Überwachung: EU-Ratsspitze will freiwillige Chatkontrolle dauerhaft machen
Polen will nicht an der geplanten EU-Auflage zur verpflichtenden Chatkontrolle auch durch WhatsApp, Signal & Co. festhalten. Freiwillige Scans sollen bleiben.
(Bild: Gorodenkoff / Shutterstock.com)
Die neue polnische EU-Ratspräsidentschaft will den gordischen Knoten im jahrelangen Streit über den Entwurf der EU-Kommission für eine Verordnung zur massenhaften Online-Überwachung unter dem Aufhänger des Kampfs gegen sexuellen Kindesmissbrauch zerschlagen. Ein geleakter Vorschlag des Vorsitzes des Ministergremiums sieht vor, die besonders umkämpften Aufdeckungsanordnungen für elektronische Kommunikation zu streichen.
Die Kommission wollte mit dieser Form der Chatkontrolle auch Anbieter durchgängig verschlüsselter Messaging- und anderer Kommunikationsdienste wie WhatsApp, Apple mit iMessage, Signal und Threema dazu verdonnern können, Missbrauchsfotos und -videos in den Nachrichten ihrer Nutzer ausfindig zu machen. Das EU-Parlament lehnte das größtenteils ab. Es will solche Anordnungen allenfalls als Ultima Ratio zulassen. Dienste mit Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation sollen ganz außen vor bleiben. Der vorherigen ungarischen Ratspräsidentschaft ging das nicht weit genug, was unter anderem aufgrund des Vetos von Deutschland zu einer Dauerblockade des Gesetzesvorhabens führte.
Polen schlägt mit seinem Entwurf nun auch vor, als Ersatz die derzeitige Übergangsregelung zum freiwilligen Scannen nach sexuellen Missbrauchsdarstellungen in eine dauerhafte Erlaubnis zu überführen. Diese Option billigte der EU-Gesetzgeber 2021 durch eine eilig verabschiedete Ausnahme von der E-Privacy-Richtlinie. Mit der Ausnahmebestimmung können Facebook, Google, Microsoft und andere Diensteanbieter private Nachrichten ihrer Nutzer in der EU auf einer gesetzlichen Basis nach einschlägigem Material durchsuchen. Das EU-Parlament verlängerte die entsprechende Klausel voriges Jahr bereits bis Ende 2025.
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Datenschützer warnte vor flächendeckender Überwachung
Die Kommission wertete diese "freiwillige Chatkontrolle" jüngst als Erfolg, auch wenn sie gar keine aussagekräftigen Daten dazu vorweisen kann. Ninon Colneric, Ex-Richterin am Europäischen Gerichtshof, hält auch diesen Ansatz dagegen für unvereinbar mit dem EU-Recht. Die Grundrechte der Bürger auf Achtung der Privatsphäre, auf Datenschutz und auf freie Meinungsäußerung würden damit unverhältnismäßig verletzt. Auch der frühere Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber kritisierte das freiwillige Scannen scharf. Die damit ermöglichte "flächendeckende und anlasslose Überwachung von digitalen Kommunikationskanälen" bezeichnete er als "weder zielführend noch erforderlich".
Erhalten will der Ratsvorsitz das vorgesehene EU-Zentrum für den Kampf gegen Missbrauchsdarstellungen. Es soll aber konsequent auf Prävention ausgerichtet werden, nicht mehr auf die Aufdeckung solchen Materials. Bestehen blieben zudem die ebenfalls umstrittene Option für Websperren sowie die Pflicht zur Altersverifikation etwa durch Hosting- und Cloud-Dienste, E-Mail-Provider oder App-Store-Betreiber. Kritiker befürchten, dass damit die Anonymität im Netz untergraben werden dürfte.
(nen)