Tafel zur Welt

Tablet-Rechner eignen sich aufgrund ihrer großen, berührungsempfindlichen Bildschirme erstaunlich gut als Therapiegeräte. In den USA hilft Apples iPad autistischen Kindern.

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Tablet-Rechner eignen sich aufgrund ihrer großen, berührungsempfindlichen Bildschirme erstaunlich gut als Therapiegeräte. In den USA hilft Apples iPad autistischen Kindern .

Als Apple-Boss Steve Jobs im Januar dieses Jahres den Tafel-Computer iPad der Weltöffentlichkeit präsentierte, bewarb er ihn mit für moderne Informationstechnik eher ungewöhnlichen Worten: Nicht nur revolutionär sei das Gerät, sondern gar "magisch". So sehr das auch Marketingsprüche waren – in gewisser Weise trifft die Aussage ins Schwarze: Da dem iPad die Abstraktionsschichten bisher gebräuchlicher Rechner – namentlich Tastatur und Maus – fehlen, erlebt man den Tablet-PC viel direkter als ein Notebook oder Desktop-Computer. Man interagiert mit Daten direkt, indem man sie auf dem Bildschirm "berührt". Schnelle Reaktionszeiten und flüssige Animationen verstärken diesen Effekt.

Wie Ärzte in den USA nun feststellen, eignet sich diese Direktheit der Rechentafeln auch gut für verschiedentliche Therapieansätze im Bereich neuronaler und psychologischer Störungen. Die jüngste Idee sind Versuche mit dem iPad und autistischen Kindern. Passende Software dafür existiert reichhaltig – von "Proloquo2Go", einem Programm, mit dem eine alternative Kommunikation über Bilder möglich ist, über Ablege- und Farbspiele bis hin zu "AutismExpress", einer Anwendung, die autistischen Kindern erlaubt, ihre Gefühle mit wenigen Bildschirmberührungen auszudrücken.

Wie das gehen kann, zeigt der neunjährige Leo aus Kalifornien, von dem das Magazin "SF Weekly" vor kurzem berichtete. Mehr durch Zufall entdeckte seine Mutter, dass sich der Tablet-Rechner für ihren Sohn eignete – für einen deutlich kleineren iPod touch hatte er sich bereits interessiert, konnte ihn wegen des kleineren Bildschirms aber nicht besonders gut nutzen. Leos Autismus äußert sich in Lernschwächen, Problemen, mit anderen Menschen zu kommunizieren und – was für seine Mutter besonders schwierig ist – kleineren und größeren Wutanfällen, die sich nur schwer kontrollieren lassen. Das iPad beherrschte er dagegen schnell – suchte sich Programme aus, betrachtete Bilder oder malte, und das stets höchst konzentriert, bis zu 30 Minuten am Stück.

Seit das iPad im April in den USA auf den Markt kam, wird es von Therapeuten wie enthusiastischen Eltern in großer Zahl ausprobiert – bei schwereren Fällen von Autismus genauso wie bei leichteren wie dem Asperger-Syndrom. Die direkte Interaktion mit den Fingern hilft den Betroffenen. So konnte Leo aus Kalifornien vor dem Tablet-Rechner kaum malen – er hatte Probleme, den Stift zu halten. Nun hat er sich zu einem veritablen kleinen Künstler entwickelt. Auch verhält er sich mittlerweile deutlich situationsangepasster als vorher.

Auch die Software-Industrie sprang schnell auf den Zug auf – unter den mehr als 200.000 Titeln für Apples iOS-Betriebssystem finden sich mittlerweile Programme für die speziellsten Anwendungsfälle. Der niederländische Hersteller AssistiveWare, von dem "Proloquo2Go" stammt, knackte mit seiner Anwendung bereits die Top 100 in Apples Software-Laden im Segment "Bildung".

Studien zur Tablet-Rechner-Nutzung unter autistischen Kindern existieren bislang allerdings noch nicht – die Forschung beginnt erst, die Zusammenhänge zu untersuchen. An der University of Toronto forscht die Juniorprofessorin Rhonda McEwen an "Berührungsempfindlichen Technologien im Klassenzimmer". Seit Februar läuft eine Piloteinheit mit iPods und iPads in sechs Schulen mit autistischen Kindern. Bereits klar scheint, dass die Tafel-Rechner sich als gutes Kommunikationsmittel erweisen. Autistische Kinder, die oft nicht mitteilen können, was sie fühlen, nutzen die Technik als Brücke. (bsc)