April, April in Brüssel: Welche Bürokratie wir unbedingt noch brauchen
Die EU hat ihre über 448 Millionen Bürger über viele Jahre zuverlässig mit bürokratischem Nonsens versorgt. Zeit, etwas zurückzugeben! Eine Glosse.

Bitte beachten Sie auch den Schuh ganz rechts im Bild!
(Bild: Clemens Gleich)
Solange ich den Heise-Verlag intim von innen kenne (und das ist nun auch schon über ein Vierteljahrhundert), gibt es dort eine liebenswerte, aber inhärent fehlgeleitete Pappnasenfraktion, die außer Fasching den Aprilscherz liebt, den sie über Jahrzehnte mit Hingabe praktizierte. Erst kürzlich haben sich Mehrheiten dafür ausgesprochen, den Aprilscherz nicht mehr zu machen, denn die Zeiten haben sich geändert. Der veröffentlichte Aprilscherz krankt nämlich seit mindestens 15 Jahren daran, dass wir in einer postsatirischen Welt leben. Zum Beleg hier eine offizielle Verlautbarung des Weißen Hauses. Wäre früher (tm) nur auf onion.com so gestanden, inklusive "the fake news losers at CNN".
Zusätzliche Aprilscherze hier sind wie Streichhölzer ins Tschernobyl-Inferno werfen: technisch irrelevant und sozial potenziell unangebracht. Vor dieser Kontextlage entstand die Idee, statt Leser zum April mit von News ununterscheidbaren Scherzen zu nerven, gemeinsam mit ihnen ein bisschen zu lachen über Dinge, über die wir sonst weinen müssten. Zum Beispiel über die europäische und deutsche Bürokratie. Als kleinen Klamauk schlage ich hier ein paar unbedingt umzusetzende neue Gesetze für den Verkehrssektor vor, in der Hoffnung, dass sie in Brüssel niemand liest und ernsthaft erwägt, was dieser Tage ja durchaus passieren könnte.
Weniger Fahrrad wagen
Das Fahrrad hat in den vergangenen 20 Jahren gesellschaftlich wie technisch einige Fortschritte gemacht, die seine Beliebtheit enorm erhöht haben. Es zeugt heute nicht mehr von Armut, den Drahtesel zu fahren, sondern von Ressourcenbewusstsein und körperlicher Ertüchtigung, und mit einem Kohlefaser-E-Bike zum Motorradpreis kann man sich auch exzellent vom Prekariat abgrenzen. Kurz: Es wird Zeit, diesem Erfolg einen Riegel vorzuschieben! Es wird Zeit für Regulierungen.
Das größte Problem des Fahrrads ist seine Niedrigschwelligkeit. Man erhält heute für einen Fuffi ein gebrauchtes Fahrrad, das man noch zwanzig Jahre benutzen kann. Solche niedrigen finanziellen Schwellen hat die EU schon viele behoben. Das geht ganz einfach: Man schreibt Mindesttechnologie vor, denn die kostet Geld, hebt also die Schwelle. Die EU sollte also schleunigst für Fahrräder eine ABS-Pflicht einführen. Die großen Lastenfahrräder brauchen zusätzlich schnellstmöglich Airbags und aktiven Seitenaufprallschutz. Denkt doch an die KINDER! Bosch reibt sich schon die Patscherchen.
Mehr Pflichten, weniger Rechte
Das ABS löst auch ein weiteres Problem des Fahrrads: Nach einem fünf Minuten langen Besuch der Youtube-Akademie können selbst Laien ein Fahrrad problemlos warten, wenn sie das wollen – wiederum viel zu niederschwellig! Das kommende ABS (und Lastenfahrräder generell) dürften nur in mühsam zertifizierten Spezialwerkstätten gewartet werden, und damit keiner auf den Gedanken kommt, sich die Wartung zu sparen, muss zudem ein regelmäßiger Fahrrad-TÜV eingeführt werden. Und apropos TÜV: Den könnte man gleich für Roller (FS-Klasse M) einführen, um deren Beliebtheit zu senken.
(Bild: Clemens Gleich)
Es gibt aus Italien eine weitere Lektion über Roller, die man direkt auf Fahrräder übertragen könnte. Im April des Jahres 2000 führte die italienische Regierung eine generelle Helmpflicht für Roller ein, die es vorher nur sehr bedingt gab. Sie wurde diesmal auch durchgesetzt, was dazu führte, dass sich der Markt für kleine Roller innerhalb weniger Jahre halbierte. Klar: Wenn ich mich nicht mehr einfach so auf meine Vespa setzen kann, dann kann ich mit Helm auch gleich ein richtiges Motorrad oder einen Großroller fahren, dachten sich die Italiener und taten das.
Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen. Eine Helmpflicht für alle Fahrräder könnte die darbenden, teuren, bereits helmpflichtigen Modellsektoren "S-Pedelec" und "E-Bike ab 25 km/h" aufleben lassen und damit gleichzeitig die Schwelle heben, damit Kinder oder andere finanzschwächere EU-Bürger nicht so schnell aufs teuflische Einfachfahrrad steigen können. Integralhelmpflicht am besten schon morgen! Mit Prüfsiegel und Helm-TÜV!
Die Bahn kommt nicht
Problematisch auch die Rolle der Bahn. Technisch betrachtet ist die Eisenbahn aufgrund des konkurrenzlos geringen Rollwiderstands und der aerodynamisch günstigen Verkettung in Züge so effizient pro Entfernungseinheit, dass nur brachiale Bürokratieanstrengungen eine kostenmäßige Vergleichbarkeit zu einem, sagen wir: Bentley Bentayga herstellen können. Hier müssen wir unser Licht nicht unter den Scheffel stellen, hier kann sich Deutschland international sicher als führend fühlen: Niemand betreibt mit mehr Geld über längere Zeit einen schlechteren Bahnservice als wir. Punktum.
Deshalb sollten wir diese Tugend exportieren. Es wäre ein Leichtes, das deutsche Niveau in ganz Europa auszurollen, denn es ist aufgrund der Eigenheiten der Entropie immer einfacher, etwas zu verschlechtern, als es zu verbessern. Mein Vorschlag wäre also: Die Deutsche Bahn wird zuständig für den Zugverkehr in ganz Europa gemacht. Damit hätte sich das Problem lokal beliebten Bahnfahrens in der EU schnell erledigt. Dann müssten wir nur noch schnell die Schweizer in die EU zwingen.
(Bild: Siemens Mobility)
Heizungshammer unter der Motorhaube
Eine große Regulierungslücke besteht zudem bei Automobilen. Schon ihr Name führt in die Irre, weil sie ja Mobilität die meiste Zeit nur vorhalten, also de-facto-Immobilien sind. Ihr (vermeintlicher!) Antrieb wiederum produziert im Schnitt zu 80 Prozent Wärme. Es ist also kein Antrieb. Es ist eine Heizung. In einer Immobilie. Es wird folglich Zeit, dass das Gebäudeenergiegesetz (GEG) Anwendung findet. Bedeutet: 65 Prozent erneuerbare Energien im Energieträger der Heizung. BMW soll schon mal die Prüfstände für Ethanolmotoren aufwärmen.
(Bild: Jürgen Theiner)
Beim Elektroauto fällt auf, dass sich hier als bedauerliche Unsitte Elektro-Direktheizungen (also Heizwiderstände) großer Beliebtheit erfreuen. Damit diese Stromverschwender jedoch erlaubt sind, muss eine Immobilie entsprechend gedämmt sein (s. §71d GEG). Künftige E-Autos mit Sitzheizung müssten also nach dem KfW-40-Standard gedämmt sein. Nachdem Mercedes bereits (hust) große Erfolge mit dem Pinguin-Design von EQS und Co. feierte, könnten sie für künftige, auf Immobilienstandard gedämmte Aerodynamik die Seekuh als Design-Vorbild nehmen. Viel Platz für Designschnörkel überall! "More to love", wie die Fatfluencer sagen.
Daumen: einschrauben oder abschneiden
Der Kollege Martin Franz steuerte noch Ideen bei, bei dem seine bayrische Prägung zutage trat, denn sie enthalten mehr als einen Hauch frühmittelalterlicher Peinigungsfreude. Er schlägt vor, das bereits vorgeschriebene EU-Temponervsystem (ISA) deutlich zu verschärfen, mit einer Mindestlautstärke von 71,49 db(A), Vibrationen in Sitz und Lenkrad und natürlich muss die bisherige Abschaltoption wegfallen. Vielleicht könnte man den Leuten auch gleich ab 1 km/h Überschreitung automatisch einen Finger abschneiden.
(Bild: Clemens Gleich)
Ähnliches Daumen(ab)schraubenpotenzial sieht Herr Franz beim Verbrauch: Die Realverbrauchserfassung (FCM) ist ohnehin vorgeschrieben. Man könnte also flugs den Menschen da noch hineinzwingen. Wer über dem zahlenmassierten Flottengrenzwert liegt, wird vor der Fahrt gezwungen, über seinen sündhaften Verbräuchen mindestens 23 Sekunden lang zu sinnieren, bevor das Auto startet. Schaut er nicht auf das Kombiinstrument, beginnt der Zähler erst nach erneutem Blickkontakt wieder von vorn. Wenn sich der Sünder nicht bessert, versagt ihm das Auto schrittweise Leistung und Maximaltempo, bis er sich im Bereich der Herstellerangaben (und auf dem Weg in die Klapse) befindet. Im tief südlichen deutschen Katholien könnte man zudem eine zu dokumentierende Pflichtbeichte dafür verlangen.
Capitalistic Back Propagation
Kollege Florian Pillau wiederum schlug vor, den Rückkanal des Notrufsystems eCall systematisch zu nutzen. Die Polizei könnte dort Durchsagen machen: "Beachten Sie die Geschwindigkeitsbegrenzung! Wenn es piept, fahren Sie vielleicht zu schnell, vielleicht auch nicht, aber achten Sie drauf!" Doch warum dort aufhören? Der Kapitalismus hat (manche von) uns reich gemacht, warum sollten manche von uns keine weiteren Gewinne einfahren dürfen durch Vermietung des Notruf-Rückkanals an Werbetreibende? Vielleicht sind Sie einmal dankbar dafür, im Straßengraben mit einer pfiffigen Melodie darüber informiert worden zu sein, dass "Carglass repariert".
(Bild: Mercedes-Benz)
Die Maßnahmenvorschläge des Autoressorts sollten einen großen Beitrag dazu leisten, dass auch das Auto nur unter Schmerzen (und potenziellen Fingerverlusten) benutzt werden kann, was seine Beliebtheit sicher senken wird. Mobilität aller Couleur zu unterbinden, hat so viele Vorteile. Ohne Verkehr zum Beispiel keine Verkehrstoten und keine Verkehrsemissionen. Und umgekehrt: Wer will mehr Verkehr? Sie dahinten? A-ha! Also wollen Sie letztlich Menschen töten und die Natur verpesten. Ich wusste es. Man reiche mir meinen ersten Wurfstein!
Am Schluss eine Leuchte
Die letzte blöde Idee kommt fast schon in die Nähe der Praxistauglichkeit, hat also einen meilenweiten Realitätsvorsprung vor typischen EU-Regulierungsideen. Es geht um eine simple Leuchte. Die Nebelschlussleuchte gehört zu den meistgehassten Autobauteilen, weil die meisten Fahrschüler zuverlässig fünf Sekunden nach der Führerscheinprüfung die Rahmenbedingungen vergessen, unter denen sie verwendet werden soll. Das ärgert eine Minderheit, die a) sich an die Rahmenbedingungen erinnert und b) kaum ertragen kann, wenn jemand Anderes gegen Regeln verstößt, wie Sheldon Cooper in "The Big Bang Theory". Man möchte meinen, dass das selten wäre, angesichts der vielen Meme-Bilder auf asozialen Medien zum Thema Nebelschlussleuchte möchte ich das Gegenteil vermuten. Es gibt mehr Monks und Coopers, als das allgemein zugegeben wird.
Also könnte man doch als fast schon ernsthaften Vorschlag einbringen: Wenn die Nebelschlussleuchte eingeschaltet wird, schaltet sich automatisch der Limiter auf 50 km/h mit ein, und wenn man den Limiter abschaltet (oder sonstwie schneller als 50 fährt), geht auch die Lampe aus. Gäbe es da irgendeinen Nachteil? Vielleicht könnte man das als Nebelkerze in der EU anbringen. Solange sie in Brüssel solche nur mäßig dämlichen Ideen diskutieren, können sie immerhin keine weiteren Dämlichkeitsatombomben wie den AI Act zünden.
(cgl)