Bürgerrechtsgruppen warnen vor europaweiter Pauschalschnüffelei

Privacy International und die Initiative "European Digital Rights" lehnen die von der EU ins Spiel gebrachte Vorratsspeicherung von Verbindungsdaten als illusorisch, unzulässig und zu stark in die Privatsphäre eingreifend ab.

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Privacy International und die Initiative "European Digital Rights" (EDRi) lehnen die auf EU-Ebene ins Spiel gebrachte Vorratsspeicherung sämtlicher bei der Telekommunikation anfallender Verbindungsdaten strikt ab. Die von einigen EU-Mitgliedsstaaten geforderte pauschale, bis zu dreijährige Datenlagerung sei "illusorisch", "unzulässig", "rechtswidrig" und greife zu stark in die Privatsphäre der Nutzer ein, schreiben die beiden Bürgerrechtsorganisationen in einer ausführlichen Stellungnahme an die EU-Kommission im Rahmen einer noch bis Mitte September laufenden Konsultation. Ihnen erscheint schleierhaft, wieso die Einführung einer derart "gefährlichen" und die Bürgerrechte mit Füßen tretenden Maßnahme in Europa überhaupt ernsthaft überlegt werde. In Zeiten, in denen Technologien von sich aus bereits den Datenschutz häufig durchlöchern und Gesetze die Rechte der Individuen immer weniger achten würden, sollte die EU keinesfalls diese Entwicklung noch weiter unterstützen.

Im Einzelnen führen die Aktivisten der Kommission zunächst vor Augen, in welchem Maße die im Raum stehende Datenjagd in das Leben der Bürger eingreifen würde. "Es geht hier nicht mehr nur um das Aufzeichnen der geführten Telefongespräche", warnen sie, "sondern um die Registrierung aller Dinge, die jemand liest, empfängt oder für die er Interesse zeigt" -- und dies über einen langen Zeitraum hinweg und im Zusammenhang mit den unterschiedlichsten Personen, mit denen man Kontakt hat. "Diese Informationen können zur Interpretation und zum Abstecken menschlicher Beziehungen, zum Verstehen und Vorhersagen menschlicher Handlungen sowie zum Verfolgen aller Bewegungen eines Individuums während seines gesamten Alltags verwendet werden", sorgen sich die Verfechter der Bürgerrechte. Als Beleg führen sie an, welche umfassenden Daten allein bei Internetprovidern beim reinen Login mit der gleichzeitigen Erteilung einer IP-Adresse anfallen. Dazu kommen beispielsweise die vielen personengebundenen Identifikationsmerkmale, die etwa beim Benutzen eines Handys vergeben werden -- und damit theoretisch auch aufgezeichnet und ausgewertet werden können.

Das Argument, dass Strafverfolger die Vorratsdaten im Kampf gegen den Terrorismus brauchen, zieht nach den Ausführungen von Privacy International und EDRi zudem nicht wirklich. Die "wahrgenommenen Sicherheitszugewinne" könnten jedenfalls zumindest wieder durch zusätzliche Risiken wettgemacht werden, fürchten die Organisationen. So würden vermutlich viele unschuldige Bürger überwacht und intime Details aus ihrem Leben plötzlich sämtlichen Regierungsstellen offen stehen. Die tatsächliche Nadel im Heuhaufen zu finden und die richtigen Verkehrsdaten auf einen potenziellen Attentäter oder Verbrecher zu beziehen, sei dagegen ein häufig mit Irrtümern beladener Prozess. Zudem entstünden für die Telcos und Internetprovider immense Kosten, um die Daten überhaupt vorzuhalten. Im Hinterkopf zu behalten sei zudem, dass selbst die US-Regierung eine pauschale Vorratsdatenspeicherung ablehnt -- diese aber den Europäern indirekt ans Herz legt. Fazit der Bürgerrechtler in diesem Punkt: "Insgesamt werden diese Faktoren unweigerlich Nebenwirkungen auf das Vertrauen der Verbraucher haben". Gerade der E-Commerce könne darunter leiden.

Letztlich sehen die Lobbyvereinigungen in der geplanten Verpflichtung zur Datenjagd auch einen klaren Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, die jedem Einzelnen den Respekt vor seinem Privatleben garantiert. Der Vorstoß der Länder Frankreich, Irland, Großbritannien und Schweden sei daher rechtswidrig und verstoße auch gegen die Gesetze zahlreicher Mitgliedsstaaten. Eine demokratische Gesellschaft benötige keine pauschale Überwachung ihrer Bürger, enden die Organisationen ihren noch mit zu unterzeichnenden Aufruf. Es wäre daher ein falsches Signal, wenn die bisherigen Normen und Werte der EU in die eines Überwachungsregime umgeändert würden. (Stefan Krempl) / (jk)