Verfassungsbeschwerde gegen Telekommunikationsgesetz vorgelegt

Ein Frankfurter Rechtswissenschaftler sieht sich durch unverhältnismäßige Bestimmungen zum Lauschangriff und zum Datensammeln in seinen Grundrechten eingeschränkt und sucht noch Mitstreiter in der Wirtschaft.

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Der Frankfurter Rechtswissenschaftler Patrick Breyer hat eine Verfassungsbeschwerde gegen das Telekommunikationsgesetz (TKG) ausgearbeitet. Als Nutzer einer vorausbezahlten Mobiltelefonkarte sowie als Kunde eines deutschen Internetproviders, der sämtliche Identifikationskennungen einschließlich vergebener IP-Adressen 80 Tage lang speichert, fühlt er sich durch die Überwachungsklauseln des Gesetzes in seinen Grundrechten verletzt. "Das Fernmeldegeheimnis schützt die vertrauliche Inanspruchnahme der Telekommunikation frei von staatlicher Kenntnisnahme", schreibt Breyer in seiner detaillierten Beschwerdeschrift. Gleichsam unantastbar seien laut der gängigen Auslegung von Artikel 10 Grundgesetz "Kommunikationsinhalte wie auch die näheren Umstände der Telekommunikation." Gegen dieses Prinzip werde jedoch im TKG in einer Reihe von Paragrafen ohne hinreichende Begründung verstoßen.

Unter anderem stößt sich Breyer an der im TKG verankerten Pflicht zur Angabe persönlicher Daten bei der Anmeldung eines Telefonanschlusses, insbesondere beim Kauf von Prepaid-Handykarten. Ferner stört ihn das Recht von TK-Unternehmen, Daten über ihre Kunden und deren Telekommunikation "über die erforderliche Dauer hinaus" speichern zu dürfen. Der an der Universität Frankfurt tätige Jurist bezieht sich hier vor allem auf die "Vorratsspeicherung" von Internet-Nutzungsdaten zur "Missbrauchsbekämpfung". Weiter will er die "weit gehenden staatlichen Zugriffsrechte auf persönliche Daten von Telekommunikationsnutzern angreifen sowie die "Pflicht von Telekommunikationsunternehmen, ohne Entschädigung an staatlichen Überwachungsmaßnahmen mitwirken zu müssen." Um diesen letzten Punkt in der Beschwerde mit aufrecht zu erhalten, sucht Breyer noch Unterstützung durch eine betroffene Firma, da der entsprechende Grundrechtseingriff sich nicht gegen ihn selbst richtet. Gegenüber heise online erklärte der Fachmann, dass er die übrigen Teile notfalls auch ohne Mitwirkung eines Unternehmens einreichen wolle.

Die Auflagen und Einladungen zur Datenjagd sowie zum Lauschangriff auf die Nutzer gehörten bis zuletzt zu den am meisten umstrittenen Passagen des TKG. Auch wenn die vom Bundesrat angepeilte Verpflichtung der Anbieter zur sechsmonatigen Vorratsspeicherung sämtlicher TK-Daten vom Vermittlungsausschuss noch gekippt wurde, enthält das Gesetz einige für Datenschützer bedenkliche Bestimmungen. So müssen TK-Anbieter laut Paragraf 111 etwa Auskünfte über Passwörter für alle Mailboxen geben, die auf Endgeräten oder Servern laufen. Diese Angaben zählen laut Breyer allerdings genauso wie die klassischen Bestandsdaten zu Name und Anschrift des Kunden zur Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses. Sie seien damit zu den vom Grundgesetz geschützten "Umständen" der Telekommunikation zu rechnen. Gleiches gilt laut Breyer auch für die bei der Nutzung von TK-Diensten anfallenden "Verkehrsdaten" wie Telefonnummern, Informationen über konkrete Verbindungen oder Standortdaten beim Mobilfunk. Dass das TKG die Speicherung dieser Daten teils zulässt, teils verlangt, verstoße demnach ebenso gegen das Fernmeldegeheimnis.

Besonders schwere Bedenken hat der Rechtswissenschaftler gegen die Paragrafen 112 und 113, welche die automatische und manuelle Abfrage der sich bei den Telcos anhäufenden Nutzerdaten regeln. Diese Eingriffe seien schon deswegen verfassungswidrig, weil der Gesetzgeber entgegen dem Grundgesetz nicht einmal das eingeschränkte Grundrecht nenne. Die geschaffenen Zugriffsrechte einer Vielzahl staatlicher Stellen "zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben" seien nicht durch überwiegende Allgemeininteressen gerechtfertigt. Ihr möglicher Nutzen stehe "klar außer Verhältnis zu ihren negativen Auswirkungen auf die Grundrechtsträger." Weder die Gebote der Zweckbindung noch der Normenklarheit würden erfüllt.

Bei Verbänden und Vereinen hat der Vorstoß Breyers ein geteiltes Echo hervorgerufen. Hannah Seiffert, Justiziarin beim Verband der deutschen Internetwirtschaft eco, spricht von einem "interessanten Weg, um einige verfassungsrechtliche bedenkliche Knackpunkte klären zu lassen". Der Aufwand, der durch die Überwachungsauflagen der Wirtschaft aufgebürdet wurde, sei "erheblich". Seiffert hält es für möglich, dass etwa ein mittelständischer, im Business-to-Business-Bereich tätiger Provider den Gang nach Karlsruhe mit in Angriff nehmen könnte. Diese Firmen müssten die teuren Abhörboxen laut TKG und der momentan neu aufgelegten Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) auf eigene Kosten vorhalten, obwohl sie so gut wie nie Anfragen von den Sicherheitsbehörden erhalten.

Auch die Humanistische Union, die kürzlich gegen den IMSI-Catcher das Bundesverfassungsgericht angerufen hat, überlegt nach Auskunft eines Sprechers momentan, ob sie "eingreifen soll". Der Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten (VATM) geht dagegen von einer Verfassungskonformität des TKG aus. Es seien zwar "viele böse Sachen drin", erklärte der Berliner VATM-Büroleiter Harald Geywitz gegenüber heise online. Er glaube aber nicht, dass nach dem Einbau der erstmals vorgesehenen Entschädigung zumindest für manuelle Datenauskunftsersuchen ein Mitgliedsunternehmen "die rote Karte ziehen wird". (Stefan Krempl) / (jk)