Buchverleger suchen den Dialog mit dem "fremden Netz"

Branchenvertreter ließen sich auf den Berliner Buchtagen über digitale Vermarktungsmöglichkeiten etwa per Online-Community oder Twitter aufklären, mussten sich aber auch den Vorwurf der Innovationsfeindlichkeit anhören.

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Branchenvertreter konnten sich auf den Berliner Buchtagen am heutigen Donnerstag über digitale Vermarktungsmöglichkeiten etwa über Online-Communities und Twitter aufklären lassen. Sie mussten sich bei einer Veranstaltung, die unter dem Titel "Das fremde Netz" zu einem "Dialog mit Netcitizens" eingeladen hatte, aber auch den Vorwurf der Innovationsfeindlichkeit anhören. Das Internet sei "jetzt da" und man müsse es als "Kommunikationsplattform dieser Menschheit begreifen", forderte der Podcaster Tim Pritlove die Verleger zum "Ausatmen" auf. Dabei komme man nicht an der Tatsache vorbei, dass im Netz "jeder selbst publizieren" oder Radio und Fernsehen machen könne. Am wichtigsten sei es dabei, sich eine eigene Community aufzubauen.

Das Mitglied des Chaos Computer Clubs (CCC) produziert unter anderem den Chaosradio Express seit 2005, die Online-Gesprächsrunde MobileMacs und Podcasts als Auftragsarbeiten etwa für die "Aktion Mensch" oder Greenpeace. Dabei sei er sein eigener Moderator, Sendeleiter, Techniker, Aufnahmeleiter und Vermarkter – alles in einer Person, führte Pritlove aus. Das habe große Vorteile, da er etwa die Länge einer Sendung selbst festlegen und auf eine "ausufernde Interaktion mit der Hörergemeinde" bauen könne. Er komme mit seinen Podcasts auf einen "sicheren Hörerstamm zwischen zehn- und fünfzehntausend Nutzern". An die Verleger appellierte er, die typisch deutsche Herangehensweise gemäß dem Motto "Ich brauch das nicht, weil ich das nicht kenne" an den Nagel zu hängen und neben Risiken auch Chancen neuer Medientechniken zu sehen. Er empfahl den amerikanischen Ansatz: "In den USA lautet die erste Frage: was kann ich damit machen, was kann sich daraus entwickeln."

Pavel Richter, Geschäftsführer des Vereins Wikimedia Deutschland, überraschte die Branche mit seiner Ansage: "Jeder kann die Inhalte nehmen, einsprechen und als Hörbücher verkaufen", brachte der frühere IBM-Manager ein Beispiel für Verwertungsmöglichkeiten der Online-Enzyklopädie. Nur bei Nutzung der Wortmarke und des Logos der Wikipedia würden Lizenzkosten fällig. Auf die Frage aus dem Publikum, ob sich die Content-Produzenten dieser Situation bewusst seien, betonte Richter, dass die hinter dem Projekt stehende Gemeinschaft mit rund zwei- bis dreitausend aktiven Autoren in Deutschland froh sei "über jeden, der unsere Inhalte nimmt". Die Gründung von Wikipedia wäre seiner Ansicht nach hierzulande aber nicht möglich gewesen aufgrund des sicher zu erwartenden Gegenarguments, dass man "da ja auch Kinderpornographie hochladen könnte". Es handele sich somit um ein "amerikanisches Konzept", auch wenn die deutsche Ausgabe mittlerweile die zweitgrößte weltweit sei.

Seinen "Traum von einem verteilten Web des Wissens" stellte in diesem Sinne auch Jörg Kantel dar. Der "Schockwellenreiter" bezeichnete sein gleichnamiges Blog als "persönlichen Heimathafen, in den man sich zurückzieht und wieder neue Erkundungen startet". Dass große Verlage im Netz mitmischen wollen, beäugte der Journalbetreiber skeptisch: "Das geht dann wieder in Richtung Distributionskanal", während er das Internet als Medium zur kreativen "Zwei-Wege-Kommunikation" sehe.

Ein praktisches Beispiel zur Nutzung des Netzes als Vermarktungsmittel für Bücher brachte Markus Henrik. Der Autor hat seinen bei einem klassischen Verlag erschienenen Band über die Wehrhaftigkeit der "Generation Praktikum" mit Mitteln des Web 2.0 mit dem Titel "Copy Man" auf der Basis von Erfahrungen geschrieben, die er etwa mit der viralen Verbreitung eines Musikvideos über Studiengebühren auf YouTube sammelte. Für die Bekanntmachung des Buchs habe er dann wiederum in Eigenregie Inhalte aus dem Unterhaltungsroman im WG-Zimmer in kleinen Videoclips dargestellt und eine Serie daraus gemacht. Der Verlag habe ihn bei der weiteren Generierung von Aufmerksamkeit für die Spots über seine Twitter- und Facebook-Accounts unterstützt. Zur Selbstentblößung müsse dieser Einsatz sozialer Netzwerke nicht führen: "Was ich preisgebe, hat immer etwas mit meinen professionellen Aktivitäten zu tun." Privat habe er kein einschlägiges Profil. (pmz)