Münchner Grüne sehen Linux-Migration durch Softwarepatente gefährdet

Oberbürgermeister Christian Ude soll in Berlin gegen die Befürwortung einer breiten Patentierbarkeit von Computerprogrammen intervenieren, sonst stehe die Münchner Linux-Migration vor dem Aus.

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Alarmstimmung im Münchner Rathaus: Die Stadtratsfraktion der Grünen fordert mit zwei Anträgen Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) nachdrücklich auf, in Berlin in Sachen Softwarepatente zu intervenieren. Würde sich das Bundesjustizministerium mit seiner gegenwärtigen Befürwortung einer breiten Patentierbarkeit von Computerprogrammen durchsetzen und in Brüssel entsprechend die Weichen mit stellen, sieht der grüne Stadtradt Jens Mühlhaus auf München "unkalkulierbaren Schaden" zukommen. Durch die Einführung und weitere Legalisierung breiter Softwarepatente in der EU fürchten die Grünen das Aus für ihr weltweit beachtetes Projekt LiMuX, in dessen Rahmen die Stadtverwaltung komplett auf Open Source umrüsten will. Darüber hinaus hält es Mühlhaus für fraglich, ob freie Software "mittel- und langfristig überhaupt noch wettbewerbsfähig sein und den Anforderungen der Stadtverwaltung genügen kann, wenn ihre Weiterentwicklung durch große Softwarepatente-Portfolios blockiert wird." Auch der mittelständischen Softwareindustrie der bayerischen Landeshauptstadt drohe der Kollaps.

Konkret soll der Münchner Stadtchef auf Drängen der Grünen die Bundesregierung davon überzeugen, ihre Zustimmung im EU-Rat zum Entwurf für die heftig umstrittene Richtlinie zur Patentierbarkeit "computer-implementierter Erfindungen" zurückziehen und stattdessen die Position des Europaparlaments aus der ersten Lesung vom September 2004 "vollinhaltlich unterstützen". Da die formelle Verhandlung der Ratsposition voraussichtlich Ende September anstehe, sei "besondere Dringlichkeit geboten". Die Anträge der Grünen haben in München Aussicht auf Erfolg, da auch die Münchner SPD bereits vor kurzem ein klares Votum der Bundesregierung und des Parlaments gegen Softwarepatente gefordert hat. Im Bundestag sind die Grünen, die FDP und Teile der SPD ebenfalls klare Gegner einer breiten Patentierbarkeit von Computerprogrammen. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) hält mit der Unterstützung des Bundeskanzlers dagegen nach wie vor an ihrem umstrittenen Kurs fest.

Ausgangspunkt für die Untergangsstimmung im Münchner Rathaus ist eine Patentrecherche des Fördervereins für eine Freie Informationelle Infrastruktur (FFII) in Bezug auf die geplante Linuxumstellung in der bayerischen Hauptstadt. Demnach wäre allein die Desktop-Umrüstung im Rahmen von LiMuX von etwa 50 potenziellen Patentverletzungen betroffen, falls die geschätzten 30.000 vom Europäischen Patentamt bereits durch eine weite Auslegung der rechtlichen Grundlagen erteilten Softwarepatente von Berlin und Brüssel abgesegnet würden. Patentinhaber könnten dann, warnt Mühlhaus, finanzielle Forderungen für die Nutzung des patentierten Verfahrens stellen oder die Nutzung einer dazu in Konflikt stehenden Software untersagen. Dies könnte seiner Ansicht nach etwa "zum Ausfall eines kompletten Referates der Stadtverwaltung führen".

Dass die Befürchtungen keineswegs übertrieben seien, zeigen für die Grünen neben dem Beispiel SCO auch die wachsenden Softwarepatentaktivitäten Microsofts, das in München erst nach langem Kampf gegenüber der Linux-Fraktion den Kürzeren zog. Ernsthafte Sorgen löste die Prognose eines Managers von Hewlett-Packard aus, wonach die Redmonder beginnen könnten, Softwarepatente weltweit gegen Open Source einzusetzen. "Selbst wenn keine wirkliche Patentverletzung vorliegt oder ein Patent theoretisch für nichtig erklärt werden könnte, sind Patentklagen mit so hohem Kostenaufwand verbunden, dass mittelständische Unternehmen in die Insolvenz getrieben werden können", fürchten die Grünen. Auch hierdurch drohen hohe Folgekosten für die Stadt und ihre Projekte. Während einer Beratungsrunde vor einer Woche hatte auch der EDV-Verantwortliche der Stadt München, Wilhelm Hoegner, schwarz gesehen. Würde sich der EU-Rat mit seinem Richtlinienvorschlag durchsetzen, wäre das dem Praktiker zufolge eine "Katastrophe für das Migrationskonzept der Stadt München und natürlich auch für den gesamten Markt der Freien Software".

Zur Auseinandersetzung in der EU um Softwarepatente siehe auch:

Zur Linux-Migration in München siehe auch:

(Stefan Krempl) / (jk)