Der Fall Perlentaucher und die Informations- und Meinungsfreiheit

Rechtsexperten sind sich uneins, ob das anstehende Urteil des Bundesgerichtshof zur Rechtmäßigkeit von Zusammenfassungen von Zeitungsbeiträgen weitgehende Konsequenzen für die Informationslandschaft haben könnte.

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Rechtsexperten sind sich uneins, ob das anstehende Urteil des Bundesgerichtshof (BGH) zur Rechtmäßigkeit von Zusammenfassungen von Zeitungsbeiträgen durch den Online-Anbieter Perlentaucher weitgehende Konsequenzen für die Informationslandschaft haben könnte. Für den Berliner Juristen Till Kreutzer, der das Urheberrechtsportal iRights.info mitbetreut, berührt der Fall die Informationsfreiheit im Internet und in den Medien allgemein. Es gehe um die Frage, ob und inwieweit das Urheberrecht nicht nur Texte, Musik oder Filme, sondern auch Inhalte und Informationen schützt, meint der Online-Redakteur. Seiner Ansicht nach wäre es ein fataler Fehler, "den Inhabern von Urheber- und Leistungsschutzrechten auch die Herrschaft über die Information oder die Sprache zuzugestehen". Eine solche Entscheidung würde "zu wenigen zu viel Macht über die wichtigsten und wertvollsten Güter der heutigen Gesellschaft zugestehen".

"Wegen der beschränkten Vergleichbarkeit dürften die Konsequenzen aus dem BGH-Urteil überschaubar sein", erklärte dagegen Reto Hilty, Direktor des Max-Planck-Instituts für geistiges Eigentum in München, dem Berliner Tagesspiegel. Die mündliche Verhandlung am gestrigen Donnerstag in Karlsruhe verlief auf jeden Fall nicht eindeutig: Zunächst rechneten die Streitparteien mit der Urteilsverkündung noch am Abend, nun soll der Richterspruch erst Ende September bekannt gegeben werden. Bis dahin müssen sie klären, in welchem Umfang Online-Angebote sich bei anderen Kreativen mit Zitaten und Informationen bedienen dürfen, wann die Schöpfungshöhe für ein eigenständiges Werk erreicht ist und ob dieses dann an Dritte wie Online-Buchhändler verkauft werden darf.

Die Anwältin der klagenden Presseorgane, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und der Süddeutschen Zeitung sah in der gestrigen Erörterung vor dem BGH in der Tätigkeit der Perlentaucher-Redakteure eine "unlautere Rufausbeutung". Ihr zufolge liegt eine Urheberrechtsverletzung vor, da das Online-Feuilleton "besonders farbige, einprägsame und phantasievolle Formulierungen" direkt übernehme. Kreutzer kann in den erstellten "Abstracts" dagegen "kein abgeleitetes Werk" erkennen. Es würden nur allgemeine Informationen verwendet, "dass jemand dies und das geschrieben hat", führte er gegenüber heise online aus. Dazu kämen Zitate, die vom Urheberrechtsgesetz für diese Zwecke im übernommenen Umfang freigegeben seien. Andernfalls würde sich der Urheberrechtsschutz auf Inhalte selbst beziehen, nicht mehr auf eine spezielle Ausdrucksform.

Das käme einem Verstoß gegen die Meinungs- und Informationsfreiheit gleich. Legitim ist laut Kreutzer auch der Vertrieb der eigenen Zusammenfassungen. "Wenn es zulässig ist, einen solchen Abstract zu schreiben und zu veröffentlichen, muss es auch möglich sein, anderen eine Lizenz zur eigenen Verbreitung zu erteilen", sagt der Jurist. Man erlange in diesem Fall schließlich ein eigenes Urheberrecht an den Texten und dürfe diese dann auch gegen Entgelt Dritten überlassen.

Den großen Reibach macht die Perlentaucher Medien GmbH mit dem Vertrieb von Lizenzen, anteiligen Erlösen an Buchverkäufen über Partner und Werbeeinnahmen über die eigene Webseite bislang nicht. In Medienberichten wird für 2008 ein Jahresüberschuss von etwa 11.000 Euro kolportiert. Der Geschäftsführer der Firma, Thierry Chervel, wollte diese Zahl gegenüber heise online weder bestätigen noch dementieren, sie käme aber wohl in etwa hin. Nach dem zweieinhalbjährigen Warten allein auf die Revisionsentscheidung wünscht er sich nun vor allem Rechtssicherheit, da der derzeitige Schwebezustand für die Perlentaucher in wirtschaftlicher Hinsicht an die Existenz gehe.

Mit in den Streit hinein spielt die Debatte über ein Leistungsschutzrecht für Zeitungs- und Zeitschriftenverleger. Wenn ein solches gäbe, würden davon voraussichtlich auch "kleine Teile von Texten erfasst", glaubt Kreutzer. Damit entstünden weitere große Abgrenzungsschwierigkeiten, auch wenn das Zitatrecht nicht von einer Ausweitung des Schutzes von Presseerzeugnissen betroffen wäre. Generell hofft der Rechtsexperte, dass der BGH den Gegenstand eines möglichen Verbots beziehungsweise einen potenziellen Unterlassungsanspruch möglichst genau ausformuliert. Andernfalls wäre die Gefahr von Fehleinschätzungen der Rechtslage groß. Seiner Ansicht nach könnte der Perlentaucher auch dann nicht durchhalten, wenn die Berufungsrichter einem ganz konkreten Unterlassungsanspruch der Zeitungen für einen speziellen Text mit Datumsbezug stattgäben. Denn schon damit könnten die Rechteinhaber immer wieder gegen "kerngleiche Verstöße" vorgehen. (anw)