch zum Erhalt des John Aubuchon Preis für Pressefreiheit. Sie haben den Preis unmittelbar nach der Verurteilung wegen übler Nachrede im Netz erhalten.

heise online: Was bedeutet der Preis für Sie?

Maria Ressa: Für mich ist er eine Erinnerung, dass wir nicht alleine sind. Andere schauen auf das, was wir tun. Als mich die Nachricht über den Preis erreicht hat, haderte ich mit dem Urteil. Ich war wütend. Ich hatte mich vor der Urteilsverkündung auf das Schlimmste vorbereitet, aber irgendwie hofft man bis zum Schluss, dass es gut ausgeht. Ein paar Minuten nach Verlesung des Urteils wurde mir aber klar, dass es auf einen Schuldspruch hinauslief. Ich habe aufgehört, Notizen zu machen. Mir wurde schlecht. Abgesehen davon, was das Urteil für mich bedeutet, bin ich einfach traurig zu sehen, in welchem Zustand mein Land ist. Der Preis bedeutet für mich, da draußen ist eine größere Welt. Auch wenn es sich gerade so anfühlt, als ob hier alles über uns zusammenbricht und ich nicht weiß, wie hier alles weiter geht, da draußen sind anderen Journalisten, die auch kämpfen und die sich genauso wie wir mit neuer Technologie und Sozialen Medien auseinanderzusetzen haben. Denn die haben uns alle verwundbarer gemacht. Deutschland ist in einem gewissen Sinn besser dran, weil man dort weiß, was passieren kann, wenn Hass durch hoch getaktete Propaganda geschürt wird.

heise online: Sprechen wir erst über das Urteil. Die Richterin hat Wilfredo Keng Recht gegeben, dem Unternehmer, der Sie und ihren Rappler-Kollegen Rey Santos wegen übler Nachrede im Netz angezeigt hat. Sie hätten fälschlicherweise, und in böser Absicht, behauptet, dass Keng eine "zwielichtige Vergangenheit" habe. Ihre Informationen stammten aus Geheimdienstbericht, konnten Sie den zu ihrer Verteidigung einsetzen?

Ressa: Das Urteil war eine ziemliche Rosinenpickerei. Die einzige wirklich exklusive Information in unserer Story war das Foto von der schwarzen Limousine, die von einem Verfassungsrichter gefahren wurde, gegen den gerade ein Amtsenthebungsverfahren lief. Auf dem Foto war das Nummernschild zu sehen….

heise online: Das Auto war auf Keng zugelassen…

Ressa: Ja. Die Geschichte war zum damaligen Zeitpunkt, 2012, als das Amtsenthebungsverfahren lief, von öffentlichem Interesse: ein Verfassungsgerichtspräsident, der noch während des Verfahrens die Luxuskarossen eines Unternehmers nutzte. Wir haben einen alten Artikel von 2002 zu Keng zitiert und den Geheimdienstbericht. Ein erfahrener Senior Editor des Rappler hat mit Rey zusammengearbeitet. Wir mussten die Quelle, von der der Geheimdienstbericht kam, nie preisgeben. Mittlerweile ist der betreffende Kollege gestorben. Wäre es Keng tatsächlich um seinen guten Ruf gegangen und hätte er das Verfahren direkt angestrengt, hätte unser damaliger Kollege dem entgegentreten können. Nicht umsonst ist die Verjährungsfrist für klassische Verleumdungsklagen ein Jahr und nicht 12 Jahre wie in unserem Fall angewandt. Die andere entscheidende Frage, in der die Richterin gegen uns entschieden hat, war Kengs Behauptung, er sei ein Privatmann. Wir haben argumentiert, dass er durch seine Beteiligung zu einer Person von öffentlichem Interesse wurde. Unser Prozess ist wegen der juristischen Akrobatik wirklich spannend. Schon um den Fall überhaupt vor Gericht bringen zu können, musste die Verjährungsfrist angehoben werden. Und dann wurden wir nicht wegen übler Nachrede belangt, sondern wegen der angeblichen erneuten Publikation der Geschichte.

heise online: Weil in der Online-Story 2014 ein Tippfehler verbessert und daher ein neues Datum angezeigt wurde….

Ressa: Wiederpublikation ist kein Straftatbestand. Aber das stand auf dem Haftbefehl, und auch wenn selbst das unbewiesen blieb, darauf lautete die Klage. Das zentrale Problem der Anklage bleibt aber, dass das Gesetz zu Online-Verleumdung rückwirkend auf uns angewendet wurde. Das ist verfassungswidrig. Wir haben am 29. Juni Berufung eingelegt und auf 130 Seiten die juristischen Fehler aufgelistet, die die Richterin aus unserer Sicht gemacht hat. Ich selbst habe auch moniert, dass die Richterin meinen Titel als Chief Executive Editor als "cleveren Trick" bezeichnet hat. Jetzt hat die Richterin selbst nochmals das Wort. In nächster Instanz können wir vors Berufungsgericht ziehen und schließlich bis zum Obersten Gericht. Wir werden alle Rechtsmittel ausnutzen.

heise online: Weder Sie noch Rey Santos haben selbst ausgesagt im Verfahren, können Sie sagen, warum?

Ressa: In meinem Fall war es einfach so, dass ich über die Story und die Recherche der Kollegen zu wenig wusste. Wir haben entschieden, dass unsere Recherchechefin, die für die Vergabe der Themen verantwortlich war, aussagen sollte. Deren Aussage tat die Richterin als "Hörensagen" ab. Das ist lächerlich. Weil die Klage ursprünglich von der Staatsanwaltschaft niedergeschlagen worden war wegen der Verjährungsfrist, wollten wir den laufenden Phishing-Kampagnen der Regierung keine weitere Nahrung liefern. Als die Klage dann durch das Justizministerium doch wieder aufgelegt wurde, hätte ich eigentlich gerne zu den juristischen Problemen ausgesagt, weil ich mich da auskenne. Unser Anwalt hat uns abgeraten und Rey war, weil es ja um Wiederpublikation ging, gar nicht betroffen.

heise online: Der PhilStar hat seinen Artikel über Keng zurückgezogen, warum haben Sie das nicht getan?

Ressa: Vielleicht ist das hier anders. Aber wir bekommen so viele von diesen Anfragen. Wir werden dauernd aufgefordert, Informationen, auf die die Öffentlichkeit einen Anspruch hat, unter den Tisch fallen zu lassen. Rappler hält dagegen. Außerdem, der Philippine Star hat die Geschichte nicht deshalb von seiner Seite genommen, weil sie falsch war. Die Redaktion hat erklärt, dass man es für klug erachtet hat, auf diese Weise der angedrohten Klage aus dem Weg zu gehen. Jeder Verlag trifft seine eigenen redaktionellen Entscheidungen. Ich wehre mich gegen die Idee, dass man uns zum Schweigen bringen kann. Ich wehre mich dagegen, dass jemand mit Macht und Einfluss mit allem davon kommen kann. Und, in diesem Fall handelt es sich nicht um einen einfachen Geschäftsmann. Bei aller gebotenen Vorsicht, er hat eine Vorgeschichte und wir bestreiten im Verfahren seine Aussage, dass er ein einfacher Privatmann ist. Ganz allgemein, wer in unserer Gesellschaft Macht hat, formell oder informell, kann sich Dokumente verschaffen, deren Inhalt nicht unbedingt der Wahrheit entspricht. Ist es nicht auffällig, dass die Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Philippine Drug Enforcement Agency für Keng von jemandem unterschrieben wurden, der mittlerweile für Korruption angeklagt und verurteilt wurde? Dazu haben wir nichts veröffentlicht. Jede Nachrichtenredaktion hat Hunderte von solchen Geschichten, und viele werden nicht veröffentlicht. Ich will eigentlich nur sagen: in unserer Redaktion wird sauber gearbeitet. Am Artikel über Keng haben insgesamt vier Redakteure mitgearbeitet, kumuliert saßen da viele Jahre journalistischer Erfahrung beieinander und als wir das 2012 veröffentlicht haben, war die Geschichte von hohem öffentlichen Interesse.