Giftschleuder PC

Vor vier Jahren versprachen die größten PC-Hersteller, freiwillig auf die gefährlichsten Chemikalien zu verzichten. Die Bilanz: Wort gehalten hat nur Apple, die anderen blockieren sich gegenseitig. Eine Geschichte über Greenwashing, mutlose Politiker und ahnungslose Verbraucher.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 22 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.

Am 26. Mai bekam Michael Dell, Chef des weltweit drittgrößten Computerherstellers, unangemeldeten Besuch. Von seinem Büro in Austin, Texas musste er mit ansehen, wie zwei Greenpeace-Aktivisten auf ein gegenüberliegendes Dell-Gebäude kletterten, sich ein paar Meter abseilten und ein Transparent mit einer persönlichen Botschaft entrollten: „Michael, what the Dell? Design out Toxics!“. Frei übersetzt: „Michael, verdellt noch mal, verbann’ die Gifte aus Deinen Produkten!“

Das Transparent sollte Dell an ein vier Jahre altes Versprechen erinnern. Damals hatte Greenpeace mit seinem ersten „Leitfaden für grüne Elektronik“ eine PR-Schlacht gegen die Computerindustrie eröffnet. Das Ziel: die Hersteller zum Verzicht auf Polyvinylchlorid (PVC) und bromhaltige Flammschutzmittel (Brominated Flame Retardants, BFR) zu bewegen. Die Waffe: eine Rangliste, die vierteljährlich aktualisiert wird und die Hersteller nach ihren Zielen und tatsächlich umgesetzten Maßnahmen bewertet.

Die meisten IT-Giganten hatten mit der Veröffentlichung von Fristen für ihren freiwilligen Verzicht auf die Stoffe reagiert und dafür Bonuspunkte im Greenpeace-Ranking kassiert. Zum Teil hatten sie diese Verpflichtungen mit Bedingungen abgesichert, zum Beispiel, dass die Ersatzstoffe technisch gleichwertig sein müssen oder wirtschaftlich wettbewerbsfähig.

Heute, nach Ablauf der ersten Fristen, ergibt sich ein jämmerliches Bild: Gerade mal ein Computerhersteller, Apple, hat Wort gehalten und damit die technische Machbarkeit demonstriert. Die restlichen blockieren sich gegenseitig. Fortschritte sind nicht absehbar, auch weil die EU ein Verbot der Stoffe verzögert – gegen den Rat der Experten.

Die Beimischung von Flammschutzmitteln in Kunststoffgehäusen und Leiterplatten ist notwendig, um Brandschutznormen zu erfüllen. Der größte Vorteil der BFR im Vergleich zu anderen Flammschutzmitteln ist ihr relativ niedriger Preis. Die Nachteile sind durch zahlreiche Studien belegt: BFR reichern sich in Lebewesen an, einige der am häufigsten eingesetzten Einzelverbindungen sind giftig für Fische und andere Gewässerorganismen.

Aus PVC, verrührt mit bis zu 35 Prozent fortpflanzungsgefährdenden Weichmachern, werden Kabelmäntel hergestellt. Alternativen gibt es, diese kosten jedoch zurzeit mehr.

Die größte Gefahr stellen PVC und BFR jedoch für Menschen dar, die in Ländern wie Ghana, Nigeria und China vom Elektroschrott-Recycling leben. Sie zerlegen Computer mit bloßen Händen, brennen Kabel in offenen Feuern ab und „grillen” Leiterplatten, um an das enthaltene Kupfer und Gold zu gelangen. „Der Prozess ist aus Umwelt- und gesundheitlichen Gesichtspunkten fürchterlich”, schrieben Mitarbeiter des Freiburger Öko-Instituts, als sie das Hinterhof-Recycling in der ghanaischen Hauptstadt Accra besichtigten – bei der Verbrennung von BFR und PVC entstehen akut und chronisch giftige sowie krebserzeugende Dioxine.

Dells erste Selbstverpflichtung aus dem Jahr 2006 lief bis Ende 2009, danach sollten alle neuen Produkte ohne PVC und BFR auskommen. Doch bislang sind lediglich ein Mobiltelefon und zwei Monitore frei davon. Auf der Webseite, unter einer Auflistung der Risiken von PVC und BFR, wird aktuell das Jahresende 2011 als Umstellungsziel angegeben, von der alten Frist ist dort keine Rede mehr.

Greenpeace stieg auch Samsung im wahrsten Sinne des Wortes aufs Dach. „Samsung = gebrochene Versprechen“, schrieben die Aktivisten Anfang März auf die Fassade der Benelux-Zentrale. Samsung wollte BFR ursprünglich bis Anfang 2010 aus allen Produkten verbannen. Bei Handys und MP3-Playern hat das koreanische Unternehmen dieses Ziel erreicht, nicht aber bei Notebooks – das neue Zieldatum lautet Ende 2011. PVC wollte Samsung bis Ende 2010 verbannen, doch das Unternehmen hat bereits angekündigt, dass es auch diese Frist nicht einhalten wird.

Acer und HP hatten das Jahresende 2009 für den Verzicht auf PVC und BFR angepeilt, doch ihre Erfolgsbilanzen listen bislang nur wenige Produkte auf. Nun wollen sie 2011 so weit sein. Lenovo? Spricht mittlerweile von 2011 statt von 2009. Toshiba? Für Notebooks steht noch das Umstellungsdatum 2009 auf der Homepage, das nicht erreicht wurde. Ein neues Datum nannte Toshiba auf Anfrage nicht. Sony visiert nach wie vor 2011 an, Fujitsu 2013. Asus will BFR bis Ende 2011 verbannen, hat aber keine PVC-Deadline bekannt gegeben.

Den vollständigen Artikel finden Sie in c't 17/2010.

Mehr Infos

RoHS

Hinter dem Kürzel RoHS verbirgt sich die EU-Richtlinie 2002/95/EG, Restriction of (the use of certain) Hazardous Substances, zu deutsch die Beschränkung (der Verwendung bestimmter) gefährlicher Stoffe. Anfang 2003 hatte das EU-Parlament sie verabschiedet, Deutschland setzte sie 2005 in nationales Recht um. Sie gilt nicht nur für in der EU produzierte Produkte, sondern auch für Importe [1] .

Die enthaltenen Grenzwerte für zwei Klassen von bromierten Flammschutzmitteln sowie für Blei, Quecksilber, Cadmium und sechswertiges Chrom kommen praktisch einem Totalverbot gleich: Noch niedrigere Werte wären weder produktionstechnisch möglich noch nachweisbar.

Eine Vollzugskontrolle befindet sich erst im Aufbau, Untersuchungen finden meist nur auf Anzeige hin statt. Einer aktuellen Studie des Umweltbundesamts zufolge deuten die „vergleichsweise wenigen durchgeführten Prüfungen“ darauf hin, dass Computer die RoHS-Bestimmungen „überwiegend erfüllen“. Allerdings verstießen zum Beispiel in einer aktuellen Stichprobe fünf von zehn untersuchten schnurlosen Telefonen gegen die Richtlinie. (ll)

Literatur

[1] Dr. Veronika Winkler, Wanderer zwischen den Welten, Der Übergang zur bleifreien Elektronik birgt noch Probleme, c’t 15/05, S. 80


(cwo)